Der Dirigent Giancarlo Guerrero, langjähriger Chefdirigent des Nashville Symphony Orchestra, sprach mit unserem Redakteur Dirk Schauß in einem intensiven Austausch über die Licht- und Schattenseiten des Dirigentenberufes. Ein sehr persönliches und ausführliches Gespräch mit Seltenheitswert, das in englischer Sprache geführt wurde.
Giancarlo Guerrero. Foto: Dirk Schauss
DS:
Lassen Sie uns zunächst einen Blick auf das Programm des aktuellen Frankfurter Museumskonzertes werfen. Ich denke, es ist ein ziemlich fröhliches und großartiges Programm. Spanische Musik.
GG: Spanisch nach verschiedenen Nationalitäten, einschließlich des armenischen Chatschaturian. Aber auch er hat diesen sehr spanischen Rhythmus in seinem Werk.
DS: Was ist für Sie als Dirigent die Herausforderung dieses Programms?
GG: Nun, zunächst einmal ist dies ein virtuoses Programm. Alles hat einen tiefen Einfluss auf das Orchester. Nicht nur als Ensemble, sondern individuell. Jeder Musiker bekommt seine Gelegenheit, seine Fähigkeiten zu zeigen. Aus dieser Perspektive ist es also eine Freude als Dirigent, das notwendige Umfeld zu schaffen, in dem jeder dieser einzelnen Musiker sein Bestes geben kann. Und ich glaube wirklich, dass in diesem speziellen Fall mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester, das im Grunde den größten Teil seiner Zeit im Graben verbracht hat, die Chance besteht, wirklich zu zeigen, was für ein erstaunlich virtuoses Orchester es ist. Und ich denke, das Publikum hier würde das zu schätzen wissen, weil das Orchester die meiste Zeit verborgen im Orchestergraben spielt.
Und das ist für mich eine der großen Herausforderungen. Und obwohl es spanische Musik ist, haben Sie die armenische Version des Violinkonzerts und es hat eine andere Farbmischung. Aber von der ersten Probe an, wie bei meinem ersten Besuch hier, herrscht eine wunderbare Chemie mit diesem Orchester. Wir sind also hier, um der Musik zu dienen, und sie ist so festlich, dass sie erhebend ist. Es macht, wie gesagt, viel Spaß, diese Musik für das Orchester und auch für das Publikum zu spielen.
DS: Ick kenne dieses Orchester seit meiner Kindheit.
GG: Offensichtlich ist es hier ein einzigartiges Orchester! Und diese Musik zu spielen, wissen Sie, es ist auch ein Schaufenster. Oh, Musik ist eine universelle Sprache. Und ich glaube wirklich, dass wir nach der Pandemie das brauchen. Dieses Programm ist so erhebend! Und ich denke, ich konnte es von den Spielern und von mir selbst und auch für das Publikum spüren. Hier sind wir. Und es erinnert uns daran, warum wir Orchestermusik lieben.
DS: Und ich denke, gerade diese Musik liegt Ihnen sehr nah am Herzen, weil Sie ein Meister des Rhythmus sind.
GG: Ich habe ein sehr inneres Gefühl dafür. Es ist in mir. Und wissen Sie was? Es hilft bei Mozart und bei anderen großen Komponisten natürlich ebenso. Dieser innere Rhythmus ist nicht nur für das 19. oder 20. Jahrhundert. Es ist, wie wenn du Musik sprichst, es ist wie Sprechen, wie Kommunizieren. Und es muss einen Rhythmus haben. Es ist eine Freude.
Aber gleichzeitig ist dieses Programm ein Fest der Farben. Ich meine, wir haben den Rimsky-Korsakov. Er war Strawinskys Lehrer. Und deshalb haben wir das wundervolle 20. Jahrhundert, das Sie sehen, wie es die Ideen des 19. Jahrhunderts verändert und das Orchester auf diese Farbpalette umstellte. Mit all den Harmonien und Rhythmen. Es ist bemerkenswert. Was es viel schwieriger macht, weil es eine ganz bestimmte musikalische Sprache ist, die man sprechen muss. Aber diese Frankfurter Musiker sind so grandios. Und mit der richtigen Probenzeit können sie experimentieren und ausloten, was alles möglich ist.
DS: Was ist mit der Oper? Welche Beziehung haben Sie zu dieser Kunstform?
