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GOHRISCH (Sächsische Schweiz) / Konzertscheune: „7. INTERNATIONALE SCHOSTAKOWITSCH-TAGE“

29.06.2016 | Konzert/Liederabende

Gohrisch (Sächsische Schweiz) / Konzertscheune: „7. INTERNATIONALE SCHOSTAKOWITSCH-TAGE“ – 24.6. – 26.6.2016

Seit 2010 „pilgern“ alljährlich die Musikliebhaber aus nah und fern zu den Schostakowitsch-Tagen in dem, von Wäldern und Wiesen umsäumten, Luftkurort Gohrisch auf einer Hochebene inmitten der reizvollen, etwa 40 km südöstlich von Dresden entlang der Elbe gelegenen, Nationalparkregion Sächsische Schweiz (Elbsandsteingebirge) mit ihren bizarren Felsformationen. Es ist weltweit das einzige Schostakowitsch-Festival.

Initiiert und gegründet wurde es von Michail Jurowski und Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle Dresden an dem Ort, wo Dmitri Schostakowitsch zweimal weilte. 1960 komponierte er hier sein „8. Streichquartett“, als er den Auftrag für die Filmmusik zu einem Dokumentarfilm hatte, den er erst später realisierte. Die Schönheit der Natur war ihm hier der Rahmen für seine schöpferische Tätigkeit, und da er sich nach eigenen Aussagen an diesem Ort sehr wohl fühlte, kehrte er 1972 noch einmal mit seiner Frau Irina für einen Urlaub zurück – Anlass genug, um hier ein Festival zu gründen.

In diesem Jahr fanden alle Konzerte – mit Ausnahme des „Wanderkonzertes“ – in der Konzertscheune statt, einer riesigen massiven Scheune im wahrsten Sinne des Wortes, die für kurze Zeit aus ihrer bäuerlichen Nutzung herausgenommen und für das Festival in einen „perfekten“ Konzertsaal umgewandelt wird. Das restliche Stroh lagert dann vor der Scheune und erhöht den naturnahen, ländlichen Reiz. In und um den „Konzertsaal“ fehlt es an nichts, und selbst bei 35°C im Schatten war die Atmosphäre durchaus erträglich. Die Mitwirkenden verzichten auf ihre Gage, und die Bewohner des Ortes sind (ehrenamtlich) mit Herz und Seele engagiert. Es ist ein Festival der Enthusiasten und Idealisten.

Auf dem Programm standen in diesem Jahr vor allem Werke von Schostakowitsch, aber auch die seines wichtigen Zeitgenossen Hanns Eisler sowie auch Werke von Ludwig van Beethoven, den Schostakowitsch und Eisler, zwei sehr gegensätzliche Persönlichkeiten, trotz ihrer Suche nach einem eigenen, modernen Kompositionsstil gleichermaßen verehrten, denn auch Beethoven stand seinerzeit an der Schwelle zu einer für damalige Zeiten „modernen“ Musik.

Er war für beide ein Fluchtpunkt. Schostakowitsch wurde als Student am Konservatorium gleich als Erstes mit der 1. Wiener Schule, mit Mozart, Beethoven und Schubert, konfrontiert, da Beethovens letzte Sonaten die beste Schule für einen Komponisten sind, weil hier die starre Sonatenform successive in eine variierende Sonate gewandelt wird.

Das diesjährige ERÖFFNUNGSKONZERT (24.6.) gestaltete das 1991 gegründete, international renommierte Streichquartett Quatuor Danel mit Marc Danel, Violine I, Gilles Millet, Violine II, Vlad Bogdanas, Viola und Yovan Markovich, Violoncello. Es genießt vor allem hohe Wertschätzung für seine fokussierten Interpretationen der Quartettzyklen, u. a.  von Beethoven und Schostakowitsch.

Mit fein differenziertem Klang und innerer Dynamik eröffneten die 4 Musiker ihr Konzert mit dem „Streichquartett Nr. 13 B‑Dur“ (op. 130) mit „Großer Fuge“ B‑Dur“ (op. 133) von Ludwig van Beethoven. Sie haben Sinn für die Feinheiten eines Werkes, hören aufeinander und auf die verborgenen Intentionen der Musik. Es gab viele Facetten, keine Härten und sehr schöne Details. Man vermisste lediglich eine durchgängige Linie, ein Erfassen der Sonate als geistigen Gesamtkomplex. Manches wurde sehr seriös, manches fast witzig, spritzig gespielt, dann wieder getragen und mit Hingabe. Man orientierte sehr auf eine sensible Seite Beethovens. Die „Große Fuge“ begannen die Musiker fast vorsichtig und wurden später lebhafter. Sie zeichneten die einzelnen Stimmen klar nach und spielten das schwierige Werk vor allem erfreulich durchsichtig.

