Genny BASSO – Pianist aus Neapel. „Ich folge den Meeresströmungen in meinem Leben“
Interview mit dem neapolitanischen Pianisten Genny Basso
Genny Bassos Debut-CD gerät zur Hommage an seinen charismatischen Lehrmeister Aldo Ciccolini. Denn die hier präsentierten Kompositionen von Chopin, Mozart und Castelnuevo-Tedesco haben alle in der gemeinsamen Zeit mit Ciccolini eine große Rolle gespielt. Im Gespräch mit Stefan Pieper bekannte sich der neapolitanische Pianist zu seinen kulturellen Wurzeln, ebenso zu einer Haltung von großer Aufrichtigkeit.
Stefan Pieper. (2.5.2021)
Auf Ihrer website sehen wir Sie, wie Sie in Konzertgarderobe auf einem kleinen Boot stehen, dass weit draußen, mitten im Golf von Neapel unterwegs ist. Was für einen Symbolgehalt soll das haben?
Ich bat den Fotografen Mario Spada, ein Foto zu machen, das mich mit Neapel in Beziehung setzte, und er hatte die Idee, mich auf dem Meer mit dem Vesuv im Hintergrund zu fotografieren. Es bedeutet im übertragenen Sinne, dass ich den Meeresströmungen in meinem Leben folgen kann, aber ich habe immer meine Stadt und meine Herkunft im Hintergrund.Ich fühle mich hier ganz stark verwurzelt.
Würden Sie sagen, es braucht heute mehr Inszenierung, um ein Publikum auf sich aufmerksam zu machen?
Ohne so etwas geht es heute nicht. Aber noch wichtiger ist, dass man künstlerisch etwas zu sagen hat und dies nach außen dringt. Wir können nicht so agieren wie es Künstler noch vor 50 Jahren getan haben.
Erzählen Sie etwas zur Geschichte ihrer aktuellen CD-Produktion.
Als ich Aldo Ciccolini begegnet bin, startete ein großes Abenteuer für mich. Er gab mir die Chance, ganz nah an seiner Arbeit dran zu sein. Das eröffnete eine große Entwicklung für mich. Aldo Ciccolini hat mir eine neue Art, Musik zu empfinden und zu denken öffnet. Vielleicht war dies wirklich der wichtigste Schritt in meinem Leben. Also war es eine logische Konsequenz, dass ich meine Debut-CD Aldo Ciccolini widmen würde.
Wie sind Aldo Ciccolini und Sie sich über den Weg gelaufen?
Aldo und ich sind uns in Neapel zufällig begegnet. Ich spielte gerade Chopins cis-Moll-Walzer. Ciccolini hat mir später gesagt, dass ihn eine besondere Tiefe in meinem Spiel beeindruckt habe. Danach fragte er mich, ob ich Interesse hätte, bei ihm in Paris zu studieren. Das passte gut mit meiner damaligen Lebensplanung zusammen, weil ich ohnehin einmal eine Lebensphase woanders als in Neapel verbringen wollte, um neue Erfahrungen zu erwerben. Also habe ich nicht zweimal nachgedacht und zugesagt. Schon einen Monat später machte mich Aldo Ciccolini bereits zum Assistenten für seine Meisterklassen.
Was war Ihre Aufgabe?
Ich habe Unterricht gegeben, denn Ciccolini konnte nicht sämtliche Schüler gleichzeitig unterrichten. Diese Tätigkeit weitete sich immer mehr aus. Wir haben auch beim Riva-Festival in Riva del Garda zusammen gearbeitet.
Wie beeinflusst ein Ort und eine Landschaft Ihr Spiel auf dem Klavier?
Sehr stark. Noch wichtiger ist, welche Stimmung unter den Menschen herrscht, für die ich spiele. Wenn ich mich bei einem Auftritt dafür emotional öffne, tun die Menschen im Publikum genau dasselbe mir gegenüber.
Sie haben ja später auch Konzertreisen nach Japan unternommen und waren dort Juror bei einem bedeutenden Wettbewerb…
Ich bin zweimal nach Japan eingeladen worden. Beim ersten Mal sogar als Präsident der Jury bei der Beethoven International Piano Competition of Asia. Das war eine neue Erfahrung für mich. Beim zweiten Mal habe ich beim „Hideyo Noguchi Memorial Fukushima“ konzertiert, auch das war sehr aufregend. Die Haltung der Menschen in Japan ist von einem außerordentlichen Respekt geprägt, da ist wirklich tiefe Liebe im Spiel.
Warum haben sie die Stücke in dieser Reihenfolge kombiniert. Chopin taucht ja gleich zweimal auf – das wirkt fast wie ein roter Faden.
Genauso soll das auch wirken. Ich möchte damit zum Ausdruck bringen, dass Chopins Musik in meinem Leben immer präsent ist.
Ich finde sehr bemerkenswert, wie Sie die Tempi nehmen. Das Andante in der Mozarts-A-Dur Sonate KV 331 wirkt extrem entschleunigt. In diesem ruhigen Tempo habe ich es selten gehört. Was hat es mit diesem ungewöhnlichen Timing auf sich?
