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GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: CATONE, Pasticcio, Glossa 2 CDs

15.04.2017 | cd

GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: CATONE, Pasticcio, Glossa 2 CDs

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Ein Pasticcio in der Musik ist eine aus Versatzstücken verschiedener Komponisten zusammengestückelte Partitur mit einer für barockes Verständnis mehr oder weniger überzeugenden dramatischen Handlungsklammer. Das muss kein „Abfallprodukt eines korrupten kreativen Systems sein, in dem eher die Kapricen der Sänger und die Einkünfte der Impresari im Fokus standen als die Anforderungen echter Kunst.“ Wie aus der italienischen Küche bekannt, kann ein Pasticcio überaus wohlschmeckend sein.

Sogar ein solch produktiver Geist wie G.F. Händel eignete sich diese Kunstform aus ganz pragmatischen Gründen an. Im Falle des in London kreierten Catone aus dem Jahr 1732 musste Händel einen raschen Produktionszyklus für die neue, zweite Royal Academy of Music sicherstellen. Außerdem bot das schnelle Puzzleverfahren auch finanzielle Vorteile, wurden damals doch für neue Partituren genauso viel bezahlt wie für bloße Bearbeitungen. Mit effektvollen Arien verschiedener Provenienz konnten auch die Qualitäten einer spezifischen Opernkompanie besonders gut zur Geltung gebracht werden. „Kurz – ein Pasticcio diente der Zurschaustellung der Sänger mit dem Ziel, ihren angeborenen Exhibitionismus zu befriedigen und der Kompanie den Publikumszuspruch für die gesamte Spielzeit zu sichern“ resümiert Angela Romagnoli in ihrem klugen Aufsatz für das Booklet.

Was Catone anlangt, ist nicht uninteressant zu wissen, dass das Libretto von Metastasio im 18. Jahrhundert über 60 mal vertont wurde. Material zu dem Sujet gab es also genügend. Händel griff auf Musik von Leonardo Vinci (eine Arie), Leonardo Leo (neun Nummern) und auch von Johann Adolph Hasse (sechs Arien), Nicola Porpora (vier Arien) und Antonio Vivaldi (drei Nummern) zurück. Die Rezitative sind auf ein unverzichtbares Minimum reduziert. Man hat wohl in London damals kaum Italienisch verstanden. Das Publikum bekam also ein „Best of“ an Arien serviert, eine Art Wunschkonzert mit Handlung nach Willen und Laune der Divos und Divas. Händel tritt bei Catone daher als geschickter Arrangeur und nicht als Komponist in Erscheinung.

Die live mitgeschnittene Aufführung aus der Konzerthalle Ulrichskirche in Halle aus dem Jahr 2016 unter der kundigen und spannungsreichen Stabführung von Carlo Ipata gibt durchaus eine Ahnung davon, wie der Opernbetrieb im barocken London funktioniert haben könnte. Das Ensemble mit Sonia Prina in der Titelrolle an der Spitze, Riccardo Novaro (Cesare), Roberta Invernizzi (Emilia), Kristina Hammerström (Arbace) und Lucia Cirillo (Marzia) bemüht sich nach Kräften um Ausdruck und dramatische Akzente, kann aber sowohl von Stimmqualität als auch der Bewältigung der enormen technisch-virtuosen Anforderungen nur bedingt überzeugen. Die Aufnahme vermochte es trotz der vor allem instrumentalen Tugenden der Auser Musici nicht, bei mir wirklich bleibend tiefe Hörspuren zu hinterlassen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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