 Mit ihrer noblen Tongebung widmeten sie sich danach dem „Streichquartett“ (op. 75) von Hanns Eisler mit nur 2 Sätzen: „Variation“ und „Finale“ und beendeten es wie mit einer „ungewissen“ Frage.

Schostakowitsch wich mit seinem „Streichquartett Nr. 15 es-Moll“ (op. 144) vom Standard ab – es hat 6 Sätze. Es wurde sehr fein und klangvoll musiziert. Die Stimmen setzten  nacheinander ein und jede hatte etwas zu „sagen“, manche melancholisch, elegisch, wo man vermeint, unterschwellig auch die russische Heimat, die Natur, die Mentalität der Menschen dort zu spüren, und es gab auch Glücksmomente und eine, bei Schostakowitsch sehr seltene, innerliche Ausgeglichenheit.

Der Charakter der einzelnen Sätze mit den Bezeichnungen „Elegie“, „Serenade“, „Intermezzo“,, „Nocturne“, „Trauermarsch“ und „Epilog“ wurde entsprechend gefühlvoll, mit innerer Anteilnahme, Leidenschaft und Schönklang wiedergegeben, mitunter fast verträumt. Es blieb aber nicht beim „Klagen in Schönheit“, schrille Töne durchquerten die musikalische Linie, brachten sie zum abrupten Absturz bis zum leisen, sehr feinen Ausklang, dem eine allgemeine Stille bei Ausführenden und Publikum folgte. Leicht betroffen von Inhalt und tief ergreifender Ausführung setzte der begeisterte Applaus erst viel später ein, aber so heftig, dass es nicht ohne Zugabe abging, doch was konnte darauf noch folgen? Nicht irgendetwas, sondern nur eine andere „Elegie“ von Schostakowitsch.

 Bereichert wurde das Festival durch VORTRAG UND PODIUMSDISKUSSION (25.6.) zum Thema: „Schostakowitsch und Eisler. Komponieren im Schatten des Eisernen Vorhangs!“ Beide gerieten mit einem sozialistischen Regime in Konflikt und litten darunter, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Sie hatten nicht nur Einschränkungen ihrer kompositorischen Tätigkeit zu erdulden, sondern in Schostakowitschs Fall auch persönliche Repressalien, die sein schöpferisches Schaffen und sein Leben stark beeinträchtigten. Er konnte nicht leben, ohne zu komponieren. Eisler hingegen wäre auch Politiker und Hobbykomponist geworden.

Schostakowitsch war kein Kommunist, nur gezwungenermaßen, um zu überleben, während Eisler, ein politisch denkender Mensch, einer aus innerer Überzeugung war, auch janusköpfig, denn als er aus den USA ausgewiesen wurde, wollte er zunächst nach Wien gehen, wurde dann aber von der DDR-Regierung als Österreicher hofiert und schließlich vereinnahmt, komponierte die Nationalhymne mit militantem Rhythmus und litt später unter dem Regime, mit dessen politischer Entwicklung er nicht einverstanden war, da sie sich immer mehr von seinen Idealen entfernte.

Schostakowitsch, ein sehr sensibler, in der Öffentlichkeit sehr zurückhaltender Mensch, wirkte eher schüchtern, vielleicht auch verängstigt, aber das Publikum stand hinter ihm. Wenn er nach einer Aufführung umjubelt wurde, machte er den Eindruck, als sei er fehl am Platz, wie der Pianist Peter Rösel, erster deutscher Preisträger des Moskauer Tschaikowski-Wettbewerbs (1966), der ihm als Student am Moskauer Konservatorium begegnete, in der anschließenden Podiumsdiskussion berichtete, an der außerdem Krysztof Meyer, Komponist und Musiktheoretiker, Verfasser eines Standardwerkes der Schostakowitsch-Literatur:  „Schostakowitsch. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit“ (1995) und Präsident der deutschen Schostakowitsch Gesellschaft, und Bernd Feuchtner, Chefdramaturg und Regisseur in Salzburg, Autor des Schostakowitsch-Buches „Und Kunst geknebelt von der großen Macht“ (1986) und Publikationen über Schostakowitsch in Gohrisch, teilnahmen. Es wurden interessante Fakten, Beziehungen und Erkenntnisse über Schostakowitch und Eisler diskutiert, moderiert von Tobias Niederschlag, Konzertdramaturg der Sächsischen Staatskapelle.

