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GÖTEBORG: DIE WALKÜRE. Premiere. Der „Ring“ geht platonisch weiter…

03.12.2019 | Oper

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Die Walküren feiern mit Bier. Foto: Lennart Sjöberg

GÖTEBORG: DIE WALKÜRE–Premiere am 1. Dezember 2019

 Der „Ring“ geht platonisch weiter…

 Vor einem Jahr begann mit dem Vorabend „Das Rheingold“ ein neuer schwedischer „Ring des Nibelungen“ im futuristischen Opernhaus von Göteborg an der Göta, zu dem sich mittlerweile ein weiterer skandinavischer „Ring“ an der Finnischen Nationaloper Helsinki gesellt hat, ebenfalls mit einem beeindruckenden „Rheingold“. Die GöteborgsOperan, ganz und gar dem Primat ökologischer und, wo möglich, auch klimaneutraler Ausrichtung ihrer Tätigkeiten zugetan, setzte den „Ring“ nun mit der „Walküre“ in einem recht schlichten, aber funktionalen Bühnenbild von Alison Chittyfort. Sie entwarf auch die weitgehend zeitgenössischen Kostüme, bei denen immer auch ein wenig auf den modischen Chic geachtet wurde, zumindest bei den Damen Wotans. In diesem Bühnenbild, einem großen Kasten aus Holzplatten mit einem kleineren darin für Sonderaktionen, geht es dem Künstlerischen Direktor des Mehrspartenhauses für Oper und Drama, Stephen Langridge, als Regisseur dieser Tetralogie vor allem um die menschlichen Schicksale. Und diese weiß er auch in der „Walküre“ wieder stark in Szene zu setzen, wenn auch nicht in allen Fällen die Solisten zur Verfügung standen, die dieses Regiekonzept auch vokal vollständig mit Leben hätten erfüllen können. Immerhin ist hervorzuheben, dass die Göteborg Oper auch die gesamte „Walküre“ mit schwedischen Sängern besetzen kann, was heute nicht vielen Häusern in Europa gelingt, aber zuletzt auch an der Sofia Nationaloper zu erleben war. So bilden sich langsam neue Ensembles von Wagner-Sängern heran, auch an Bühnen, die nicht im Wagner-Mainstream liegen und die somit die weiterhin große Nachfrage nach den Werken des Bayreuther Meisters ein entsprechendes Angebot entgegensetzen können.

Im schlichten und aufgrund der enormen Ausmaße der Göteborger Bühne weiten Raum, von Paul Pyant diesmal bei weitem nicht so fantasievoll und spannend ausgeleuchtet, sehen wir im 1. Aufzug noch die Weltesche im Hintergrund, mit einer blutroten Wunde an jener Stelle, der Wotan einst den Speer entschnitten hat. Diese blutende Wunde ist nun auch unter der Binde seines dabei verlorenen Auges zu sehen. Rot ist es auch an seinem Speer, der hier offenbar ebenfalls umweltschutzorientiert gewonnen wurde. Denn dieser gleicht mit seinem noch vorhandenen Astwerk einer Miniatur-Weltesche, also alles andere als dem Speermotiv entsprechend angsteinflößend. Die Hunding-Hütte ist ebenso wie der Aufenthaltsort Wotans im 2. Aufzug nur virtuell durch angedeutete Türrahmen zu denken, die durch einegelegentlich moderat angelassene Rotation der Drehbühne versetzt werden. Durch die müssen die Auf- und Abtretenden immer hindurch, auch wenn es direkt einfacher wäre. So steht das Bett Hundings, in dem der Betrogene in Tiefschlaf versetzt wurde, erst rechts, und ehe man es sich versehen hat, auf einmal links auf der Bühne…

Wie schon beim Vorabend übernehmen sechs Statisten, drei Damen und drei Herren, unauffällig gekleidet, alle möglichen Hilfestellungen und Nebenaktionen, um das Ganze in Schwung zu halten. So fungieren sie im 3. Aufzug sogar als an Lederzügeln geführte Schlachtrosse der Walküren! Obwohl sie eher unmerklich agieren, bringen sie etwas mehr Leben in die bisweilen doch spröde Szenerie. Exzellent gelingt der so oft vertane Kampf am Schluss des Mittelakts, bei dem Wotan oben mit Gewalt aus einer Türe tritt und mit einer symbolischen Bewegung seines Speeres Siegmund entwaffnet. Sofort werden drei Bruchstücke Nothungs (auch wenn Brünnhilde dann nur zwei mitgehen lässt) von den Statisten demonstrativ in die Höhe gehalten und so die Dramatik der Szene unterstrichen, in der die Waffen, auch der Speer Hundings, nur bewegungssymbolisch und nicht „invasiv“ verwendet werden.

Immer wieder sieht man Stellagen, die menschliche Konturen andeuten, auch bei den gefallenen Helden im 3. Aufzug. Statt der Personen selbst werden diese Stellagen gewissermaßen stellvertretend für die gemeinten Figuren, also symbolisch, zerstört, was der Optik eine gewisse Metaphysik verleiht, die das Ganze auf eine höhere Ebene hebt. Dazu passt auch ein Schriftzug „FRIHET“, schon zu Beginn auf der Hinterwand, FREIHEIT also, dem bald das Wort „LAGEN“ gegenübergestellt wird. Denn als Siegmund gefallen ist, streichen die Statisten „FRIHET“ durch, denn „LAGEN“ heißt GESETZ, wie mir meine Sitznachbarin auf Anfrage erklärte. Damit war alles gesagt!

