GRAFENEGG / Wolkenturm: BRUCKNER, SCHUMANN, THIELEMANN, PHILHARMONIKER
4. September 2024
Von Manfred A. Schmid
Ein „keckes Beserl“ nannte Anton Bruckner im Rückblick und nicht ohne Stolz seine 1868 uraufgeführte, von ihm mehrmals überarbeitete Symphonie Nr. 1 c-Moll. Er bezog sich dabei wohl auf die kühn pulsierende Rhythmik, pralle Melodik und die geradezu ironisch frechen Themen und Motive, mit denen das Werk überrascht. Anlässlich des 200. Geburtstags des Komponisten würdigen ihn die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Christian Thielemann, mit dem sie alle 11 Symphonien des Meisters, also inklusive der „Nullten“ und der „Studiensinfonie“, aufgenommen haben, mit einer Aufführung seiner „Ersten“ im Grafenegger Wolkenturm. Anders als in der CD-Edition mit der heute bevorzugten „Linzer Fassung“, die der Urtextversion sehr nahekommt, steht diesmal die geglättete „Wiener Fassung“, 1890/91 entstanden, auf dem Programm.
Thielemann, profunder Kenner des symphonischen Schaffens Buckners, arbeitet in seiner Gestaltung die Vorzüge der späteren Version heraus. Zu erwähnen sind klare klangliche Transparenz und die Ausgeglichenheit der Instrumentalgruppen. Die Tempi im vorwärtsschreitenden Kopfsatz sind fein gewählt, die Einsätze des Blechs perfekt timbriert. Auf das gefühlsbetonte, ruhevolle und Adagio, mit Wärme gespielt und von brillanten Holzbläsern geprägt, folgt ein ausgelassenes, rasant gespieltes Scherzo, bei dem die Tutti geradezu aggressiv und gespenstisch wirken. Lebhaft und ausdrucksstark dann das fulminante Finale mit dem Wettstreit der drängenden Tutti und den innehaltenden Flöten.
Auswendig und ohne Taktstock kommuniziert Thielemann mit dem Orchester in seiner typischen Art, mit leichten, nie ausufernden Arm- und Körperbewegungen. Man spürt und vernimmt, wie sehr die intensive Zusammenarbeit bei der Einspielung der Bruckner-Symphonien zu einem Einverständnis geführt hat, das hier herrliche Früchte trägt. Auch die kleinsten Phrasen und motivischen Einwürfe werden beachtet und in das Ganze verwoben. Das erhöht die Spannung und verleiht der Aufführung temperamentvolle Lebendigkeit Als Zuhörender vergisst man auf die so oft erlebte Frische und Unmittelbarkeit der „Linzer Fassung“ und gibt sich voll dem Zauber der Musik hin. An die Stelle der Tollkühnheit des damals immerhin auch schon 43-jährigen ist die Abgeklärtheit des nunmehr 67-jährigen Meisters getreten, der sich über manche Eskapaden wohl wundert, sie etwas mildert, aber doch nicht ohne Stolz vorführt.
Vor der Pause stand bei diesem Konzert Robert Schumanns Symphonie Nr. 1 B-Dur op. 38, auch als „Frühlingssymphonie“ bekannt, auf dem Programm. Thielemann, heute vor allem als Wagner- und Strauss- sowie als Bruckner-Dirigent geschätzt, ist seit langem schon auch erfolgreich im romantischen Repertoire unterwegs. An Schumanns symphonischem Erstling fällt zwar zunächst die pastorale Naturschilderung auf. Der Ruf der Trompeten „Im Tale blüht der Frühling auf“, in den das ganze Orchester begeistert einstimmt, erweckt die Natur aus winterlicher Starre, und der Aufruf mündet in einem tänzerischen 1. Satz, der den Frühling beschwört. Thielemann legt aber in seiner Interpretation des Werks sein Augenmerk vor allem auf die dahinter liegende Liebesgeschichte von Robert Schumann und Clara Wieck, die bei der Entstehung der Symphonie gerade erst frisch verheiratet waren. Die intensive Frühlingssymphonie, „in feuriger Stunde geboren“, wie der Komponist schreibt, ist ein hell jauchzendes Ja zum Leben.
Der 2. Satz, ein inniges Liebeslied, schwebt, leicht intrumentiert, geradezu in den Himmel des Glücks, bevor ein verheißungsvoller Posauenchor das Scherzo des 3. Satzes ankündigt. Ein bemerkenswerter Satz, bunt gemischt, einmal ernst, dann wieder heiter, derb und zart. Bevölkert von dahinhuschenden Naturgeistern, die am Schluss so rasch entschwinden, wie sie gekommen sind.
Im dramatisch durchgeführten Finale erlebt das Paar die Wunderwelt der Natur, Wachstum und Leben, das große Glück. Unter der Leitung von Thielemann aber auch versehen mit einem Hauch von spätromantischer Schwermut.
Begeisterter Applaus. Bruckner lebe hoch. Und Schumann daneben.