GG: Zu Beginn meiner Karriere habe ich viel mehr Oper gemacht. Heutzutage bin ich sehr stark als Sinfoniedirigent beschäftigt. Aber auf jeden Fall würde ich das Privileg und die Ehre schätzen, mehr Oper zu machen. Mein Zeitplan war in letzter Zeit zu gut gefüllt, weil ich Musikdirektor in Polen und in Amerika bin. Ja, aber das ist nun meine letzte Saison in Polen. Ein wichtiger Grund ist also, dass ich hoffentlich mehr Oper in Zukunft dirigieren kann. Ich muss Ihnen sagen, dass ich im Orchestergraben der glücklichste Mensch war. Die Kombination aus Drama oder Komödie. Und Text mit Musik ist das Beste. Und wenn ich Operndirigent war, habe ich vor allem das italienisch-französische Standardrepertoire gemacht. Oh mein Gott, es ist so eine Freude. Ich kann mir nur das Privileg vorstellen, wieder eine Oper zu machen. Wissen Sie, ein Opernklassiker hier in Frankfurt, wäre ein wahr gewordener Traum!
Was habe ich von der Oper gelernt? Phrasieren, Phrasieren und Ausbalancieren, wirkliches Zuhören und die Fähigkeit, die Musik zu atmen. Das bekommt man von der Oper und vom Gesang. Eine der besten Ausbildungen, die ich als Dirigent hatte, war auch die Arbeit mit großartigen Solisten. Sie bringen dir diese Fähigkeit so natürlich bei, du weißt schon, Musik natürlich zu machen. Ich denke, es ist ein absolut wichtiger Teil des Dirigenten. Die Atmung ist so wichtig. Wir neigen dazu, das zu vergessen.
DS: Sie sind also Chef von zwei Orchestern und ich glaube erster Gastdirigent Lissabon.
GG: Im zweiten Jahr in Lissabon.
DS: Wie gehen Sie mit dieser großen Anforderung um?
GG Es ist das Leben, das wir wählen, wissen Sie.
DS: Weil es so weit weg ist, in Nashville und auch in Polen zu sein?
GG: Das ist es. Es ist das Leben, das wir gewählt haben. Und für mich. Ich bin der glücklichste Mensch der Welt. Ich kann mein Hobby beruflich betreiben. Das habe ich nach der Schule gemacht, das wurde plötzlich zu meinem Leben. Und am glücklichsten bin ich, wenn ich an all diesen verschiedenen Orten Musik machen darf, die übrigens so unterschiedlich sind. Sie sind alle unterschiedlich.
Aber wir alle versuchen, die Sprache der Musik zu vermitteln. Und nicht jeder Ort, an den sie gehen, ist erfolgreich. Du musst großartig sein. Aber die Chemie mit dem Orchester muss stimmen. Und es ist faszinierend für mich, wie es gelingt. Es kann anstrengend sein. Oder ein Jetlag dich lähmen. Ich habe eine sehr geduldige Familie. Wissen Sie, meine Frau und meine Kinder, wir haben nicht das perfekte Familienleben gelernt, aber wir haben gelernt, damit umzugehen. Aber sie verstehen, dass mich meine musikalische Arbeit am glücklichsten macht. Wenn ich keine Musik mache, ist es sehr schwierig für mich.
Wenn ich mich mit jungen Dirigenten treffe, dann sagte ich: seien Sie vorsichtig, was Sie sich wünschen, denn Sie könnten es bekommen!
Es ist sehr harte Arbeit. Es ist sehr einsam. Wissen Sie, was ich am meisten vermisse? Aus meiner Orchesterzeit? Kameradschaft! Ich vermisse das. Teil eines Orchesters sein. Ich meine, dass Dirigieren ist ein sehr einsamer Beruf ist. Und das glamouröse Leben des reisenden Musikers ist nicht sehr glamourös.
Aber doch, wie heute Morgen, die Probe. Ich beende sie und ich denke, ich habe so viel Glück. Um mit diesem unglaublichen Orchester auf diesem Niveau Musik zu machen, kann ich mir nicht vorstellen, irgendetwas anderes zu tun.
DS: Und jetzt sind Sie sehr lange in Nashville Musikchef und haben dort, wie ich finde, eine ganz herausragende Erfahrung gemacht, die hier in Deutschland immer noch extrem schwierig ist. Was Sie dort geschafft haben, ist aus meiner Sicht das Zentrum für neue Musik, Sie wissen schon, ein Zentrum der Avantgarde aufgebaut zu haben, sagen wir mal. Und das ist ziemlich schwierig, ein Publikum zu schulen, dies zu akzeptieren.
