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GERA/ Theater: DIE PASSAGIERIN. Oper von Mieczysław Weinberg

11.03.2019 | Oper

Theater Gera/ „Die Passagierin“ Oper von Mieczysław Weinberg/ Aufführung vom 10.03.2019

 Aufwühlende Oper – vom Luxus-Schiff in die KZ-Baracke

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Foto: Ronny Ristock

 Zum 100. Geburtstag des Komponisten Mieczyslaw Weinberg setzt das Theater Gera einen neuen Höhepunkt in der Reihe „Wider das Vergessen“.

Die Protagonisten der Oper sind zwei Frauen: Lisa und Marta. Lisa ist Deutsche. Zusammen mit ihrem Diplomaten-Ehemann Walter reist sie auf einem Schiff zu seinem neuen Einsatzort nach Brasilien. Unter den Passagieren bemerkt Lisa eine Frau, die ihr bekannt vorkommt. Es ist Marta, eine polnische Auschwitz-Überlebende. Während des Zweiten Weltkriegs hat Lisa als Aufseherin in Auschwitz gearbeitet. Auf den Wellen der Erinnerung kommen die Frauen in die Vergangenheit zurück. Während Lisa versucht hat, ihre SS-Vergangenheit zu vergessen, lebt Marta weiterhin in dieser Vergangenheit.

Weinbergs Oper ist ein mehrsprachiges Kaleidoskop. Lisa, Walter und die SS-Soldaten singen auf Deutsch, Marta dagegen auf Deutsch und Russisch. Die anderen KZ-Insassen schmettern ihre Arien auf Polnisch, Französisch und Tschechisch oder Jiddisch. Die vielen Sprachen verdeutlichen, dass Leid und Qual keine Sprache kennt. Es ist nicht wichtig in welcher Sprache die Protagonisten singen, sondern wie sie singen. Die Musik der Oper ist wie Klänge aus der Hölle: Ein Getöse aus Schlag- und Blasinstrumenten, schrillen Arien und einem stimmgewaltigen Männerchor. Sie treffen den Zuhörer bis ins Mark.

Die Celesta, das Engelsinstrument, erklingt für Marta. Xylophon und Marimba für die seelischen Wirren. Das Klingeln und Pochen signalisiert die Angst KZ-Insassen. Schlagwerkbatterien stehen für die Kampfstimmung im Lager. Die Trompeten und Posaunen tönen für die todbringenden Appelle des Kommandanten. Die Geigen-Walzer lassen das Beben dieser unheilvollen Gesellschaft zwischen Luxusliner und Konzentrationslager spüren.

Mieczyslaw Weinberg hat mit seiner Komposition alles getan, damit die Zuschauer den Schmerz und das Grauen von Auschwitz spüren und die Geraer Produktion lässt niemanden ohne Emotion. In dieser Geraer Inszenierung sitzt man nicht als distanzierter Zuhörer.

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Foto: Ronny Ristock

Regisseur Kay Kuntze formulierte in einem Interview, dass man einen Ort wie Auschwitz nicht einfach abbilden könne. Gemeinsam mit dem Bühnenbildner Martin Fischer hat er Räume gestaltet, die real wirken ohne ein Gruselkabinett zu bedienen. Die gefangenen Frauen zeigen nackte Köpfe und die Kleidung hängt jämmerlich an ihren Körpern. So wirken sie besonders ausgeliefert.

Kay Kuntze hat die Story der Passagierin mit der Bewegung der Drehbühne in Szene gesetzt. Der Schiffsrumpf ist gleichzeitig Baracke und Salon. So wechselt der Betrachter vom Luxusschiff und zum Konzentrationslager. Eisenrohrtreppen dominieren beide Schauplätze. Darüber wacht gespenstig ein Lautsprecher mit Suchscheinwerfern.

Lisa Franz kehrt in ihren Erinnerungen zurück in das KZ. Ähnlich ergeht es auch ihrem Mann Walter (János Ocsovai). Die Schiffs-Gegenwart wird von den KZ-Flashbacks durchdrungen und diese Wellen überrollen die ehemalige Aufseherin.

Der dramatische Höhepunkt ist erreicht, als Marta (Anne Preuß), die Passagierin, beim Schiffsorchester den „Kommandanten-Walzer“ bestellt. Es ist der Walzer, den Tadeusz, gespielt von Alejandro Lárraga Schleske, dem KZ-Kommandanten vortragen soll. Tadeusz spielt aber nicht den Lieblingswalzer des Brutalitäts-Schergen, sondern intoniert Bachs Chaconne. Diese Szene symbolisiert das Aufbäumen einer universellen Kultur gegen die Unmenschlichkeit. Die Reaktion ist brutal: Tadeusz wird abgeführt und die Geige zertreten. Die Klarheit der Chaconne geht musikalisch über in einen Höllenkrach.

Die musikalische Leitung hat GMD Laurent Wagner und er begleitet die Sänger konzentriert und präzis. Insgesamt führt er das Orchester mit klaren Linien, aber auch mit einem gut abgestimmten musikalischen Farbspektrum.

Die Hauptdarsteller zeigen sich ihren Rollen sowohl gesanglich als auch schauspielerisch enorm gewachsen und vermitteln den Zuschauern ein starkes Erlebnis. Die kleineren Rollen der Häftlingsfrauen sind gut besetzt mit: Miriam Zubieta als Katja, Juliane Bookhagen als Krystina, Jolana Slavíková als Vlasta, Dilara Baştar als Hannah und Judith Christ als Bronka sowie Sujin Bae als Yvette.

Aber auch die Darsteller des Bösen sind starke Figuren, weil sie dem Grauen musikalisch ein Gesicht geben: Kai Wefer, Ulrich Burdack und Timo Rößner als SS-Männer. Ebenso eindrucksvoll tritt Madeline Hartig als Oberaufseherin und Kapo auf. Die Choreinstudierung durch Gerald Krammer gibt der Inszenierung den nötigen musikalischen Schliff.

Eindrucksvoll, weil besonderes schlicht, endet die Geraer Inszenierung mit dem Lied der Marta, dabei sieht man auf der Bühne einen Abspann mit den Namen der Getöteten von Auschwitz. Es sind auch Namen von Thüringer Bürgern dabei, z. B. aus Greiz.

Dann verlässt das Publikum still und innerlich erschüttert den Theatersaal.

„Ich bin nie müde, Weinbergs Passagier zu bewundern“, schrieb Dmitri Shostakovich 1974. – Ich habe es dreimal angehört, die Partitur studiert und jedes Mal habe ich die Schönheit und Größe dieser Musik immer tiefer verstanden. Meisterhaft, perfekt in Stil und Form der Arbeit. „

Das Geraer Theater ist diesem künstlerischen Anspruch gerecht geworden.

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

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