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GERA: LIBERACE – Ballett von Silvana Schröder. Premiere

Alles in diesem Leben war Show

13.05.2018 | Ballett/Performance

GERA: LIBERACE – Ballett von Silvana Schröder – Premiere am 11.5.2018 (Werner Häußner)

Alles in diesem Leben war Show: Władziu Valentino Liberace, einer der erfolgreichsten Entertainer der Geschichte des modernen Unterhaltungsgenres, ist nie allein, immer umschwärmt von Publikum, Hündchen, Loverboys. Nur zu Beginn des Ballettabends von Silvana Schröder am Theater Gera gibt es einen Moment nackter, ungeschützter Einsamkeit zu den Klängen von Mitch Leighs „The Impossible Dream“, bevor ein gealterter Körper gepudert, parfümiert und in einen mondänen weißen Pelz gehüllt wird. Liberace – das ist das ungewöhnliche Drama eines Mannes, der mit seiner Show verschmilzt, so wie sich seine Gestalt im goldenen Paillettenanzug vor glitzerndem Hintergrund verschwimmend auflöst.

Der neue Ballettabend der Chef-Choreografin des Theaters Gera-Altenburg widmet sich einem bisher wohl nicht vertanzten Lebensschicksal: Liberace begann seine Karriere in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie der Fünfziger Jahre, starb nach über 30 Jahren märchenhafter Erfolge 1987 an Aids, leugnete sein Leben lang, schwul zu sein und wurde in Deutschland eigentlich erst durch den Film Steven Soderberghs (2013) mit Michael Douglas und Matt Damon bekannt.

Über den Film – im englischen Original heißt er „Behind the Candelabra“ – ist Silvana Schröder auch auf die Idee ihres Abends gekommen: der musisch hochbegabte Pianist, die Verschränkung von Kunst, Show und Geschäft, die typisch amerikanische Karriere aus armen Verhältnissen zum Multimillionär, der Zwang, in einer puritanischen Gesellschaft seine Homosexualität zu verleugnen – das hat ihr Interesse geweckt, erklärt Schröder im Interview im Programmheft.

Der Film macht aus der eher stereotypen Liebesgeschichte zwischen dem Endfünfziger Liberace und dem jungen Scott Thorson eine detailreiche Studie über die Stufen einer Beziehung zwischen Liebe, Abhängigkeit und Narzissmus. Schröder reduziert dieses differenzierte Verhältnis für die Bühne und erweitert es zugleich mit den Mitteln des Tanzes. Ihre These setzt auf das unentwirrbare Ineinander des Privaten und des Öffentlichen in diesem Leben, dessen Prinzip die Inszenierung ist. Selbst in intimen Momenten geht die Show weiter. Verena Hemmerlein pointiert diese Verschränkung mit einer üppigen Ausstattung, wie sie das Fernsehen früher in alle Wohnzimmer gebracht hat. Der silbern oszillierende Hintergrund, gebildet aus raumhohen, einzeln verschiebbaren Elementen, hüllt selbst die Begegnung mit dem schüchtern-unsicheren Scott ein, der beim Zug aus der Zigarette noch husten muss.

Hemmerlein greift tief in die Requisitenkiste des Kitsches, mit einem Schwanen-Bett, das an Ludwig II. erinnert, mit einem abundanten weißen Pelz, der Marilyn Monroe gut gestanden hätte, mit Kostüm-Opulenz, Glitter und Gepränge. Zuviel des Guten ist wunderbar – ohne dieses Liberace-Prinzip geht es nicht. Der Orchestergraben wird bedeckt von einem Pool mit 3.000 Litern Wasser, durch den die schönen Körper junger Männer gleiten – auch das eine Reminiszenz an Schlüsselszenen des Films.

Aber der Geraer Ballettabend emanzipiert sich zügig von seiner Vorlage: Verena Hemmerlein stellt schon zu Beginn einen Flügel auf einem Podium ins Zentrum ihrer Bühne, darauf der Kandelaber, der dem Film den Namen gab und der in den Liberace-Shows stets an den von ihm verehrten Chopin erinnern sollte. Das Instrument ist mehr als ein Requisit: Olav Kröger spielt in der Prunkrobe des Entertainers virtuos die fingerbrecherisch schweren Arrangements Liberaces im Wechsel mit eingespielten Original-Aufnahmen.

Der Clou des Abends ist, dass Silvana Schröder die Erzählstruktur aufbricht, indem sie ihre Titelfigur verdreifacht. Der ruhende Pol ist der Künstler am Flügel, umkreist von dem gealterten, sich selbst reflektierenden und sein Leben erzählenden Liberace: eine Parade- und Traumrolle für den früheren Tänzer Peter Werner-Ranke, Vorgänger von Silvana Schröder als Ballettdirektor am Theater Gera, heute auch als Schauspieler tätig. Er betrachtet die Projektionen erotischer Begehrlichkeit, in denen sein junges Pendant Jon Beitia Fernandez tanzt. Er mischt sich ein, er wendet sich mit brüchig-erstickter Stimme an die Zuschauer: „Ihr wart ein wunderbares Publikum.“

Der Schmerz des Alterns, die Leidenschaft und die Ergebung, der Zweifel und der unbeschränkte Narzissmus der Kunst-Figur „Liberace“ spiegeln sich in seinen Auftritten, seiner Mimik, seinen Bewegungen. Eine facettenreiche und existenziell berührende Darstellung, unverstellt in ihrer versehrten Körperlichkeit, die nicht mehr mithalten kann im Reigen der Jungen und Schönen, die aber von innen heraus Würde und Anmut ausstrahlt.

Die Tänzerinnen und Tänzer lassen sich vom Stil Silvana Schröders fordern, glänzen in den organisch fließenden, auf jede dekorative Körperkunst verzichtenden Ensembles, setzen pantomimische Ausdrucks-Elemente dezent um. Die hervorragende Koordination sorgt für Höhepunkte wie die Szene, in der Liberace mit seinem neuen Liebhaber (Mattia Carchedi) tanzt und der bereits zur Seite gedrängte Scott (sehr charmant und darstellerisch brillant: Filip Kvačák) versucht, die Figuren der beiden aufzunehmen, dabei aber einsamer Dritter bleibt. In solchen Momenten verdichtet sich der Tanz zu unmittelbarem Ausdruck eines seelischen Dramas, das mit Worten nur schwer einzuholen wäre.

Der Abend mit dem zu vordergründigen, wohl auf Publikumswerbung zielenden Untertitel „Glitzer, Schampus und Chopin“ lebt vom Einsatz des gesamten Ensembles, aus dem Alina Dogodina als expressive, mit grotesken Zügen agierende Mutter Liberaces, die „Loverboys“ Vinicius Leme und Luis Piva, der Manager Kristian Matia, Fabrizio Matarrese als Bob Black und die fünf Pudel Carolina Micone, Daria Suzi, Rina Hayashi, Jéssyca Rett und Sayo Yoshida genannt seien. Der Beifall war begeistert – und es ist zu hoffen, dass dieser so komplex entworfene wie unterhaltsam ausgeführte Abend seinen Weg zum Publikum in Gera und Altenburg – und darüber hinaus – finden wird.

Vorstellung am 3. Juni, 12. und 14. Oktober (14.30 Uhr) in Gera, am 19. und 24. Mai sowie am 2. und 6. Juni (14.30 Uhr) 2019 in Altenburg.

 

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