Graz: „FUNNY GIRL“ –Opernhaus, 16.1.2016 (Premiere)
Frederike Haas, Boris Pfeifer. Copyright: Werner Kmetitsch/Photowerk, Bühnen Graz
Es war einmal ein kleines Mädchen, das auf der Lower East Side von New York als Kind armer, ungarisch-jüdischer Einwanderer aufwuchs und davon träumte ein Star zu werden. Und Fania Borach (1891-1951) schaffte es mit Beharrlichkeit und Ehrgeiz und vor allem mit ihrem komischen Talent vom Chorus Girl in den damals üblichen Burlesque-Shows zum großen Star der Ziegfeld Follies am Broadway aufzusteigen. Sie nannte sich nun Fanny Brice und war wohl der größte Star der Unterhaltungsbranche der damaligen Zeit. Weniger Glück hatte sie jedoch mit ihren Männern. Sie war dreimal verheiratet; ihre große Liebe war aber ihr zweiter Ehemann, der gutaussehende Lebemann Nicky Arnstein. Dieser war ein notorischer Spieler; nachdem er sein Vermögen und das seiner Frau verspekuliert hatte, rutschte er in die Kriminalität ab und wanderte ins Gefängnis. Während der dreijährigen Inhaftierung hielt Fanny zu ihm, aber nach seiner Entlassung zerbrach schließlich die Ehe.
Solche Geschichten, die das Leben schrieb, sind wohl die besten Stories für Hollywood. Das dachte sich wohl zumindest der Filmproduzent Ray Stark, der mit Fanny Brices Tochter Frances verheiratet war.Er gab nach dem Tod seiner Schwiegermutter ein Drehbuch in Auftrag, doch die Verfilmung sollte nicht gleich zustande kommen. Stattdessen schrieb Isobel Lennart ihr für den Film konzipiertes Script zu einem Libretto für ein Musical um (die Gesangstexte stammen von Bob Merrill), und als Komponist konnte kein Geringerer als Jule Styne (1905-1994) gewonnen werden, der mit Musicals wie „Gentlemen Prefer Blondes“ (berühmt geworden vor allem durch die Verfilmung mit Marilyn Monroe) und „Gypsy“ bekannt geworden war. Probleme bereitete dann allerdings die Besetzung der Hauptrolle, ein Star sollte natürlich von einem Star verkörpert werden. Aber alle angedachten Besetzungen (u.a. Joan Crawford, die aber wegen zu geringen Stimmumfanges nicht in Betracht kam) zerschlugen sich. Schließlich übertrug man die Rolle der erst 21jährigen, völlig unbekannten Barbra Streisand. Sie sang die Rolle bereits bei den Voraufführungen in Boston und wurde dann bei der Uraufführung von „Funny Girl“ am 26. März 1964 im Winter Garden Theatre in New York über Nacht zum Star. Nach 1348 Vorstellungen am Broadway übersiedelte die Produktion 1966 nach London und 1968 folgte schließlich die Verfilmung unter dem Regisseur William Wilder mit Barbra Streisand und Omar Sharif. (Der Film wurde übrigens von Ray Stark produziert; somit ging sein Traum von der Verfilmung der Lebensgeschichte seiner Schwiegermutter doch noch in Erfüllung.) Bei der Oscar-Verleihung 1969 war der Film in acht Kategorien nominiert, aber schließlich erhielt lediglich Barbra Streisand den Oscar für die beste Hauptrolle.