 Der mit akademischer Exaktheit gehaltene Vortrag von Friederike Wißmann, Universität Bonn, behandelte „Eros und Tanatos im Musiktheater von Eisler und Schostakowitsch“. Eisler schrieb keine eigentlichen Liebeslieder, und wenn, dann zugespitzt bis grotesk, um seinen dezidiertem Abschied von der bürgerlichen Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen. Er vertonte z. B. Heiratsannoncen (1927), kurze Stücke mit ständigem Tempowechsel, die er selbst als Provokation beschreibt, und das Konzertpublikum reagierte damals entsprechend empört. Bei ihm ist die Liebe verhalten, komisch oder käuflich. Er setzt sich in seinem Werk weder mit Tod noch Liebe auseinander, sondern wendet sich damit nur von den bürgerlichen Kunstformen ab. Schostakowitsch hingegen beschäftigte sich in seinen Werken damit, aber nur in bestimmten Lebensphasen, was sich z. B. in seiner Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ wiederspiegelt.  

 Als besonderes Schmankerl gab es ein WANDERKONZERT (25.6.) am Wochenende des Deutschen Wandertages. Das Vocal Concert Dresden sang unter seinem Gründer und Leiter Peter Kopp unter freiem Himmel an verschiedenen, landschaftlich reizvollen Stationen in Gohrisch und Umgebung. Mit schönen, klangvollen Stimmen, ausgewogenem Chorklang und sehr schönen Soli, immer von besonders dafür geeigneten Sängerinnen und Sängern aus den eigenen Reihen, wurden Lieder von Schostakowitsch und Eisler, immer passend zum jeweiligen Ort, gesungen.

„Solisten“ und Chor „veredelten“ alles, was sie sangen, auch Eislers „einfach gestrickte“ Lieder, meist eine Mischung aus Heimat-, Volks- und Marschliedern, die genau die beabsichtigte Entwicklung Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre in der DDR ausdrücken, u. a. auch sehr simple Bearbeitungen bekannter Volkslieder mit unauffällig unterlegten Marschrhythmen nach dem Motto „Vorwärts zum Sozialismus“ und Anklängen an die Nationalhymne, um die Bevölkerung mit alten, gewohnten Traditionen zu gewinnen, was damals jedoch kaum verfing und jetzt nur aus historischer Sicht interessant sein kann.

Das abwechslungsreiche Programm enthielt eine Auswahl aus den Liedsammlungen „Zehn russische Volksieder“ von Dmitri Schostakowitsch und „Neue deutsche Volkslieder“ und „Woodbury-Liederbüchlein“ von Hanns Eisler. Die Klavierbegleitung wurde von Peter Kopp, der mit angenehmer Stimme und guter Artikulation auch moderierte, und von den begleitenden Instrumentalisten Hans-Richard Ludewig am Akkordeon und Dietrich Zöllner am Kontrabass für die beiden Instrumente bearbeitet.

Es war alles wunderschön, nur der Wettergott schien kein Musikfreund zu sein. Kurz vor Ende musste die musikalische Wanderung mit allgemeinem Bedauern wegen eines plötzlichen Gewitters mit Starkregen abgebrochen werden, gerade, bevor Eislers Lied „Lenin“ angestimmt werden konnte. Vielleicht „musste“ er da “dazwischenfahren“?

In einem KAMMERABEND (25.6.) – wieder im Trockenen – traten die junge russische Pianistin Anna Vinnitzkaya, Matthias Wollong, 1. Konzertmeister der Sächsischen Staatskapelle und im Bayreuther Festspielorchester, und Isang Enders, ehemaliger Konzertmeister Violoncelli der Staatskapelle und jetziger Solist, auf.

