«Leidenschaftliche Koloratur» • Concerto de‘ Cavalieri, Carolyn Sampson • Wolkenturm, Grafenegg • Konzert: 16.07.2022
Barocke Virtuosität vom Feinsten
Als drittes Sommerkonzert des Jahres gab es im Wolkenturm von Grafenegg unter dem etwas holprigen Titel «Leidenschaftliche Koloratur» den Auftritt des Concerto de‘ Cavalieri unter Leitung seines Gründers Marcello di Lisa und der Sopranistin Carolyn Sampson zu erleben. Sie nahmen die Zuhörer mit auf eine Reise in die barocken Opern-Hochburgen von Venedig, Neapel, London und Dresden.
Carolin Sampson. Foto © Marco Borggreve
Das Konzert, das vier Stationen im Leben der Mezzo-Sopranistin Fausta Bordoni folgt, wird durch barocke Concerti grossi aufgelockert. Carolyn Sampson gelingt eine absolut überzeugende Darbietung der damals von der Bordoni gesungen und für sie komponierten Arien. Erste Station ist Venedig, wo Bordoni vermutlich im Rahmen einer Akademie, wie damals Privatkonzerte genannt wurden, die Kantate für Sopran und Instrumente «Che giova il sospirar, povero core» (RV 679). Sampson überzeugt mit einer seht gut tragenden Stimme und einer zurückhaltenden Interpretation mit tadelloser Textverständlichkeit. Zweite Station ist mit den beiden Arien «Tortora ehe il suo bene» und «Per abbattere il mio core» aus Domenico Sarros «Partenope» Neapel. Die Verzierungen gelingen Sampson mit grosser Natürlichkeit und enormen Farbenreichtum (der im Begriff der Koloratur ja angelegt ist). Zum Höhepunkt des Abends wird das Concertato mit der Trompete Andrea di Marios in «Per abbattere il mio core». In den beiden Arien «Lusinghe ‚piu care» und «Brilla nell’alma» aus Händels Oper «Alessandro» (HWV 21, 1726) prunkt Sampson mit ihrer enormen Virtuosität und technischen Perfektion, die in einer Oper, in der Bordoni mit ihrer Rivalin Francesca Cuzzoni und dem Alt-Kastraten Senesino gemeinsam auf der Bühne stand, unerlässlich war. Für die vierte und letzte Station der Reise in die Opern-Hot Spots des Barock, Dresden, steht die Arie der Cleofide «Son Qual misera colomba» aus der Oper «La Cleofide» (1731) von Bordonis Ehemann Johann Adolph Hasse. Sampson gelingen ihre Arien mit stupender Technik, absoluter Natürlichkeit und vor allem der schon von den Zeitgenossen geschätzten «sprezzatura» (kalkulierte Lässigkeit im Sinne von Baldassare Castigliones «Il Cortegiano»).
Das Concerto de‘ Cavalieri unter Leitung von Marcello di Lisa begeistert im Konzert für zwei Violinen (Federico Guglielmo und Paolo Perrone) und Streicher A-Dur (RV 519, aus «L’estro armonico», op. 3 Nr. 5) und dem Concerto grosso F-moll Nr. 1 Alessandro Scarlattis mit einem hellen, aussergewöhnlich frischen Klang von grosser rhythmischer Prägnanz. Georg Friedrich Händel ist mit dem Concerto grosso F-Dur op. 6/2 (Federico Guglielmo, Paolo Perrone und Valeria Brunelli, Violincello; HWV 320, 1739) und der Suite für Trompete (Andrea di Mario) und Streicher D-Dur HWV 341 (1733) vertreten. Hier hat das Orchester eine ganz andere Farbe, klingt aber genauso mitreissend leidenschaftlich.
Schade, dass dieses so anregende Konzert nur mässig nachgefragt war.
19.07.2022, Jan Krobot/Zürich