GG: Für mich ist es sehr einfach. Alle Musik war einmal neu. Brahms, Bruckner und Strawinsky auch. Und nicht alle Premieren waren gut. Ich denke, wir mögen das Bequeme, wir mögen die alte Art, wie wir sind, wir denken in vielerlei Hinsicht sehr konservativ als Menschen, und das gilt für Musik, für Kunst, gilt für alles. Aber es ist wunderbar, dass wir Künstler haben, die immer Druck machen.
Nach Mahlers Tod wurde seine Musik vornehmlich von Walter und Klemperer und später von allen anderen dirigiert. Das müssen wir auch mit anderen Komponisten tun. Also folge ich im Grunde nur dieser Idee. Ich gebe neuer Musik eine Stimme. Und nicht nur die Musik spielen, ich nehme sie auf. Hoffentlich können andere Dirigenten das hören.
Wie wird Tanzmusik zum Standard? Indem man sie viel spielt. Daher muss neue Musik nicht nur von mir, sondern von vielen Dirigenten und vielen Solisten dargeboten werden.
Über viele Jahre hinweg haben wir verstanden, dass es wichtig ist, von Beethoven bis Schostakowitsch zu spielen. Es ist also ein Prozess. Also habe ich dieses Erlebnis für unser Publikum geschaffen und die Tatsache, dass wir diese neue Musik live aufnehmen. Das Publikum ist also ein Teil davon.
Wir haben Einführungsvorträge gehalten, wir machen alles, um die Zuhörer mitzunehmen. Und ich sage: Hör dir das an. Ich mache es dir ganz einfach. Also machen wir einfach weiter. Wenn wir das nicht tun? Dann werden wir zu Dinosauriern.
Wissen Sie, ich mag Käsekuchen sehr. Ja, und ich liebe Wiener Schnitzel sehr. Aber wenn ich nur das immer essen würde, dann würde es schnell an Reiz verlieren. Und so ist es mit der Musik.
Ich meine, ich liebe Brahms und Bruckner. Ich liebe sie, aber es würde mich langweilen, mich nur auf wenige Komponisten zu konzentrieren.
DS: Die Balance zwischen alter und neuer Musik.
GG: Ich brauche sie. Ja, absolut.
DS: Die Balance aus unterschiedlicher Musik prägte auch Ihre Lebensgeschichte, weil Sie seit Ihrer Kindheit diese Balance verschiedener Musikrichtungen haben, wenn Sie zwischen der Musik von Julio Iglesias, die Ihre Mutter liebte und der Mariacci-Musik Ihres Vaters aufgewachsen sind.
GG: Ich denke an meine Eltern, ja. Haha, Sie haben Ihre „Hausaufgaben“ sehr gut gemacht! Aber die meisten Menschen denken nicht an klassische Musik, wenn sie an Costa Rica denken.
DS: Und was war der Ausgangspunkt für Ihren musikalischen Weg?
GG: Wir haben bei Null angefangen, meine Familie und ich, und sie wollten mich beschäftigen. Also haben sie mich für das Jugendsymphonie Orchester angemeldet. Meine Eltern dachten, ich hätte ein Ohr für Musik, da ich als Kind viel gesungen habe. Und so wurde die Musik ein Hobby.
DS: Und dann Leidenschaft.
Gab es einen Schlüsselmoment, in dem Sie sich entschieden haben, Dirigent zu werden?
GG: Nein, ich hatte Schlagzeug gespielt und war glücklich. Auch Dirigieren gehörte zur Ausbildung und ich stellte mich damit gut an. Vielleicht habe ich deshalb einen guten Rhythmus. Am Ende des Semesters sagte der Dirigentenlehrer: Weißt Du, es sieht so aus, als hättest du ein sehr natürliches Talent. Du siehst mit dem Taktstock sehr natürlich aus und hast einen guten Rhythmus.
DS: Das ist sehr interessant, dass Sie Erfahrung als Schlagzeuger hatten, weil so viele Dirigentenkollegen als Schlagzeuger angefangen haben.
GG: Ja, das stimmt.
Dirigieren ist letztlich ein alter Männerberuf. Ich meine, wir haben jetzt die jüngeren Dirigenten, und ich meine talentierte Kollegen. Aber man braucht so viele Jahrzehnte Entwicklung. Wenn Sie zum ersten Mal die fünfte Sinfonie von Beethoven oder Brahms erste Sinfonie dirigieren, werden Sie auf viele Minen treten. Wir werden es tun, wir machen viele Fehler. Und es tut mir leid, ich möchte meinen ersten Firebird nicht vor dem Chicago Symphony Orchestra dirigieren.