Ich finde, Zeitgestaltung ist nicht nur etwas vordergründig-ästhetisches. Auch darüber habe ich mich intensiv und lange mit Aldo Ciccolini ausgetauscht. In erster Linie geht es doch um die Erfassung dessen, was der Komponist wollte. Wenn Mozart schreibt Andante, dann meint er eben nicht Allegretto. Allegretto ist hingegen das Tempo, welches für das Rondo alla turca vorgesehen ist.
Das Rondo ist auch ruhiger als auf vielen anderen Aufnahmen, bei denen es doch eher wie Allegro wirkt.
Genau. Und bei Mozart steckt ohnehin noch viel mehr dahinter. Es sollen Charaktere abgebildet werden. Es geht um viel mehr, als nur ein Tempo korrekt zu spielen. Es steht immer eine Darstellungsabsicht dahinter. Ich gebe zu, gerade das Rondo verführt dazu, das Tempo auch mal fliegen zu lassen. Aber ich finde es viel interessanter, den Charakter, der darin verborgen ist, offenzulegen. Das hat auch immer etwas mit Respekt vor dem Detail zu tun. Kompositionen von Mozart sind in dieser Hinsicht wie kleine Opern. Jedes Detail kann einen Moment ausdrücken, wie er im Theater passiert. Auch in der Instrumentalmusik ist dieses Prinzip spürbar.
Genau dasselbe demonstrieren Sie ja sehr plastisch bei ihrem Danse Russe aus Strawinskys Petruschka. Wo andere sofort Vollgas geben, sezieren Sie erst mal die Mechanik jener Gliederpuppe, die in diesem Ballett die Hauptrolle spielt. Hat das etwas mit Ihrer im Booklet geschriebenen Aussage zu tun, dass es doch darum geht, den eigenen Narzissmus zu überwinden, um dadurch Liebe und Aufrichtigkeit in die Musik hinein zu bringen?
Wenn du in Dir selber suchst, kannst du etwas Tiefes finden und entdecken. Es ist am wichtigsten, so etwas beim Spielen nach außen zu tragen. Früher wollte ich in erster Linie zeigen, dass ich ein guter Pianist bin. Darum geht es mir heute nicht mehr so sehr. Mein Ziel ist es, Musik mit anderen zu teilen.
Ich denke, das ist auch das, was Aldo Ciccolini meint, wenn er Ihnen im englischen Text eine „seductive musicality“ attestiert.
Ich bin sehr glücklich, dass Ciccolini dies über mich sagt.
Worum geht es im letzten großen Programmpunkt auf dieser CD, Mario Castelnuevo-Tedescodes „Piedigrotta 1924“, auch „Rhapsodia Neapoletana“ genannt?
Neapel ist nicht nur meine Heimat, sondern auch die von Aldo Ciccolini, der ja auch aus Neapel stammt. Ciccolini hat Castelnuevo-Tedescos Stück ganz oft gespielt. Tedesco selbst war übrigens kein Neapolitaner, sondern stammt aus Florenz. Aber er besuchte Neapel und war überwältigt – um nicht zu sagen, dass er einen Kulturschock bekam. Mit seiner Musik schafft er es wirklich, hautnah von dieser Stadt zu erzählen. Er hat den Nerv sehr gut getroffen. Die Menschen in Neapel verstehen sehr gut, was er damit sagen will. So lautete auch die Einschätzung von Aldo Ciccolini. Wenn ich dieses Stück spiele, fühle ich Neapel, diese pulsierende Lebendigkeit.
Welche Stilmittel nutzt Castelnuovo-Tedesco?
Mich beeindrucken die vielen impressionistischen Ansätze. In manchen Passagen könnte man es für Ravel halten und es gibt viele spanische Elemente. Aber das ist ja auch für Neapel typisch. Man findet hier so viel reiche Geschichte. Es gibt auch archaische Elemente aus der traditionellen Volksmusik Neapels und zum Teil sehr berühmte Melodien, die viele Komponisten inspiriert haben.
Sie sind ja auch Lehrender und geben Ihre künstlerischen Ideale an den Nachwuchs weiter. Welche Herausforderung sehen Sie dabei?
Vieles ist heute schwieriger geworden, weil es so viel mediale Ablenkungen gibt. Deswegen kommt es darauf an, auf den digitalen Kanälen präsent zu sein. Mit ein paar jungen Leuten habe ich ein neues Format etabliert: „La musica classica“ auf der Online-VideoPlattform Twitch. Hier versuche ich, in klarer, einfach verständlicher Sprache über klassische Musik zu sprechen. Ich sehe darin eine große Chance, die Aufmerksamkeit vieler junger Leute zu erregen. Ich lade hierzu auch viele andere Musiker-Kollegen ein. Wir sind sehr erfolgreich damit.
Genny Basso, ich bedanke mich für dieses spannende Gespräch!
CD
Genny Basso – Mozart / Chopin / Castelnuovo-Tedesco
Mit Werken von: Frederic Chopin (1810-1849), Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Mario Castelnuovo-Tedesco (1895-1968)
ARS-Produktion 2021