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GEORGE ENESCU: STRIGOII – Oratorium in drei Teilen 1916

Weltersteinspielung mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin - Capriccio

23.09.2018 | cd

GEORGE ENESCU: STRIGOII – Oratorium in drei Teilen 1916

Weltersteinspielung mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin – Capriccio

 

„Der grause Wind sein Lied zu Ende weint; sie ziehen in den Fels auf matten Pferden das Aug‘ umnachtet, schön, im Tod vereint; des Felsens Pforten weit geöffnet werden. Zusammen zieh‘n sie ein; zu fällt das Tor, für ewig ruhen sie im mächt‘gen Grabe. Des Tannenwalds Klage dringt empor, dass nun geraubt ihm sei sein Königsknabe.“ Mihai Eminesu

 

Eine Art ,rumänischer Tristan‘ aus der Völkerwanderungszeit ist nun dank der an Bartóks Klangkosmos angelehnten hochsensitiven Orchestrierung durch Sabin Păuța zum ersten Mal auf CD zu entdecken. Das Oratorium in drei Teilen hat Enescu auf ein Gedicht des Mihai Eminescu mit dem deutschen Titel ,Geister‘ skizziert. Auf altrumänische, nordische und griechische Mythologie basiert das epische, knapp 45 Minuten lange Werk. 

 

Die serpentinenreiche Geschichte der Aufführung rührt daher, dass Enescu wegen des ersten Weltkrieges das lange Zeit verschollene Opern-Oratoium leider nur fragmentarisch hinterließ. Das Manuskript beschränkte sich auf eine Klavierfassung in zwei Notenlinien, in die der Text, Fragmente der Vokalstimmen, einige Orchestrierungsnotizen und Dynamikangaben eingearbeitet waren. Die Rekonstruktion war nicht zuletzt wegen Enescus winziger Handschrift ein mühsames Unterfangen. Eine Fotokopie des Manuskripts musste in monatelanger Arbeit dechiffriert und neu zusammengefügt werden. Die Mühe hat sich zur Freude aller Melomanen gelohnt: Wie der Dirigent der Einspielung, Gabriel Bebeșelea, im Interview festhält, sind seit kurzer Zeit spielfertigen „Die Geister“ das missing link zwischen den frühen Liedern Enescus und seiner großen Oper „Oedipe“. 

 

Die Komposition eint unterschiedliche Stilelemente wie freie Deklamation, archaisch pentatonische Skalen und chromatische Spätromantik mit polytonalen und Zwölftoneinsprengseln. Die Geschichte beschränkt sich auf vier Protagonisten, einem Erzähler, dem Magus und unserem Liebespaar Arald und die Königin. Sie läuft so ab: Arald reitet mit einer Leiche unter seinem Mantel in die Unterwelt zum Magier, der die tote Frau des Awarenkönigs Arald wieder zum Leben erwecken soll. Ein leidenschaftliches Liebesduett der wieder lebenden Königin mit Arald ist Höhepunkt des Werks. Dann kommt alles so, wie es halt kommen muss: ein letzter Kuss, der Hahn kräht, Morgenröte, beide werden von der Erde verschlungen, die Ewigkeit der Nächte umschließt sie nun im Grab. 

 

Die Aufnahme wird getragen vom Erzähler, der das Gedicht in melodramatischer Umarmung mit dem Orchester rezitiert. Der rumänische Bass Alin Anca taucht die Abgründe der Geschichte um Liebe und Tod in satt sinnlichen Wohlklang. Auch die anderen Protagonisten lehren uns wieder einmal, wie gut es um die Gesangskultur in Rumänien bestellt ist. Rodica Vica (Königin) und Tiberius Simu (Arald) sind ein mächtig um ihre Leidenschaften ritterndes Paar. Der rabenumflatterte, moosbewachsene Magier wird vom Bariton Bogdan Baciu stimmlich angenehm verjüngt, nichtsdestotrotz hochexpressiv dargestellt. 

 

Das RSB Berlin unter der eindrücklichen musikalischen Leitung von Gabriel Bebeșelea (seit 2016/17 ist er Chefdirigent der Rumänischen Nationaloper und der Staatsphilharmonie Cluj-Napoca) begeistert vom ersten Augenblick an mit einer atmosphärisch dichten, den Zuhörer in seinen Bann schlagenden Orchesterleistung. Bebeșelea, der auch in Pesaro als Dirigent von Rossinis „Il Viaggio à Reims“ aufgefallen war und ein großes Herz für die Arbeit mit Jugendorchestern hat, gibt mit „Strigoii“ eine weitere Visitenkarte für sein herausragendes musikdramatisches Talent ab.

 

George Enescu war übrigens nicht der einzige rumänische Komponist, der sich des makabren Sujets angenommen hat. Nicolae Bretan hat seine auf selbigem Eminescu-Gedicht basierende Oper „Arald“ in einem Akt und Prolog 1939 fertig gestellt. Tipp: Eine sehr gute Aufnahme des Labels Nimbus (1987) ist nach wie vor erhältlich.

 

Die zehnminütige Pastorale fantaisie für kleines Orchester des 17-jährigen Enescu, erst 118 Jahre nach der Uraufführung  2017 wieder musiziert, rundet das sehr empfehlenswerte  Album ab.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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