Die deutschsprachige Erstaufführung des Musicals fand 1972 in Essen (mit Marianne Mendt in der Titelpartie!) statt. „Funny Girl“ gehört in die Reihe der großen Broadwayerfolge. Aber warum ist dieses Musical im deutschsprachigen Raum so unbekannt? An der mitreißenden Musik kann es nicht liegen. (Mit „People“, „Don’train on my Parade“ und „My Man“ hat dieses Musical mehr Hits zu bieten als jedes Werk von Andrew Lloyd Webber.) Auch die Geschichte selbst kann nicht daran schuld sein, denn die Story ist witzig, aber auch berührend. Liegt es an der Revue-Nummer „Rat-Tat-Tat-Tat“? Ein Song, der die amerikanischen Soldaten als Weltpolizisten und Retter der Welt verherrlicht (gemeint war natürlich hier im Ersten Weltkrieg), ist im gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem Europa als Folge der amerikanischen Invasionspolitik (Irak und Afghanistan etc.) mit einem Flüchtlingsstrom konfrontiert ist, nur schwer zu verdauen. Da dies die beste Revuenummer ist, kann man sie wohl auch nicht streichen. Aber ich würde begrüßen, wenn man zumindest bei diesem Song die Übertitel weglassen würde. Gesungen und gesprochen wurde übrigens größtenteils auf Deutsch, nur einige Hits wurden in der englischen Originalversion (mit deutschen Übertiteln) gesungen.
Boris Pfeifer, Frederike Haas. Copyright: Werner Kmetitsch/Photowerk/Bühnen Graz
Bei der Grazer Erstaufführung handelt es sich nun um eine Ko-Produktion mit dem Theater Dortmund, dem Staatstheater Nürnberg und dem Theater Chemnitz. Das Publikum kann eine perfekt choreographierte Musical-Revue mit traumhaften Kostümen (Susanne Hubrich) erleben. Der Regisseur Stefan Huber hat die zwischen Orten und Zeiten ständig changierende Handlung mit gutem Timing in Szene gesetzt. Die zahlreichen Szenenwechsel werden größtenteils mit verschiebbaren Bühnenelementen bewältigt und für die großen Revuenummern gibt es natürlich die berühmte Showtreppe (Bühnenbild: Harald Thor). Für die Ziegfeld-Girls und Ziegfeld-Tänzer sind Musical-Darsteller verpflichtet worden, die die Choreographie von Danny Costello hervorragend umsetzen und unter Beweis stellen, dass die Grazer Oper mit den kommerziellen Musical-Theatern durchaus mithalten kann. Mitglieder des Chores überzeugen in den zahlreichen kleinen Partien durch enorme Spielfreude (vor allem Hana Batinic als neugierige Mrs.Strakosh). Martin Fournier darf im silbernen Frack als Ziegfeld-Tenor glänzen. Götz Zemann überzeugt als väterlicher Mr. Ziegfeld, der gegen Fannys Charme nicht ankommen kann. Uschi Plautzist eine bodenständige und berührende Mutter, die nicht auf den Mund gefallen ist. Sensationell istdie tänzerische und darstellerische Leistung von Marc Seitz als Eddie Ryan. Boris Pfeifer ist als fescher und charmanter Nick Arnstein eine Idealbesetzung. Aber über Erfolg oder Misserfolg einer Aufführung dieses Musicals entscheidet wohl einzig und allein die Besetzung der Titelrolle. Hier hat die Grazer Oper eine glückliche Hand bewiesen, denn Frederike Haas ist ein Ereignis, die nicht nur mit einer grandiosen Gesangsleistung überzeugt, sondern auch in den Nummern der Ziegfeld-Revue ihr komödiantisches Talent unter Beweis stellt. Außerdem gelingen ihr die tragischen Momente sehr glaubhaft, wenn sie an ihrer Liebe zu Nick zu zerbrechen droht. Marius Burkert schaffte es, aus dem Grazer Philharmonischen Orchester eine überzeugende Swing-Band zu formen und erntete schon für die schwungvolle Ouvertüre viel Applaus..
Das Publikum feierte am Ende alle Mitwirkenden, vor allem aber die sensationelle Interpretin der Titelpartie. Die aufwändige Produktion steht noch bis 2. April 2016 auf dem Spielplan der Grazer Oper. Ein Muss für alle Musical-Fans.
Walter Nowotny