Bei dem „Tanz der Puppen“ für Klavier solo (o. op.) von Schostakowitsch, bei dem die Nähe zu Chopin unverkennbar ist, war Anna Vinnitzkaya in ihrem Element. Sie und die Komposition schienen wie für einander geschaffen zu sein. Mit feinem, klingendem Anschlag, gut dosiertem Pedalgebrauch und viel Gespür für den tänzerischen Charakter und die fast klassische Melodieführung des Stückes ließ sie die „Puppen tanzen“. Wie „getupft“, spielerisch und heiter kam hier der (fast) fröhliche Schostakowitsch zu Wort, und doch spürte man ein wenig auch die Angst und Ungewissheit, die ihn wohl nie verließ.

Anna Vinnitzkaya spielte sehr charmant, ansprechend, zuweilen wie eine Spieluhr oder den Klang einer Drehorgel imitierend (ohne kitschig zu wirken) und, wenn es angebracht war, auch virtuos, forsch, kraftvoll, Mit gut gewähltem Tempo zeichnete sie die musikalischen Linien nach und ließ die inneren Zusammenhänge erkennen, nie veräußerlicht, sondern immer aus der inneren Struktur heraus und mit viel Humor – einfach köstlich.

Bei der „Sonate für Klavier und Violine G-Dur (op 96) von Beethoven stellte sie sich ganz auf ihren Klavierpart ein, der, der Entwicklung der Violinsonaten entsprechend, hier  noch tonangebend ist. Später löste sich Beethoven allmählich davon und machte die Violine zum gleichberechtigten Partner. Die Violine hat bei dieser Sonate aber noch eine untergeordnete, mehr  begleitende Rolle, was Anna Vinnitzkaya und Matthias Wollong sehr geschickt deutlich machten, auch wenn dies nicht unbedingt dem allgemeinen Klangbild bei Beethoven entspricht und von anderen Interpreten oft kaschiert oder abgemildert wird. Historisch gesehen, war es aber richtig so. Sie ergänzen sich gegenseitig. Die Violine wirkte trotzdem gleichberechtigt, und Wollong arbeitete gekonnt viele Feinheiten heraus.

Bei dem „Duo für Violine und Violoncello“ (op. 7/1) von Eisler in 2 Sätzen waren Matthias Wollong und Isang Enders, zwei sehr virtuose Musiker und kongeniale Partner.

 Alle drei Musiker widmeten sich dann mit ihren spieltechnischen Qualitäten dem „Klaviertrio Nr. 2 e‑Moll (op. 67) von Schostakowitsch. Es begann mit sehr, sehr leisen kaum hörbaren und doch durch Isang Enders‘ gekonntes Spiel gut wahrnehmbaren Cellotönen, bis die Violine ebenso sanft einsetzte und nach einem kongenialen kurzen „Zwiegespräch“ der beiden Instrumente das Klavier einsetzte und danach motorische Passagen mit allen drei Instrumenten folgten, permanent vorbei an einer Melodie als Ausdruck von Schostakowitschs Seelenzustand, was an „Ich kann wohl manchmal singen, als ob ich fröhlich sei …“ von J. v. Eichendorff  erinnerte. Mit „perlendem“ Klavier, fast wie „Wasserläufe“, adäquater Violine und klingendem Violoncello, boten die drei eine interpretatorische Meisterleistung, nach der sich das Publikum mit  Bravos eine Zugabe „erzwang“.

 Im NACHTKONZERT (25.6.) zu vorgerückter Stunde (Beginn 23 Uhr) spielte Peter Rösel, ein Spezialist für Beethoven, dessen „Klaviersonate cis‑Moll (op. 27/2„), die bekannte und beliebte „Mondscheinsonate“ mit gesundem musikalischem Empfinden, sehr gutem differenzierendem Anschlag, kernig und kraftvoll, virtuos und feinsinnig, mit einer sehr ansprechenden Mischung aller pianistischen Möglichkeiten, immer ganz im Sinne der Komposition im richtigen Moment eingesetzt.

Es war alles so schön gedacht. Die Natur wurde mit einbezogen, was sich in dieser Gegend anbietet. Der leicht abnehmende Vollmond war noch am Vorabend in voller Schönheit am Himmel zu sehen, aber leider wurde er zu dieser nächtlichen Stunde von Gewitterwolken verdeckt, die sich sehr bald entluden und den Regen so laut aufs Konzertscheunendach prasseln ließen, dass das Konzert nach dem 1. Satz der darauffolgenden „Sonate für Viola und Klavier C‑Dur (op. 147) von Schostakowitsch  abgebrochen werden musste, die Rösel und Thomas Selditz, der für den erkrankten Sebastian Herberg eingesprungen war, vielversprechend begonnen hatten. Sie wurde am nächsten Tag im Anschluss an das Abschlusskonzert noch einmal in voller Länge geboten.