Sie wollen sich weiterentwickeln, Sie wollen Ihre Persönlichkeit entwickeln, wer Sie auf dem Podium sind. Und das braucht am Anfang etwas Zeit, um herauszufinden, wer man ist. Wenn Carlos Kleiber das tut, ist es selbstverständlich. Wenn Sie dies genauso tun wollen, ist es eine schlechte Kopie. Ja, weil es für ihn selbstverständlich ist. Solti oder Bernstein hatten ihren ganz eigenen Stil. Es funktionierte, weil dieser natürlich war. Aber wenn Sie es tun, ist es ein Durcheinander, weil es eine schlechte Kopie ist. Und das braucht Zeit, um deinen Stil zu entwickeln. Auch um eigene Stärken herauszufinden und auch die Schwächen.
Wir machen nicht alles großartig aufgrund unserer Persönlichkeit, aufgrund dessen, wer wir sind.
Und es gibt Stücke, die ich liebe und verehre, denen ich nicht näher kommen möchte, weil ich das Gefühl habe, dass ich es nicht gut machen würde. Es würde eine schwierige Zeit werden.
Wie gesagt, ich liebe verschiedene Werke, aber ich könnte mir nicht vorstellen, wie ich es besonders gut hinbekomme. Zum Beispiel die letzte Sinfonie von Schubert.
Was für ein Stück. Ich habe Angst davor. Ich hoffe, dass ich eines Tages darüber hinwegkomme. Aber im Moment lasse ich es andere machen.
DS: Ich denke, es ist die ganze Reise mit der Musik. Es braucht Zeit. Und Sie müssen geduldig sein.
GG: Sie müssen wissen, was Sie tun, geduldig und demütig sein. Ich habe keine Angst davor, neue Dinge auszuprobieren. Aber noch wichtiger ist, herauszufinden, wer Sie sind. Als Dirigent. Als eine Person. Als ein Künstler. Und finden Sie heraus, was Ihre Stärken sind, und setzen Sie sie ein.
Und dann konzentriere ich mich auf die Sachen, von denen ich wirklich weiß, dass ich etwas zu sagen habe, dass ich etwas zu bieten habe. Und Musiker können das 1000 Meilen entfernt spüren. Wenn es eine Sache gibt, die Orchestermusiker und nicht nur Musiker sehr gut wissen, können sie einen Betrug erkennen, noch bevor sie dort oben stehen. Sie wissen genau, was kommt.
DS: Gibt es andere Dirigenten, die Ihnen auf Ihrem Weg als Dirigent und für Ihre Entwicklung ein Vorbild sein könnten?
GG: Als ich meinen Master gemacht habe, das waren die Solti-Jahre. Oh ja. Und Abbado war Erster Gastdirigent und Giulini. Ich hatte großes Glück, dass ich viele, viele Dirigenten aus der Ferne beobachten konnte. Und ich war schon immer sehr fasziniert. Ich habe jede Biografie von allen gelesen. Ich finde es reizvoll, wie jeder einzelne von ihnen seinen Weg beschritten hat und wie viele von ihnen sehr seltsame Persönlichkeiten sind. Ich studiere gerne den psychologischen Teil davon, wie sie etwas erreichen und überzeugen konnten.
Gut oder schlecht? Lernen, was man nicht tun sollte. Zu lernen, was zu tun ist, ist wirklich schwierig, denn wenn ein Dirigent es so gut macht, wenn Sie dann versuchen, das auch zu tun, was er wieder tut, dann wird es eine schlechte Kopie.
Ich würde für mich sagen, dass ich bis heute in meiner Freizeit gerne Konzerte besuche. Ich liebe es, meinen Kollegen zuzusehen. Wenn ich zu einer Probe gehen und sie mir ansehen kann. Ich finde es faszinierend.
Ich weiß, dass es einen Weg gibt, wie Musiker dich immer respektieren werden. Du musst etwas zu sagen haben! Es ist besser, eine schlechte Idee zu haben, als keine.
Kommen wir zu den Musikern, um uns auf irgendetwas zu einigen. Und wenn es um Ehrlichkeit geht, wenn es wirklich eine Verpflichtung ist, die eigene Idee zu verwirklichen, Musiker werden das spüren und mitmachen. Und sie werden Sie respektieren, dass Sie etwas auf den Tisch bringen, denn sonst kommen Sie und Sie haben nichts zu sagen. Was werden die Musiker tun? Sie spielen genauso. Kein Wunder, dass sie sich langweilen. Aber wenn sie einen Dirigenten haben, der etwas zu sagen hat, reagieren sie positiv darauf. Sie respektieren es. Also für mich ist es besser, schlechte Ideen zu haben, als keine Ideen.
