Carlo Pedrotti: Fiorina o la fanciulla di Glaris • Aula der Kantonsschule Glarus • Vorstellung: 20.05.2022
Wiedererstaufführung in neuer Zeit (2. Vorstellung • Premiere am 19.05.2022)
«Puro celeste balsamo»
Von himmlisch reinem Balsam singen Rodingo und Fiorina in der vorletzten Szene der Oper «Fiorina», als sie nach den obligaten Irrungen und Wirrungen endlich zueinander gefunden haben. Himmlisch reiner Balsam im Sinne von Schmelz und Melodie ist auch die Musik von Carlo Pedrottis achter Oper, mit der er den Durchbruch schaffte.
Geboren wurde der Veroneser Lehrer, Dirigent und Komponist Carlo Pedrotti am 14. März 1817. Über den Komponisten ist nur wenig bekannt, weil er von Anfang an und mit fortschreitender Karriere immer stärker im Schatten Giuseppe Verdis und, was vor allem die internationale Rezeption angeht, im Schatten Richard Wagners und anderer Zeitgenossen stand. Besser dokumentiert ist sein Schaffen als Dirigent und Lehrer, bedingt durch die Ämter, die er im Verlauf seines Lebens innehatte, bevor er am 16. Oktober 1893 in die Wasser der Etsch ging. Umso aufschlussreicher ist, wenn es um den Komponisten Pedrotti geht, die Analyse seiner Oper «Fiorina».
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Nachdem Pedrotti von 1840 bis 1845 als Dirigent italienischer Opern in Amsterdam engagiert war, war er 23 Jahre ein zentrale Persönlichkeit des Musiklebens seiner Heimatstadt Verona, wirkte als Lehrer, Komponist und Dirigent am Teatro Nuovo und Teatro Filarmonico. Von November 1868 war Pedrotti in Turin Direktor des Liceo musicale und Direktor und Dirigent des Teatro Regio. Von 1882 war er dann Direktor mit einem Legat Rossinis neu gegründeten Liceo musicale in Pesaro und organisierte 1892 die Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag des Schwans von Pesaro. Krankheitsbedingt zog sich Pedrotti nach dem Abschluss der Feierlichkeiten in seine Vaterstadt zurück.
Ersten musikalischen Unterreicht erhielt Pedrotti von Bartolomeo Taddei, Organist am Dom S. Maria Assunta. Domenico Foroni, Komponist und damals Direktor des Teatro Filarmonico, wo Pedrotti seine ersten Schritte machen sollte, führte die Ausbildung weiter. Pedrotti komponierte und dirigierte parallel. Die ersten beiden Opern wurden nicht aufgeführt, bevor 1840 gleich zwei Opern uraufgeführt wurden. Mit dem Melodramma semiserio in due atti «Fiorina, o La fanciulla di Glaris», uraufgeführt am 22. November 1851 im Teatro Nuovo in Verona, gelang Pedrotti der Durchbruch (Verdis Rigoletto wurde im gleichen Jahr uraufgeführt). Sein bekanntestes Werk wurde die Commedia lirica «Tutti in maschera», uraufgeführt am 4. November 1856 im Teatro Nuovo in Verona.
Pedrottis Wirken als Dirigent findet seinen Niederschlag in «Fiorina, o La fanciulla di Glaris». Zugleich bestätigt das Werk seine späteren Verdienste als Dirigent, als er in Turin zahlreiche italienische Erstaufführungen zeitgenössischer französischer und deutscher Opern einstudierte und das Teatro Regio so zu einem der führenden Opernhäuser Italiens machte. Es ist nicht zu überhören, dass Pedrotti das Schaffen der grossen Romantiker Bellini und Donizetti ebenso kannte wie das frühe Schaffen Verdis, dessen Veroneser Erstaufführungen er praktisch alle selbst einstudiert hatte. Pedrotti war es auch, der erstmals in Verona Beethoven (5. Sinfonie und «Christus am Ölberge») aufführte. Der Komponist, der auch schon Libretti von Persönlichkeiten des Fachs wie Felice Romani oder Gaetano Rossi vertont hatte, kopierte seine Vorbilder nicht nur, sondern hat ihr Schaffen eigenständig verarbeitet. Das Libretto des Veroneser Adligen Benedetto Serenelli zählt nicht zur zeitgenössischen Dutzendware: Die übliche Dreiecksgeschichte vom Sopran Fiorina (Prima Donna Soprano), die den Tenor Rodingo (Primo Tenore) liebt und dem Bariton Ermanno (Baritono), der, weil der Vater Fiorinas in ihm den geeigneten Gatten für seine Tochter sieht, intrigiert, ist hier um den Buffo Comico Giuliano als Frauenheld ergänzt. Zudem hat der Schweizer Kanton Glarus in jener Zeit im aufkommenden Fremdenverkehr kaum Bedeutung und das Personal der Oper ist mit der Schweizerin Fiorina, dem Lombarden Rodingo und dem Franzosen Giuliano überraschend international besetzt. Zu einem reizvollen Libretto hat Carlo Pedrotti höchst melodiöse, hochromantische Musik komponiert.
Der schottische Tenor Harry Nicoll gibt mit grossem Wohlklang den Wirt Eugenio, in und um dessen Herberge sich die Handlung abspielt. Die Amerikanerin Elisa Doughty singt Eugenios ältere Tochter Giannetta. Seine jüngere Tochter ist Fiorina, die von Sybille Diethelm verkörpert wird. Ihr gebührt die Krone des Abends: sie singt die Fiorina mit hellem, klarem, wunderbar jugendlichem Sopran, strahlenden Höhen und blitzsauberen Koloraturen. Aram Ohanian gibt den französischen Maler mit kernigem Bariton und wohldosierter Komik. Francisco Mañalich singt den Rodingo mit herrlichem Schmelz und guten Höhen. Thill Mantero gibt den Ermanno mit wohlklingendem Bariton.
In den Kollektiven sind mehrheitlich «Laien» am Werk: umso deutlicher ist aber die Leidenschaft zu spüren. Katharina Jud hat den Glarner Kammerchor und Mitglieder des Glarner Singvereins bestens einstudiert, so dass sie ihre Rolle mehr als nur erfüllen können.
Das mit Zuzügern verstärkte Glarner Kammerorchester unter musikalischer Leitung von Reto Cuonz spielt klanglich hervorragend austariert höchst konzentriert und trägt die Solisten gefühlvoll durch den Abend.
Eine mehr als lohnende, auf jeden Fall bereichernde Entdeckung: Hier gilt: «Das Beste [Verdi] ist der Feind des Besseren [Pedrotti]» (und nicht wie sonst: „Das Bessere ist der Feind des Guten“).
Weitere Aufführungen:
Samstag, 21.05.2022, 19.30, Aula der Kantonsschule Glarus;
Sonntag, 22.05.2022, 16.00, Aula der Kantonsschule Glarus.
21.05.2022, Jan Krobot/Zürich