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GRAZ: ARIANE ET BARBE-BLEUE von Paul Dukas

07.04.2018 | Oper


Copyright: PhotoWerk/ Oper Graz

Graz: „ARIANE ET BARBE-BLEUE“ – Opernhaus, 6.4.2018

Man muss nicht unbedingt an die Metropolitan Oper nach New York pilgern, um drei erstklassige Opernaufführungen an drei aufeinanderfolgenden Abenden erleben zu können. Auch das Opernhaus Graz kann damit aufwarten. Am Vorabend der Premiere von Rossinis „Il Viaggio a Reims“ und zwei Tage vor einer großartigen Aufführung von Bernsteins „Candide“ setzte das Grazer Opernhaus die bereits 7. Vorstellung der sensationellen Produktion von „Ariane et Barbe-Bleue“ an. Und ich war nicht der einzige Wiener, der für diese drei Vorstellungen angereist ist.

Die Intendantin der Grazer Oper, Nora Schmid, möchte in jeder Spielzeit wenigstens eine Opernrarität auf die Bühne bringen; in dieser Saison fiel die Wahl auf die einzige Oper von Paul Dukas (1865-1935). Dieser überaus interessante französische Komponist, wie sein Studienkollege Claude Debussy, mit dem ihn ein freundschaftliches Verhältnis verband, ein Anhänger Richard Wagners, verdient es auch hierzulande mehr wahrgenommen zu werden. Er betätigte sich nicht nur als Komponist, sondern war auch ein bedeutender Musikkritiker. Außerdem wirkte er als Musikwissenschaftler, der die Werke von Beethoven, Rameau, Couperin und Scarlatti neu herausgab. Diese Tätigkeiten nahmen einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch. Bekannt geworden ist er durch ein einziges Musikstück: „Der Zauberlehrling“, ein Orchesterscherzo nach Goethes Ballade, das auch heute noch oft in den Konzertsälen zu hören ist (populär geworden ist es durch die Verwendung in Walt Disneys Zeichentrickfilm „Fantasia“, in dem Mickey Mouse den Zauberlehrling spielt). Obwohl Dukas sich in allen Sparten der Musik versucht hat, hat er nicht viele Werke hinterlassen. Er hat angesichts seiner unerbittlichen Selbstkritik viele Kompositionen, die er für nicht gut genug befunden hat, nicht veröffentlicht. Vor seinem Tod hat er schließlich alle noch nicht veröffentlichten Werke vernichtet, darunter auch die bereits fertig gestellte Oper „Le Nouveau monde“, und so blieb seine 1907 an der Opéra-Comique in Paris uraufgeführte Oper „Ariane et Barbe-Bleue“ sein einziges Werk für die Opernbühne.

Die Sage vom Ritter Blaubart, die u.a. auch Béla Bartók und Jacques Offenbach zu musikdramatischen Werken inspirierte, hat der belgische Schriftsteller Maurice Maeterlinck (1862-1949) in die Welt des Symbolismus transponiert. Im Gegensatz zu „Pelléas et Mélisande“, das zuerst als Theaterstück veröffentlicht wurde und später von Claude Debussy zu einer Oper vertont wurde, war der Text für „Ariane et Barbe-Bleue“ von Anfang an als Opernlibretto vorgesehen, zunächst für Edvard Grieg, und erst als dieser ablehnte, für Paul Dukas, der daran sieben Jahre lang arbeitete. (Bedingung war jedoch von Anfang an, dass die Lebensgefährtin Maeterlincks, die Sopranistin Georgette Leblanc, die Titelrolle singen sollte; eine Forderung, die der Dichter bei der Uraufführung von „Pelléas et Mélisande“ nicht durchsetzen konnte, was zum Zerwürfnis zwischen Maeterlinck und Debussy geführt hat.) Im Zentrum der Dichtung steht die Freiheit des Menschen, die zugleich Selbstbestimmung und deshalb ein Wagnis ist. Es handelt sich um eine psychologische Umdeutung der Blaubart-Sage, in die zugleich die damals aktuelle Frauenfrage hineinspielt. Ariane befreit sich selbst, die fünf früheren Frauen Blaubarts, die Ariane ebenfalls befreien will, sind jedoch dazu nicht in der Lage. Sie bleiben zurück in der Sklaverei, in der Finsternis. Hier kommen die Grundsätze des Symbolismus zur Geltung: der Mann als Symbol des Dunklen, die Frau als Symbol des Lichts. Und der Name der Titelheldin stellt außerdem einen Bezug zur griechischen Mythologie her, zu Ariadne, die Theseus mit Hilfe eines selbstgesponnenen Wollfadens sicher aus dem Labyrinth herausführte, von diesem dann aber später auf der Insel Naxos zurückgelassen wurde.

