Gesangswettbewerb „Klaudia Taev“ – Pärnu, 14 – 19.09.2021
Die Protagonisten des „Turco in Italia“ mit dem Dirigenten Erki Pehk (Foto : Promfest)
Tradition wird bei diesem Wettbewerb groß geschrieben : Traditionell wird der der Gesangspädagogin Klaudia Taev gewidmete Konkurs (zu ihren Schülern gehörte u.a. Gorg Ots) alle zwei Jahre im estnischen Pärnu ausgetragen, traditionell steht eine Sängerin der Jury vor, traditionell gehört Schuberts Ave Maria zum Pflichtkanon, und traditionell erhalten die Gewinner nicht nur Geldpreise, sondern darüber hinaus die Gelegenheit, zwei Jahre später in einer szenischen Opernproduktion in Hauptpartien mitzuwirken.
Kompliment an die Jury des Jahres 2019, die eine wirklich gute Auswahl getroffen hat. In Rossinis „Il turco in Italia“ fielen 3 Preisträger des 2019er Wettbewerbs ausgesprochen positiv auf, mit interessant-individuell timbrierten Stimmen und großer Eignung für die für Rossini erforderte Agilität : die Ukrainer ANNA TVERDOVA (Fiorilla) und VLADYSLAV TIUSHCH (Prosdocimo) sowohl der Armenier SARGIS BAZHBEUK-MELIKYAN in der Titelrolle. Der ukrainische Bass TARAS BEREZHANSKY, der 2017 zu den Preisträgern gehörte, nennt ein imponierendes, aber für Don Geronio weniger geeignetes Material sein eigen, während der russische Tenor YURI ROSTOTSKY (Preisträger 2015) als Narciso mit seinem weißen Timbre und ziemlich körperloser Tonproduktion eher unangenehm auffiel. Als Zaida ergänzte die Litauerin KAMILA BONTÉ.
Zu den Traditionen des PROMFEST genannten Festivals, von dem der Wettbewerb ein Teil ist, gehört (leider) auch, dass die Opernproduktionen Künstlern anvertraut werden, zu deren bisherigen Tätigkeiten das Regie-Handwerk nicht gehörte, so z.B. einem Choreographen „Die Zarenbraut“ (2013), einem Designer „Aida“ (2015) und nun „Turco in Italia“ einem älteren Schauspieler des Endla-Theaters, in dem die Vorstellung stattfand. Seine „Idée fixe“ (oder sollte man nicht besser sagen, fixe Idee) war es, das Stück im Stile einer „soap opera“ aufzuführen, eine Idee, die (zumindest bei mir) für wenige Minuten Aufmerksamkeit und ansonsten viel Langeweile sorgte. Schade, dass diese Künstler der Musik offenbar nicht vertrauen. ERKI PEHK, der Leiter des Wettbewerbs und Festivals, hatte das Orchester der litauischen Kaunas-Oper sehr gut auf Rossini eingeschworen und sorgte für einen brillanten Unterbau der Gesangsprotanisten.
Die Jury : Plamen Kartaloff, Thomas Hermann, Alain Surrans, Anna Samuil, Mariusz Kwiecien, Stefan Vogel, Christoph Seuferle, Helen Lepalaan, Erki Pehk, Cynthia Makris (Foto : Promfest)
Von 39 Sängern, die die Live- bzw. Video-Vorauswahl überstanden hatten, waren 26 in Pärnu erschienen : 6 aus Süd-Korea (aber in Deutschland studierend), 5 aus Polen, je 3 aus Estland und der Ukraine, je 2 aus Russland und Litauen, je 1 aus Armenien und Ungarn. 13 Soprane, 4 Mezzosoprane, 5 Tenöre, 3 Baritone und 1 Bass.
Die Anforderungen an das Repertoire der Teilnehmer waren nicht gering : in der 2. Runde (der 1. in Pärnu) ein Stück von Mozart oder früher plus eine Arie, in der 3. Runde Schuberts Ave Maria plus ein Lied / Romanze, im Semi-Finale ein Stück, komponiert nach 1950, plus eine Opernszene sowie im Finale 2 Arien (mit Orchester).
