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GRAZ/Helmut List Halle: Eröffnung des Festivals „STYRIARTE“ Johann Joseph Fux: „DIE GESCHENKE DER NACHT““

Und sie spielen doch!

02.07.2020 | Oper


Die Musen vom Parnass.  Copyright: Nikola Milatovic)

GRAZ/Helmut List Halle: Eröffnung des Festivals „STYRIARTE“

Johann Joseph FUX: „Die Geschenke der Nacht“

 Und sie spielen doch!

 am 1.7. 2020 – Karl Masek

 Das verdammte Corona-Virus hat uns alle in den Klauen. Lockdown über Monate. Ratlosigkeit, ja Verzweiflung, natürlich auch in der Kulturbranche. Festivals, gestrichen? In der  Styriarte  gab es  aber eine geistesgegenwärtige Umplanung sowie eine gewisse  „Steirische Sturschädeligkeit“, wie in einer der Eröffnungsreden vollsaftig formuliert wurde. An die Grenzen des Möglichen gehen, auch auf die Gefahr hin abzustürzen, so der Intendant. Aus der Oper „Gli  Ossequi  della  Notte“ aus dem auf mehrere Jahre programmierten Johann Joseph Fux-Zyklus wurde eine Art repräsentativer konzertanter Querschnitt, „Die Geschenke der Nacht“, klug gekoppelt mit Concerti, die alle Facetten der Nacht gestalten, einmal Antonio Vivaldi (La notte“, Rv 104) und abermals Johann Joseph Fux („Die Süßigkeiten und Bitternisse der Nacht“).

Damit nicht genug der listigen Kreativität und der virtuosen Improvisationskunst des Intendanten Mathis Huber und seiner MitstreiterInnen. Man ließ sich für die Eröffnung noch etwas besonders Originelles einfallen: Man vergab am 12. Juni (!) einen Kompositionsauftrag an die junge oberösterreichische Komponistin Flora Geißelbrecht (Geb. 1994, sie gab schon bei „Wien Modern“ 2018 eine gelungene Visitenkarte ab!) für ein Zehn-Minuten-Operchen, „Die Musen vom Parnass“ für 6 Frauenstimmen mit dem Text von Thomas Höft, dem umtriebigen Theater-Allrounder in Graz.  In vier Tagen war das Stück fertig, selbst Rossini war da offenbar nicht schneller! Es konnte in Kostümen (mit allen Abstandsregeln) geprobt werden. Inszenierung: Wolfgang Atzenhofer, Kostüme: Lilli Hartmann.  Diese Uraufführung , musikalisch gekonnt zwischen Barock und Heute changierend: Eine köstliche kleine Politsatire zu diesen verrückten COVID-19–Zeiten! Perfekt studiert waren die 6 Musen (Barbara Pöltl, Dorit Machatsch (Sopran), Maria Wester, Verena Gunz (Mezzosopran), Feride Büyükdenktas, Annette Schönmüller (Alt). Dirigiert hat Raimonda Skabelkaité. Der anwesende Herr Bundespräsident, Alexander van der Bellen (er wurde von den Musen musikalisch „angesprochen“ und hielt eine sehr launige Eröffnungsrede), schien sehr angetan!

Bei der Eröffnung wurde übrigens dreier besonderer „Steirischer Sturschädel“ gedacht: Des steirischen Barockmusikkönigs Fux, des Styriartedirigenten der „ersten Stunde“ Nikolaus Harnoncourt und Alfred Kolleritsch, vor einem Monat verstorben, Begründer der Zeitschrift „manuskripte“, Leiter des Grazer Literaturforums Stadtpark und Förderer des jungen Peter Handke.

Der italienische Dirigent und Oboist Alfredo Bernardini begeisterte auch mit der dritten Fux-Opernausgrabung das Publikum. Barocke Klangpracht, ein Füllhorn an musikalischen Überraschungen und harmonischen „Bocksprüngen“. Sowohl in den Opernarien als auch in seinem „Nacht“-Concerto erwies er sich als Psychologe und gewitzter Beobachter.