Kurz zum Inhalt der Oper: Vor Blaubarts Burg fordern die Bauern Blaubarts Tod, nachdem er eine neue Braut heimführt und seine fünf früheren Frauen verschwunden – vermutlich ermordet – sind. Blaubart übergibt seiner neuen Frau Ariane, die mit ihrer Amme in das Schloss eingezogen ist, sieben Schlüssel. Er erlaubt ihr mit den sechs silbernen Schlüsseln die dazugehörigen Türen zu öffnen, verbietet ihr aber den goldenen Schlüssel zu verwenden. Hinter den sechs Türen, die sich mit den silbernen Schlüsseln öffnen lassen, findet Ariane verschiedene Edelsteine. Hinter der siebenten, die sie trotz des Verbotes öffnet, findet sie die früheren Frauen Blaubarts. Die Bauern, die Blaubart töten wollen, verwunden ihn bei seiner Rückkehr. Ariane pflegt seine Wunden und verlässt dann mit ihrer Amme das Schloss. Die anderen Frauen lassen sich von Ariane nicht zur Flucht überreden und entscheiden sich bei Blaubart zu bleiben.

Die Musik von Paul Dukas ist nicht ganz leicht einzuordnen. Sie ist nicht so eindeutig dem Impressionismus verhaftet wie Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“, obwohl über weite Strecken der Impressionismus vorherrscht. Die Begeisterung für Richard Wagner ist nicht zu überhören, immer wieder meint man Anklänge an den Ring oder an „Parsifal“ zu vernehmen (bei Blaubarts Rückkehr glaubt man fast Fafner aus der Neidhöhle kriechen zu hören oder im Vorspiel des 2. Aktes finden sich eindeutig Ankläge an das Vorspiel zum 3. Akt des „Parsifal“), aber auch die „Salome“ von Richard Strauss muss Dukas bereits gekannt haben, obwohl deren französische Erstaufführung nur zwei Tage vor der Uraufführung von „Ariane et Barbe-Bleue“ stattgefunden hat. Und auch Claude Debussys Musik baut Dukas in seine Partitur ein: eine der fünf früheren Frauen heißt Mélisande und so zitiert er Musikstellen aus dem Opernwerk seines Freundes bei der ersten Erwähnung von Mélisande. Die Instrumentierung ist meisterhaft. Dukas gelingt die heikle Balance zwischen der spätromantischen schwelgerischen Üppigkeit und einer Transparenz, die den Zuhörer den Nachvollzug der Motivarbeit ermöglicht. Dukas verwendet die Leitmotive aber nicht wie Richard Wagner als wörtliche Wiederholung, er verändert und variiert seine Motive laufend. Während die Singstimme zumeist rezitativisch in kleinen Tonschritten geführt wird, obliegt die Verarbeitung der großschrittigen Motive dem Orchester, in dem auf diese Weise jene Gedanken widerhallen, die die Personen nicht aussprechen oder die ihnen selbst verborgen sind. Dukas hat auch versucht den Unterschied zwischen Licht und Dunkelheit in Musik fassbar zu machen. Hier rückt Dukas‘ Musik bereits in die Nähe von Alexander Skrjabins Musiksprache.

Das Großartige an den Werken des Symbolismus ist, dass es den Regisseuren einen so großen Spielraum für ihre Inszenierungen einräumt, während es für Werke, die an historischen Ereignissen festgeschrieben sind, wie „Tosca“ oder „Andrea Chénier“, für den Regisseur kaum einen Spielraum gibt. Die Regisseurin Nadja Loschky hat in Graz einen psychologischen Zugang zu diesem Werk gefunden, eine Art Selbstfindung der Titelheldin. Ariane betritt das Schloss in dieser Inszenierung nicht zum ersten Mal; sie kehrt zurück und erlebt in ihrer Erinnerung alles noch einmal: die erste Begegnung und die Hochzeit mit Blaubart, das anfängliche Glück, die Demütigungen, denen sie später ausgesetzt war. Das Ganze driftet mehr und mehr zu einer Sado-Maso-Beziehung ab, nicht nur im sexuellen Sinne. Die sechs früheren Frauen (die Regisseurin hat gegenüber dem Opernlibretto noch eine sechste Frau hinzugefügt), die sie im Laufe der Handlung findet, sind abgespaltene oder abgestorbene Seiten ihrer eigenen Persönlichkeit. (Leicht erkennbar daran, dass sie alle das gleiche blaue Kleid tragen wie Ariane.) Sie vernimmt die Stimmen der früheren Frauen wie die Stimmen ihrer abgespaltenen Persönlichkeiten in ihrem Kopf. Jede Frau steht für einen anderen Abschnitt ihrer Beziehung zu Blaubart. Auf der Suche nach sich selbst steigt sie in den dunklen Keller ihrer Erinnerungen hinab und stellt sich dem Grauen des Geschehenen. Es kristallisiert sich nämlich ganz langsam heraus, dass Ariane Blaubart ermordet hat. Am Ende ist die zerstückelte Leiche Blaubarts auf mehrere Koffer aufgeteilt, für jede der Frauen, jede Seite ihrer Persönlichkeit, gibt es eine Koffer. Ariane öffnet den ihren, und aus ihm ragt der Torso mit dem Kopf Blaubarts heraus – nicht die einzige Querverbindung zur „Salome“ des Richard Strauss. Am Ende verlässt sie das Schloss, die abgestorbenen Seiten ihrer Persönlichkeit lässt sie nach ihrer bewältigten Selbstfindung zurück. Doch plötzlich stehen ihr die Bauern, die zuvor noch Blaubarts Tod gefordert haben, mit Steinen bewaffnet feindlich gegenüber. Man wartet eigentlich auf den Satz „Man töte diese Weib!“ Aber den hat ein anderer Komponist vertont.


