Theater Gera 20. 03. 2016 / „Rübezahl und der Sackpfeifer von Neiße“ Phantastisch-romantische Oper in vier Aufzügen
Neugeburt gelungen – alte Oper in farbigem Märchenglanz
Copyright: Theater Gera
Ausgrabungen von Opern sind sicher eine knifflige Angelegenheit. Soll man oder soll man nicht, das war auch ein Thema für das Theater in Gera. Letztlich entschied man sich für den Stoff, obwohl es keine sofort spielbare Partitur gab. Anhand des originalen Materials musste eine aufführbare Fassung geschrieben werden, berichtete Felix Eckerle, der Chefdramaturg. Man musste sich erst einmal herantasten an diesen nicht mehr bekannten Komponisten. Wer also war Hans Sommer? In der Person Hans Sommers (1837-1922) vereinigen sich scheinbar gegensätzliche Pole wissenschaftlichen und kulturellen Lebens des 19. Jahrhunderts. Er beeinflusste mit seinen mathematischen Arbeiten die Geschichte der Photooptik und erlangte ebenso Bedeutung als erster Direktor der Technischen Hochschule „Carolo Wilhelmina“ in Braunschweig und auch als Musikwissenschaftler. Zusammen mit Richard Strauss und Friedrich Rösch legte er in Deutschland den Grundstein zu einem umfassenden musikalischen Urheberrechtsschutz, die spätere GEMA. Als Komponist trat Hans Sommer mit Liedern und mit seinen Opern hervor. Da sich aber keine Oper Sommers längere Zeit im Repertoire behaupten konnte, übersah man leicht die Qualität seiner Werke und dadurch, dass er seine Opern und Teile seines Liedschaffens im Selbstverlag veröffentlichte, gab es lange Zeit keinen Promotor. Musikalisch war er ein Spätromantiker und sicher war von Wagner beeindruckt, wenn auch kein bloßer Epigone.
Rübezahl und der Sackpfeifer von Neiße, ist eine Oper, die thematisch immer noch in die Zeit passt, wenn man den Sagenstoff auch als aktuelle Anregung akzeptiert. Mit analogiebereiter Rezeption können die Zuschauer auch unaufdringlich Zeitparallelen finden.
Die Komposition geht auf eine Gespensterbuchgeschichte von 1811 zurück, spielt im schlesischen Städtchen Neiße. Eines Tages taucht der Berggeist Rübezahl auf. Der Kunstmaler Wido hat ihn gerufen. Einerseits möchte der junge Mann gerne im Kampf gegen den ungerechten und grausamen Vogt Buko anführen. Andererseits liebt er dessen Pflegetochter Gertrud, die wiederum auf Ruhe und Frieden drängt. Da muss jemand dramatisch scheitern und das ist der Bösling Buko. Vorher räumt ihm aber Rübezahl noch Chancen für eine Wandlung ein und darin besteht das moralisch-theologische Welttheater. Denn es geht auch nicht ohne Leidensphase für die Guten, sprich die Liebenden. Am Ende triumphiert das Gute und die Gerechtigkeit, aber auch ausdrücklich die Kunst. Und so schrieb schon ein Zeitgenosse Aloys Obrist ein Schüler von Franz Liszt, Musikwissenschaftler und Kapellmeister in der „Weimarer Zeitung“ vom 1. März 1905 anlässlich der Weimarer Erstaufführung der vieraktigen Oper „Rübezahl“, op. 36 (UA 15. Mai 1904, Hoftheater Braunschweig): „Hatte Berlin den berechtigten künstlerischen Mißerfolg des ‘Roland von Berlin’ sofort durch die Aufführung von Hans Sommers ‘Rübezahl’ unter Richard Strauss wieder gut gemacht, so wurde auch bei uns der Mißerfolg der letzten kleinen Opernneuheit durch die glückliche Wahl dieses eigenartigen und hochbedeutenden musikalischen Dramas mehr als ausgeglichen.(…) Aber auch für alle Gemütsregungen, Liebe, Zorn, Hass und Zweifel, findet Sommer eigene Töne, und die grausige Totenmusik des letzten Aufzugs birgt eine Tonsprache, die selbst im Zeitalter eines Richard II, Mahler und Nicodé neu ist“.