In einer MATINEE (26.6.) las der Dresdner Schriftsteller (und Dresden-Schriftsteller) Uwe Tellkamp – anstelle eines Gespräches mit Michail Jurowski, der leider aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, und Michael Ernst, dem Autor der Lebenserinnerungen des Dirigenten – aus seinem, noch unveröffentlichten, Text „Freundeskreis Musik“, bei dem nicht nur die Sächsische Staatskapelle, sondern auch Persönlichkeiten des Dresdner Musiklebens, Musikkritiker und die Dresdner Musikliebhaber unmittelbar „Pate standen“, umrahmt von Musik durch Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle.

Das Dresdner Streichquartett mit Thomas Meining, 1. Violine, Barabara Meining, 2. Violine, Andreas Schreiber, Viola und Martin Jungnickel, Violoncello begann mit dem 1. Satz „Allegro con brio“ aus dem „Streichquartett B-Dur“ (op. 18/6) von Beethoven, frisch, flüssig, mit dunkel getöntem, warmem Klang, sehr festlich und im besten Sinne dem klassischen Charakter Beethovens entsprechend. Die vier Musiker hören nicht nur aufeinander, sie erfassen auch in gleicher Weise die Musik, die sie spielen. Wie selbstverständlich wurde Beethovens Quartettsatz in seiner ganzen musikalischen Fülle wiedergegeben. Es war nur 1 Satz, aber er konnte in dieser Interpretation stellvertretend für Beethovens musikalische Geisteswelt stehen.

Bevor sie sich mit großem Engagement Schostakowitsch zuwandten, wurde zwischen 2 Lesungen Eislers „Sonatensatz für Flöte, Oboe und Harfe (op. 49) von Razália Szabó, Flöte, Céline Moinet, Oboe und Astrid von Brück, Harfe, den  Amtsnachfolgerinnen, der Staatskapellen-Mitglieder, die das Stück seinerzeit in Dresden uraufgeführt haben, musiziert. Der Harfe kommt darin eine sehr dominante Rolle als Verkörperung der Spießbürgerlichkeit zu. Sie wird von Flöte und Oboe lautstark attackiert, was von den drei Musikerinnen in vielen Schattierungen sehr eindrucksvoll wiedergegeben wurde.

Abschließend spielte das Meining-Quartett Schostakowitschs „Streichquartett Nr. 3 F‑Dur (op. 73) mit interner Harmonie und Hingabe. Thomas Meining, Primarius und geistiger „Vater“ des Quartetts inspirierte seine „Mitstreiter“ zu einer großartigen Wiedergabe, bei der sie Schostakowitschs (inneren) Empfindungen voller Melancholie, scheinbarer Fröhlichkeit und immer wieder den drangsalierenden Härten, denen er ausgesetzt war, nachspürten. Der letzte Satz begann fast klassisch, getragen, fast versonnen Schicksal-ergeben. Es gab auch heitere Episoden und tänzerische Rhythmen, angelehnt an die klassische Musik, die deutlich machten, dass Schostakowitsch gern auch ein heiterer, humorvoller Mensch gewesen wäre, aber die äußeren Umstände wirkten zu stark dagegen.

Mit seiner Interpretation „hauchte“ das Dresdner Streichquartett dem Werk „Leben ein“. Unter den Musikern herrscht ein besonderer „Gleichklang“. Alle haben bei der Ausführung eines Werkes die gleiche Auffassung, das gleiche musikalische Empfinden und das gleiche Musikverständnis. Sie ließen die großartig gespielte Sonate sehr leise aus- und nachklingen. 