In den Vorrunden hörte ich einige ausgezeichnete Leistungen von Künstlern, die es nicht bis ins Finale schafften, so die Süd-Koreanerinnen SARAH SEUNGHWA CHAE, HAEWON LEE (hatte kürzlich Contessa de Folleville in Pesaro gesungen), SOYOON LEE und SARAH YANG, allesamt hohe Koloratursoprane, prädestiniert für Rollen wie Zerbinetta. Mag sein, dass die Jury bezweifelte, ob das Volumen ihrer Stimmen ausreichte, um im Finale über das (teilweise sehr laute) Orchester zu kommen, oder dass für „ihre“ Arien kein Orchestermaterial vorlag. Interessant auch der armenische Tenor TIGRAN HAKOBYAN, der an der Armenischen Nationaloper schon Canio gesungen hatte und sich in Pärnu mit einem etwas irritierenden Repertoire von Mozarts Don Ottavio zu Tschaikowskys Hermann vorstellte. Seinen Calaf, mit dem er sich im Finale präsentiert hätte, hätte ich gerne gehört.
Natürlich kann man immer etwas an Jury-Entscheidungen kritisieren, besonders dann, wenn sie nicht dem eigenen Votum entsprechen. Eher ist kritisch zu bewerten, dass zwei der Juroren erst zum Semi-Finale „einstiegen“, sie also nicht dieselben Eindrücke hatten, die ihre Kollegen bekamen, die von Anfang an dabei waren. Auch würde ich zu gerne wissen, ob es denjenigen Juroren erlaubt war, über Sänger abzustimmen, die sie entweder schon engagiert hatten bzw. die sie von Meisterklassen her kannten.
Die Finalisten Kamila Dutkowska, Gyungmin Gwon, Zuzana Nalewajek Serhii Moskalchuk, Yuliia Zasimova, Kadi Jürgens (Foto : Promfest)
Ich muss gestehen, ein schlechter Juror gewesen zu sein, denn weder hätte ich zwei der Finalisten (sogar beide Preisträger) ins Finale gelassen noch haben meine Favoritinnen einen Preis erhalten. Letztere waren die Polin KAMILA DUTKOWSKA und die Ukrainerin YULIIA ZASIMOVA. Dutkowska hatte im Semi-Finale mit einem ausdrucksstarken Vortrag der großen Anna Bolena-Szene begeistert, in dem sie sich nicht nur als großartige Sängerin, sondern als KÜNSTLERIN erwies. Mag sein, dass die Mimi-Arie im Finale die falsche Wahl war, denn hier hatte sie unüberhörbar Schwierigkeiten, sich gegenüber dem Orchester Gehör zu verschaffen. Diese Schwierigkeiten hatte Zasimova überhaupt nicht; Lucia und Juliette ließen ein interessantes Timbre von sehr guter Geläufigkeit mit brillanten Höhen hören. Wenigsten wurde sie mit dem Sonderpreis der Estnischen Nationaloper bedacht. Drittplazierte wurde die Estin KADI JÜRGENS, die mir in den Vorrunden nicht als eine überdurchschnittliche Sängerin aufgefallen war, ein Eindruck, den ich auch im Finale nicht revidierte. Das Timbre fand ich nicht besonders interessant, also : wichtiger als das Womit scheint das Wie gewsesen zu sein. Den dritten Preis teilte sich mit ihr der ukrainische Bassbariton SERHII MOSKALCHUK, sehr gut im Finale als Leporello und Gounods Mephistophélès. Zweiter wurde der süd-koreanische Bariton GYUNGMIN GWON, dessen Material für die Vorrunden im Endla-Theater bzw. (für Ave Maria) in einem kleineren Raum beinahe zu groß war. Sein Final-Tonio (mit Orchester!) war erstklassig. Vielleicht hätte er mit dem Rossini-Figaro besser abgeschnitten als mit Valentin, bei dem er Probleme hatte, die benötigte ruhige Stimmführung zu finden. Gewinnerin wurde die erst 23jährige polnische Mezzosopranistin ZUZANNA NALEWAJEK, die mir sowohl in allen Vorrunden als auch im Finale nicht mit einem mir im Ohr haften bleibenden Timbre gesegnet vorkam, was vielleicht auch eine Geschmackssache ist, denn die Jury, die aus erfahrenen Juroren bestand, hatte offensichtlich etwas herausgehört, was mir noch verborgen geblieben ist. Nicht verborgen geblieben ist sie ihrem Landsmann Mariusz Kwiecien, diesem großartigen Bariton, der sie noch vor diesem Wettbewerb als Dorabella und Cherubino a das Opernhaus von Wroclaw eingeladen hatte, wo er als Künstlerischer Direktor fungiert.
Sune Manninen