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Annlouice Lögdlund, Anders Lorentzson. Foto: Lennart Sjöberg

Interessant ist auch Langridges Deutung des Heldenkonzepts in der „Walküre“. Er hebt hervor, dass Wotan eben einen freien Helden braucht, um den Fortbestand seiner Herrschaft zu sichern, und damit einen Menschen. Die Götter haben versagt und brauchen nun in einer Umkehr der üblichen Macht- und Lösungshierarchie Mensch-Gott die Menschen, um die Fehler der Götter zu bereinigen. So erscheint es nachvollziehbar und sinnvoll, dass wir im Walkürenritt auf der Wand hinter den Motorradbehelmten Maiden Fotos von prominenten Größen unserer – menschlichen – Zeit sehen, wie den Dalai Lama, Nelson Mandela, David Attenborough, Astrid Lindgren and andere Prominente. Dazu Bilder von lebenden oder bereits verstorbenen Angehören und Freunden der Belegschaft der Göteborg Oper, die der Regisseur um solche Beiträge bat – ein unkonventionelles, aber interessantes Vorgehen und so richtig skandinavisch demokratisch. Der Schluss ist dann ebenso klassisch wie optisch eindrucksvoll: Die schlafende Brünnhilde steigt auf einem Felsbrocken in die Höhe, der bald von einem Feuerring umgeben wird – Wotan geht langsam ab.

Womit wir zur musikalischen Seite der Aufführung kommen, die stimmlich, aber auch was die Tempi angeht, etwas zu wünschen offen ließ. Anders Lorentzson war wohl im „Rheingold“ ein guter Wotan, konnte als „Walküre“-Wotan die hier viel größeren vokalen Herausforderungen aber nur teilweise erfüllen. Sein Bassbariton hat zu wenig Volumen und Facettierungspotenzial für die emotionalen Gratwanderungen der Rolle, auch wenn er sie darstellerisch überzeugend meisterte. Annlouice Lögdlund erlebte ich bereits als Brünnhilde 2011 im schwedischen Karlstadt. Damals noch mit signifikantem dramatischem Aplomb, sang sie die Wotanstochter nun eher lyrisch mit recht hellem Timbre, dem für mehr vokale Ausdruckskraft die tieferen Töne fehlten. Auch sie war schauspielerisch sehr engagiert. Katarina Karnéus gab eine zeternde matronenhafte Fricka mit einem guten, aber nicht allzu großen Mezzo bei perfekter und ausdrucksstarker Diktion. Mats Almgren sang den Hunding mit einem etwas verquollen klingenden Bass. Der Loge des „Rheingold“, wo sein ins Charakterfach weisender Tenor gut passte, war nun Siegmund. Brenden Gunnell erwies sich aufgrund dieser Lage nicht unbedingt als beste Wahl und agierte auch zu uncharismatisch, ja bisweilen langweilig. Zudem war er nachteilhaft maskiert und sah etwa aus wie Rübezahl – oder sollte er ein Wikinger sein aus dem Nachbarland?! Seine Partnerin als Sieglinde, Elisabet Strid, auch international bis nach Bayreuth gefeierter Wagner- undRichard Strauss-Sopran, war hingegen die einzige der Protagonisten, die alle Anforderungender gesanglichen Gestaltung ihrer Rolle erfüllte. Viel stimmlicher und mit entsprechender Mimik gepaarter Ausdruck bei besten Höhen und auch charaktervoller Tiefe sowie zum Schluss ein berührendes und aus vollem Herzen gesungenes „Hehrstes Wunder…“ ließen keine Wünsche offen! Die Walküren waren stimmlich weitgehend einwandfrei und legten mit am Ende knallenden Bierflaschen eine Sondernummer als Walkürenritt hin.

Brenden Gunnell (Siegmund), Elisabet Strid (Sieglinde)
Brenden Gunnell, Elisabet Strid. Foto: Lennart Sjöberg

Der Göteborger GMD, Evan Rogister, dirigierte das Göteborg Opernorchester und wählte einen leichten federnden Klang, der recht gut zum allgemeinen optischen Eindruck passte, aber im 1. Aufzug und über Strecken des zweiten mit allzu langsamen Tempi daher kam. Das wirkte gerade im 1. Aufzug, der doch der aufregendste des ganzen „Ring“ ist, zeitweisenahezu lähmend. Erst ab dem Walkürenritt kam dann auch ein gewisses musikalisches Pathos auf, und die Balance zwischen Musik und Bühne stimmte bestens.

Es wäre zu wünschen, dass sich das leading team für den „Siegfried“ im kommenden Jahr etwas mehr einfallen lässt, am besten zur dramaturgischen und optischen Qualität des „Rheingold“ zurückfinden könnte. Vielleicht sollte man es auch mit der ökologischen Ausrichtung dieses „Ring“ etwas lockerer nehmen. Dafür muss dann auch nicht gleich Greta Thunberg schon „als Heldin in unserem Walhall“ sein, wie der Regisseur es mit einem gewissen Lokalpatriotismus und einem kräftigen „Hojotoho“ im Programmheft kundtut…   

 Klaus Billand

 

 

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