Im ABSCHLUSSKONZERT (26.6.) wurden noch einmal viele Kräfte „gebündelt“ und das Motto des diesjährigen Festivals quasi noch einmal zusammengefasst. Beethoven war mit den „Sonaten für Klavier und Violoncello C‑Dur (op. 102/1) D‑Dur (op. 102/2) vertreten. Es heißt zwar (noch) „Sonate für Klavier und Cello“, d. h. das Klavier ist entsprechend der historischen Entwicklung noch dominant, es hat eine Art solistische Funktion, und das Violoncello mehr eine begleitende Rolle. Bei Norbert Anger, Violoncello und Michael Schöch, Klavier war es ein kongeniales Miteinander. Bei der Wiedergabe von Beethovens und Schostakowitschs Kompositionen gibt es die verschiedensten „Spielarten“, und jede hat ihren Reiz. ln so unmittelbarer, konzentrierter Nähe wie beim Festival waren sehr unterschiedliche Auffassungen und  individueller Stil in Verständnis und Ausführung zu erleben, alle glaubhaft und ansprechend und doch so verschieden. Anger und Schöch bevorzugten eine „kernige“, kraftvolle Art, nicht ohne Sensibilität, auf hohem Niveau.

Schostakowitsch fand nicht nur beim Fußball Entspannung, sondern auch beim Komponieren von unterhaltsamer Musik. Sein kurzes, in seiner Cellosonate (op. 40) gefundenes „Moderato für Violoncello und Klavier“ und „Vier Walzer für Flöte, Klarinette und Klavier“ (Arrangement: Lewon Atowmjan) sind in ihrer Anlehnung an mitteleuropäische Melodien von ansteckender Fröhlichkeit.

Hier lud Semper Winds Dresden mit Roszália Szabo, Flöte, Celine Moinet, Oboe, Norbert Oberaigner, Klarinette, Thomas Eberhardt, Fagott und Jochen Ubelohde, Horn sehr flott „zum Tanzen“ ein, zunächst mit der köstlich gespielten Oboe, danach durch die Flöte mit ähnlicher Melodiegestaltung, nicht ganz so temperamentvoll und ausgelassen wie die Oboe, aber auch sehr nett. Das Klavier „tupfte“ mit und bildete mit den Blasinstrumenten eine Einheit. Schließlich konnte man beinahe bayrische Volksmusik vernehmen – eine mitreißende Unterhaltung, humorvoll und witzig, angelehnt an den klassisch-romantischen Stil, volkstümlich und mit Niveau, wobei auch hier eine leichte Melancholie nicht zu überhören war.

Hanns Eisler war mit seinem „Divertimento für Bläserquintett (op. 4) und „Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben“ für Flöte, Klarinette, Violine/Viola, Violoncello und Klavier (op. 70), ein Studienwerk für Filmmusik, vertreten und außerdem ein weiterer Zeitgenosse Schostakowitschs, Paul Dessau mit dem „Quintett für Oboe, Klarinette, Fagott, Horn und Klavier“. Hier „brauchten“ die 5 Musiker einen Dirigenten – Carlo Godstein. In beiden Fällen war die Musik gewöhnungsbedürftig, aber sehr gut interpretiert.

Zu den „Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben“ lief ein kurzer Ausschnitt „Wind und Beginn des Regens“ aus dem damals neuartigen amerikanischen Stummfilmstreifen „Regen“ von Joris Ivens, 1929, Einsamkeit, Trauer und Tod assoziierend. Mit plastischer Tonmalerei untermalten 6 Musiker mit Dirigent die Szenen.

Damit wäre das Festival zu Ende gewesen, aber es folgte noch ein „Nachtrag“ – wie versprochen – Schostakowitschs grandiose „Sonate für Viola und Klavier (op. 147). Mit forschem Strich, aber auch feinen klingenden Passagen und vielschichtigen Klangschattierungen der Viola und mitgestaltendem Klavier präsentierten beide Künstler eine weitere Facette der verschiedenartigen Interpretationsmöglichkeiten von Schostakowitschs Musik und rundeten mit ihrer Interpretation das Gesamtbild über sein kompositorisches Schaffen und seine Persönlichkeit ab. Mit langsamem leisem  Ausklingen verklang auch das Festival – nun endgültig.

Es waren sehr konzentrierte, eindrucksvolle Tage mit einem komprimierten Programm und großartigen musikalischen Interpretationen an allen 3 Tagen, selbst in seiner Fülle – viele Konzertbesucher hörten sich das gesamte Programm an – weder belastend noch redundant, sondern in sich sehr gut abgestimmt und ohne Hektik zu erleben.

Die 8. Schostakowitsch-Tage finden in der Zeit vom 23. – 25.6.2017 statt. Im Vorfeld dazu wird es noch ein Sinfoniekonzert in der Semperoper mit Gennadi Roschdestwenski geben.

 Ingrid Gerk

 

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