Copyright: PhotoWerk/ Oper Graz

Alles spielt sich vor schwarzem Hintergrund auf einer schrägen, sich drehenden Scheibe ab (Bühnenbild und Kostüme: Katrin Lea Tag), die mit Rauch und einer ausgefeilten Lichtregie (Hubert Schwaiger) die Grundlage für die Reise in die Seele einer Frau bildet. Was bei einem so symbolträchtigen Stück und einer psychologisierenden Inszenierung das Spannendste ist: es lässt auch dem Zuseher einen Spielraum für Interpretation. Es können also verschieden Besucher zu ganz unterschiedlichen Auffassungen kommen, was hier zu sehen ist.

Die Titelrolle stellt an die Interpretin Anforderungen, die mit jenen der großen Wagner- oder Strauss-Rollen vergleichbar sind. Manuela Uhl bewältigt diese mörderische Aufgabe mit Bravour. Sie überzeugt sowohl stimmlich mit ihrem in allen Lagen gleich gut fundiertem Sopran wie auch darstellerisch. Die großartige Mezzosopranistin Iris Vermillion beeindruckte als Amme vor allem mit ihrer satten Tiefe, und war darstellerisch als wachende, beschützende Begleiterin stets präsent. Obwohl Blaubart nur wenig zu singen hat, sollte man diese Partie doch einem ersten Bassisten anvertrauen. Wilfried Zelinka bewältigte diese Partie stimmlich wie immer souverän und beherrschte den ganzen Abend die Bühne mit stummer Präsenz, als Verführer, als gewalttätiger Ehemann, als faszinierender Mann. Stimmlich sehr homogen und stimmschön war auch die Gruppe der Exfrauen, hier besser gesagt der Alter Egos von Arianes Persönlichkeit: Andrea Purtić als Sélysette, Yuan Zhang als Bellangère, Sonja Šarić als Ygraine und Aleksandra Todorović als Mélisande, assistiert von den beiden stummen Darstellerinnen Maria Kirchmair als Alladine und Lisa Caligagan als Georgette. In dieser Vorstellung übernahm erstmals Marius Burkert die musikalische Leitung. Souverän führte er das bestens disponierte Grazer Philharmonische Orchester und fächerte die klangfarbenprächtige Partitur mit Klarheit und Transparenz auf. Präzise und stimmschön hatten auch der Chor und der Extrachor der Oper Graz (Einstudierung: Bernhard Schneider) ihren Anteil an dieser großartigen Aufführung.

Die Österreichische Erstaufführung von „Ariane et Barbe-Bleue“ fand bereits am 1. April 1908 an der Wiener Volksoper unter der musikalischen Leitung von Alexander Zemlinsky statt. Die nunmehrige Grazer Erstaufführung dieser Oper 110 Jahre später geriet zu einem aufregenden Opernabend, spannend wie ein Psychothriller. So soll – nein so muss Oper sein. Jedem, der diese Produktion noch nicht gesehen hat, sei der Besuch eine der letzten beiden Aufführungen am 13. und am 22. April empfohlen, wobei die letzte Vorstellung eine Sonntag-Nachmittagsvorstellung ist und sich für Anreisende aus Wien ganz besonders eignet. Diese Aufführung zählt gewiss zu den besten Musiktheaterproduktionen der Spielzeit 2017-18. Eine Aufführung, die man gesehen haben muss.

Walter Nowotny

 

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