„Die Nacht“ (Maria Ladurner; im Hintergrund an der Oboe: Alfredo Bernardini)  Copyright: Nikola Milatovic)

1709 wurde die Oper als Geburtstags- bzw. Namenstagsgeschenk für Kaiserin Amalie Wilhelmine aufgeführt. Herrscherinnen in solchen Opern zu preisen, war für die Komponisten immer ein Drahtseilakt. Der listige Fux (oft schrieb er sich auch Fuchs) verfolgte aber die Idee, die Nacht selbst zum Thema des Bühnenwerks zu machen. Die Nacht steigt vom Himmel herab, um gemeinsam mit Musen, aber auch Architekten die vielfältigen Schönheiten der Nacht zu zeigen. Beginnend mit betörendem Abendrot. Betörend in Musik gesetzt. Diese herrliche Arie z.B. gestaltete die junge österreichische Sopranistin Maria Ladurner mit aparter, beweglicher, facettenreicher Stimme und berührender Innigkeit. In der Nacht gibt es aber auch jede Menge Spektakel. Und damit  auch die Konkurrenz und den Kampf mit männlichen Gegenspielern, dem Schlaf und der Ruhe. Der „Schlaf“ ist der Tenor, natürlich hat er auch Liebhaberfunktion, klar geht es da in einer Liebesarie ums „miteinander-Schlafen“ („Caro mio  ben, de vieni hormai“ klingt natürlich blumig). Der Italiener Valerio Contaldo  singt derlei mit weichem, lyrischem Tenor, schmachtendem Schmelz, sehr zärtlich und mit gekonntem Schlafzimmerblick!

Diese „Reader’s Digest-Fassung war kurzweilig, abwechslungsreich und keinen Moment lang musikalisch schablonenhaft oder sich von Klischee zu Klischee hantelnd.


„Der Schlaf“ (Valerio Contaldo; das styriarte-Festspielorchester). Copyright: Nikola Milatovic)

Eine Königsidee, „Die Geschenke der Nacht“ mit 2 Concerti zu anzureichern. . Fux schildert in seiner Nachtmusik mit musikalischer Treffsicherheit und einer Art Programmmusik, wie sie erst zwei Jahrhunderte später „modern“ werden sollte, z.B. einen Nachtwächter, der sich ein bisschen schwerfällig durch die Nacht bewegt und sein „Hört ihr Herrn und lasst euch sagen …“ ertönen lässt. Ein Menuett, dass keine Sekunde lang sonstige oft gravitätische Eleganz zeigt. Das hatte Schwung, Lust an tänzerischer Unterhaltung  und drängendes Tempo. „Ronfatore“ brachte das Publikum zum Lachen. Mit Lust an der musikalischen Pointe wird hier ein Schnarcher vorgeführt, der mit seinem „Gesäge“ andere durchaus beim Schlafen stört, und mitunter sogar vor den eigenen Schnarchtönen zu erschrecken scheint (Köstliches Kontrabass-Solo: Alexandra Dienz).

Wenn jemand immer noch behauptet, Barockmusik sei langweilig – so sei er an Fux (Fuchs) verwiesen!

Stilistisch eine völlig andere Liga ist natürlich Antonio Vivaldi. Das swingt völlig anders, da geht es um Virtuosität, oft um der Virtuosität willen. Da jagt ein Effekt des Soloinstruments den nächsten (fabelhaft an der Traversflöte: Marcello Gatti). Gespenster treten auf, aber auch ein Fagott-Störenfried, der nächstens immer das letzte Wort haben will und damit den Flötisten und den Dirigenten ganz schön nervt (mit lakonischen, staubtrockenen Tönen der Fagottist Ivan Calestani). Auch Vivaldi hatte also eine Menge Humor!

Das styriarte Festspielorchester bewährte sich wieder als  weit mehr als bloß verlässliches Orchester des steirischen Edelfestivals. Es entwickelt ein ganz eigenes, bald unverwechselbares Timbre, wiewohl es sich aus dem recreation-GROSSES ORCHESTER GRAZ und Mitgliedern des Concentus Musicus Wien und dem Chamber Orchester of Europe zusammensetzt. Es wird mit Verve und musikantischer Musizierfreude agiert. Alfredo Bernardini ist Seele und Motor des Geschehens und entlockt seiner Oboe so nebenbei Schalmeientöne.

Die Styriarte hat aus der aktuellen Not eine große Tugend gemacht. Die 250 BesucherInnen (der erste Tag, an dem die „neue“ Richtlinie gegolten hat) waren bestens gelaunt. Für zwei Stunden (inklusive Eröffnungsfeier) hat wohl niemand an Corona gedacht. Es reißt einen ohnehin sofort, wenn man die neuesten Infektionszahlen vernimmt. Nur kein weiterer Lockdown, hoffen alle inständig…

Karl Masek

 

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