DS: Ich denke, aufgrund meiner vielen Erfahrungen beim Beobachten von Dirigenten geht es um Führung. Ja. Du musst klar sein. Die Funktion der Führung und vor allem über das Ziel, was Sie die Idee nennen. Sie müssen eine Idee haben und diese Idee nicht mit vielen Worten, sondern mit klaren, darf ich sagen, Bildern übersetzen?
GG: Kreativ sein, man muss auf das zurückkommen, was ich gesagt habe. Das braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Eine klare und auch bildreiche Kommunikation ist wichtig. Der Dirigent ist ein Lehrer. Vor allem bei Mahler. Mahler? Ich denke, er ist etwas ganz Besonderes, weil er so emotional ist. Extreme. Traurigkeit. Glück. Freude. Hoffnung. Alle seine Symphonien sind im Repertoire von so vielen Orchestern.
DS: Mahlers Symphonien sind randvoll mit tiefer Aussage.
GG: Für mich ist es die Emotion. Ja, das glaube ich wirklich. Für ein Orchester ist es eine unglaubliche Herausforderung. Sie lieben es, Mahler zu spielen. Für Dirigenten ist es am einfachsten zu dirigieren. Es ist alles niedergeschrieben. Du musst es „nur“ umsetzen. Mahler sagt dir genau, wie du dich verhalten sollst.
DS: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft, abgesehen von hoffentlich mehr Opernmusik?
GG: Musik machen! Das war immer der Plan. Und irgendwann in meinem Leben war mein erster Job, eine Country-Band zu dirigieren. Ich hatte gerade geheiratet und das sollte mein Leben sein. Ich würde Musik machen. Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden. Ich möchte einfach weiter Musik machen und die Möglichkeit haben, diese Freude mit Musikern, mit dem Publikum, mit Solisten zu teilen und neue Dinge zu lernen. Allerdings glaube ich nicht, dass ich genug Jahre in meinem Leben haben werde, um alles zu tun, was ich tun möchte.
DS: Sagen Sie mir, haben Sie als Dirigent ein Credo, etwas, woran Sie glauben?
GG: Für mich ist es wirklich wesentlich, eine Partitur zu kennen und zu verstehen, was über die offensichtlichen Noten hinausgeht, wirklich zu verstehen, was der Komponist sagen wollte, bevor Sie das Privileg haben, vor einem Orchester zu stehen. Das ist für mich extrem wichtig. Wenn du gehst und ein Orchester dirigierst und ein Stück machst, selbst wenn du das Stück kennst, gibt es einen Teil von mir, dass ich das Gefühl haben muss, dass ich dessen würdig bin. Es ist der Studienprozess, das Dirigieren ist der einfache Teil, der schrittweise Prozess, eine Partitur zu lernen und zu verstehen. Ich erinnere mich auch, als ich in meinen Zwanzigern war, nun bin ich nicht mehr dieselbe Person. Wir gehen durch so viele Phasen. Jetzt, sogar letztes Jahr vor COVID, war ich eine andere Person, also war auch dann mein Musikmachen natürlich anders.
Ich möchte die Stücke nicht immer wieder auf die gleiche Weise machen. Nein, ich will sie neu entdecken. Wissen Sie, ich kaufe mir immer wieder eine neue Partitur, wenn ich ein mir bekanntes Stück mache. Ich beginne gerne neu, und dann vergleiche ich und sage: Mein Gott, was habe ich mir dabei gedacht?
Als meine Kinder klein waren, war ich ein anderer Dirigent. Als sie Teenager waren, war es eine andere Art zu dirigieren, als sie erwachsen waren. Jetzt bin ich wieder ein anderer Mensch. Und ich liebe es, wenn ich mir die Musik ansehe, ist sie wieder anders. Ich denke daran und es ist faszinierend. Ich liebe das. Es ist, als würde man sich wieder mit einem alten Freund verbinden. Vor allem, wenn es ein Stück ist, das ich seit zehn Jahren nicht mehr gemacht habe.
Und dann kommen Sie zurück und dann fangen Sie an, es zu betrachten, und manchmal kommt alles zurück, und manchmal, als ich das zum ersten Mal tat, hatte ich keine Ahnung. Ich habe keine Erinnerung daran.
Also jedes Stück, an dem ich arbeite, das motiviert mich. Da bekomme ich Lust ins Flugzeug zu steigen und nach Polen oder Deutschland zu reisen, um es aufzuführen.
DS: Vielen Dank für das inspirierende Gespräch und viel Glück für die Konzerte.
GG: Vielen Dank, es war mir eine große Freude!