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So viel zur grundsätzlichen Charakterisierung, aber wie stellt Intendant Kay Kuntze diese Rübezahl-Oper auf die Bühne? Er stellt die Freiheit für die Kunst in den Mittelpunkt. Deshalb dominiert die Bühne eine Malerpallette und dieser kunstsinnigen Welt wird optisch die kalte Welt des Buko gegenübergestellt: er weidet sich an einen geschossenen Hirsch und Symbol seiner Macht ist eine stählerner Turm, der am Ende zerbricht. Dafür hat ihm Duncan Hayler das Bühnenbild und die Kostüme geschaffen. Am Ende frohlocken bunte Farbklekse über eine widerliche Stahlwelt. Bis auf die Szene mit dem asigen Hirsch beweist Kuntzes Inszenierung immer Subtilität. Auch der Böse hat seine differenzierten Seiten, auch wenn das schwarze Schicksal seinen Lauf nimmt. Er zeigt sich auch menschlich, zumindest wenn es um seine Pflegetochter Gertrud geht. So entsteht ein facettenreiches Spiel in dem nicht nur Hell-Dunkel, sondern auch Zwischentöne sich dramaturgisch entfalten können.
Die musikalische Leitung hat GMD Laurent Wagner und setzt die Auf- und Abwärtsbewegungen der Partitur exzellent um. Überhaupt gibt es große Wellenbewegungen der Musik, die Laurent Wagner sowohl bei den intensiven Aufwallungen wie auch bei den leisen Stellen mit bleibender Präzision umsetzt. Vor allem bei den leisen Walzerauftritten Rübezahls erklingt das Orchester filigran. Immer unterstützt er die Sänger, deren Textverständlichkeit durchgängig sehr gut ist. Anne Preuß als Gertrud singt mit einem vollen Sopran und versprüht dabei auch sinnliche Weiblichkeit. Hans-Georg Priese als Wido zeigt sich ebenbürtig, sein Tenor und seine Spielweise sind vital und spritzig. Mit schönem Bass tritt Magnus Piontek als Rübezahl auf, manchmal könnte er etwas mehr Volumen entwickeln aber in seinem augenzwinkernden Spiel ist er sehr überzeugend und unterhaltsam. Johannes Beck singt und spielt den Buko als glaubwürdigen Bösen mit interessanten Nuancen. Aus den Beziehungsgeflechten erwächst immer dramatische Spannung und das hält die Zuschauer bei diesem vieraktigen Stück auf Trapp. Jueun Jeon als Bernhard Kraft kann mit seiner Gesangsleistung sehr überzeugen ebenso wie Merja Mäkelä als Brigitte. Auch die Nebenrollen Stäblein: Alexander Voigt, Totengräber: Kai Wefer und Joachim: Andreas Veit sowie der Wachthabende: Xiangnan Yao überzeugen mit durchgängig sehr guter Gesangs- und Spielleistung.
Nur der Chor in der Choreinstudierung von Holger Krause überzeugt bei dieser Vorstellung leider nicht immer. Vor allem bei einer A-cappella-Chor-Szene gerät alles durcheinander und kein einziger Einsatz stimmt. Das ist wirklich schade, denn diese Szene hätte auch ganz eindrucksvoll sein können. So war sie akustisch schräg. Da muss unbedingt nachgearbeitet werden. Mit dem Orchester zusammen gelangen dem Chor aber auch einige ganz imposante Auftritte.
Alles in allem ist die Rübezahl-Oper ein sehenswertes Stück, das in der Inszenierung von Kay Kuntze keinesfalls Mottenpulvergeruch atmet. Kay Kuntze hat auf triviale Verheutigungen verzichtet und eine werkgetreue Dramatisierung geschaffen, die man mit Interessen ansehen kann. Kuntze vertraut auf die Kraft der Musik und des Märchenhaften, darum gab es generationenübergreifen anhaltenden Applaus. Alle Achtung!
Weitere Aufführungen:
Sa, 26.03.2016, 19:30 Uhr, Großes Haus Gera Mo, 28.03.2016, 14:30 Uhr, Großes Haus Gera Fr, 15.04.2016, 19:30 Uhr, Großes Haus Gera
Larissa Gawritschenko und Thomas Janda