Gioacchino Rossini: „Die Komponisten unserer Tage sollen die Opern unseres Papa Mayr studieren und sie werden darin alles finden, was sie suchen und was ihnen von Nutzen sein wird.“
Giovanni Simone Mayr – Der Vater der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts
Die Kunst eines guten Opern-Spielplans, soweit dürfte Einigkeit bestehen, besteht in einer guten Mischung der gezeigten Werke. Dazu gehören die Kernwerke des Repertoires gleichermassen wie „Raritäten“. Dieser Pool der Kernwerke ändert sich mit dem Lauf der Zeit ganz natürlich. Was damals „Kernwerk“ war, wird heute kaum noch gespielt, und was einmal Rarität war, kann heute an der Schwelle zum „Kernwerk“ stehen. So wie zum Beispiel „Zar und Zimmermann“ heute kaum noch auf den Spielplänen auftaucht, sind Barock-Opern oder Rossinis-Opern jenseits des Barbiers heutzutage Alltag.
Zu den Komponisten, die einmal die Spielpläne dominierten, dann vergessen gingen, und noch nicht (wirklich) wieder entdeckt wurden, gehört der Bayer Johann Simon Mayr.
Giovanni Simone Mayr, wie er sich später in Italien nannte, wurde am 14. Juni 1763 in Mendorf im Altmühltal geboren. Bevor er um 1773 einen Freiplatz am Gymnasium der Jesuiten in Ingolstadt erhielt, führte ihn sein Vater, Lehrer und Organist, an die Musik heran. Um 1780 wurde der Bündner Thomas Franz Maria de Bassus, Studiendirektor und Gründungsmitglied des Illuminatenordens, auf den jungen Organisten aufmerksam und förderte ihn nach Kräften. 1787 floh Mayr mit de Bassus, auf dessen Schloss Sandersdorf, wo er als Musiklehrer tätig war, nach Poschiavo. Seit den 1780er-Jahren besass de Bassus hier, im Heimatort seiner Familie, wo er mehrfach das Amt des Podestà bekleidete, eine Druckerei, in der er aufklärerische Schriften und ein eigenes, laizistisches Schulbuch druckte. Unklar ist, wie Mayr dann von Poschiavo nach Bergamo kam. Möglicherweise war sein zukünftiger Lehrer Carlo Lenzi einmal in Bayern und wurde so auf Mayr aufmerksam (Vermerk auf der Lamentazione seconda per il Mercoledì Santo (1771): »di Carlo Lenzi Maestro a Baviera in Germania«.) In Bergamo wurde Graf Vincenzo Pesenti, Musikliebhaber und Mitglied des lokalen Hochadels, Mayrs neuer Förder und schickte ihn 1789, als Mayr mittellos nach Bayern zurückkehren wollte, mit allem Nötigen nach Venedig um sich dort weiterzubilden. In Venedig widmete sich weiter der Sakralmusik und erhält Unterricht von Fernando Bertoni, Kapellmeister von San Marco. Ermutigt von Komponisten wie Noccolò Piccinni und Peter Winter 1794, begann in der Lagunenstadt Mayrs Karriere als Opernkomponist. Rasch wurde Mayr zum bedeutendsten Opernkomponisten Italiens jener Zeit. Als Mayr 1802 die Kapellmeisterstelle an Santa Maria Maggiore in Bergamo übernehmen konnte, kehrte er, der sich wie es scheint mit dem zeitgenössischen Opern-Business nie anfreunden konnte und in Venedig nicht wirklich heimisch wurde, ins ruhige Bergamo zurück. Hier sollte Mayr, dem erfolglos Theaterdirektionen in Lissabon, Paris, London und Sankt Petersburg, der Kapellmeisterposten in Dresden oder die Leitung des Liceo Musicale in Bologna angeboten wurden, bis zu seinem Lebensende bleiben und sich engagieren. Seit den 1820er-Jahren liess Mayrs Augenlicht nach und entsprechend auch sein kompositorisches Schaffen. Am 2. Dezember 1845 starb Mayr 82jährig in Bergamo. Dreissig Jahre später, 1875 wurden die Särge von Mayr und seinem Schüler Gaetano Donizetti feierlich in die Basilika Santa Maria Maggiore übertragen.
Weshalb lohnt sich die seit gut zwanzig Jahre massgeblich von der Internationalen Simon-Mayr-Gesellschaft und dem Dirigenten Franz Hauk betriebene Wiederentdeckung Mayrs?
1) Giovanni Simone Mayr ist der „Missing link“ zwischen der Opera seria des 18. Jahrhunderts und der romantischen Oper und dem Melodramma des 19. Jahrhunderts. Mayr brachte die Wiener Klassik, die französische und italienische Oper seiner Zeit zusammen und schuf einen genuin neuen Stil.
2) Mayrs Instrumentationskunst und Behandlung der Singstimmen ist eine interessante und bereichernde Ergänzung zum Kanon der Belcantisten Rossini, Bellini und Donizetti.
Gaetano Donizetti an Simon Mayr, Neapel, 7. August 1830: „Schon beim Namen von Mayr verneigen sich alle, und … wenn man ihn Papa Simone nennt, sagen sie, dass es nichts darüber hinaus gibt!“
03.05.2020, Jan Krobot/Zürich