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GENF/ Victoria Hall: „SZENEN AUS GOETHES FAUST“ von Robert Schumann

28.02.2018 | Oper

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Genf:  Szenen aus Goethes Faust von Robert Schumann – 25. 2.2018

Nachdem bei Gounods !Faust“  Jesus Lopes Cobos  absagen musste und Michael Plasson eingesprungen war; wurde abermals ein Dirigentenwechsel nötig. Es war Peter Schneider, der uns bei seinem Wien-Aufenthalt im November von seiner Vorfreude auf dieses Werk berichtete, das ihm zuvor noch nie angeboten wurde. Doch er musste dem Winter Tribut zollen und erkrankte bereits während der Anreise zur ersten Probe. So sehr ich dies bedauerte – ich wollte diese „Szenen“ auf jeden Fall kennen lernen, die sich – wie sich schon bei der mitreißenden Ouverture herausstellte – von allen anderen Vertonungen des Goethe-Stoffes zur Gänze unterscheiden.

Gott sei Dank fand sich binnen kürzester Zeit ein Ersatzmann: Ira Levin, der das Stück bereits vor 8 Jahren einmal aufgeführt hatte. Der aus Chicago gebürtige, seit etlichen Jahren in Deutschland lebende Dirigent und Pianist verfügt über ein breites Opern- und Konzertrepertoire und als er Chefdirigent im brasialianischen Sao Paulo war, hat ihn unser Mitarbeiter Klaus Billand bereits als ausgezeichneten Dirigenten entdeckt und für den „Merker“ interviewt. Das versprach Gutes und das Versprechen wurde auch erfüllt.

Als Ausweichquartier für das in Restauration begriffene Grand Théâtre Genève spielte man in der Victoria Hall mit ihrem gerade für diesen Zweck idealen Schau- und Hör-Saal. Dem beiliegenden Foto können Sie entnehmen, dass das leicht ansteigende Parkett, aber auch die seitlichen Ränge und der Balkon so angeordnet sind, dass von überall gute Sicht gewährt ist. Vor allem aber befinden sich hinter dem Orchesterraum steil ansteigende Sitzreihen für den Chor, auf den seitlichen Balkonen trat der Kinderchor auf und zwei Proszeniumslogen über dem Orchester blieben besonderen Auftritten wie etwa dem des Mephisto vorbehalten.

Jegliche „Inszenierung“ erübrigte sich hiemit.

 Da Robert Schumann besonderen Wert auf die Textverständlichkeit legte und sich die Goethe-Texte aus beiden „Faust“Teilen auch so aussuchte  – manchmal leicht abgewandelt, um der Musik entgegen zu kommen – , dass die ihm wichtigen Botschaften klar verständlich und – vor allem – in ihrer emotionalen Aussage das Publikum bewegen sollten. Das ist ihm voll gelungen.

 Mit einem Aufschwung, der einen vom Sitz riss, begann die Ouvertüre. Ira Levin gelangen mit Kreisbewegungen beider Arme bei den Wiederholungen mehrfache Erregungsmomente. Offenbar wollte Schumann mit diesen Spontan- Crescendi des vollen Orchesters die Größe und Bedeutung des im Folgenden behandelten weltbewegenden Sujets fühlbar machen. Das Orchestre de la Suisse Romande hat zudem ja nicht nur einen Namen, sondern auch das entsprechende Können. Da war großes Musikdrama angesagt. Aber nie vordergründig laut oder knallig, sondern ausdrucksgeladen. Die Sänger waren immer gut zu hören. Wie ich las, hat Schumann die Ouvertüre als letzte Nummer komponiert. Es ist ihm gelungen, auf alles Folgende sehr neugierig zu machen.

Ganz wenige Szenen befassen sich mit der Gretchen-Tragödie. Der stimmliche und ausdrucksmäßige Liebreiz, mit dem Genia Kühmeier es ihrem Faust-Partner, Marcus Werba, leicht machte. sich ihr zuzuwenden, sucht seinesgleichen. Ich wüsste auf Anhieb keine schönere lyrische Sopranstimme zu nennen. Und Werbas kerniger Bariton und besonders markante Wort-Ton-Gestaltung war nicht nur in dieser Szene im Garten, wo  er den charmanten Liebhaber mimte, vorbildlich. Er konnte dann im Verlauf des Abends auch alle anderen Facetten der Figur vermitteln. Gleich nach dem bezaubernden Liebesgespräch singt Gretchen ihr „O neige, Schmerzensreiche“ mit gleicher Vollendung. Für den Mephisto, hier als „Böser Geist“ bezeichnet, brachte Albert Dohmen seine Wotan- und Alberich-Erfahrung in Form dunkler, hintergründiger Töne nebst beachtlicher Autorität mit. Mit dem hervorragenden Choer du Grand Théâtre de Genève, der akzentfreies Goethe-Deutsch singt, erleben wir die Szene im Dom als interessante Variante zu anderen Vertonungen des Stoffes.


Bernarda Bobro. Copyright: GTG Magali Dougados

Wie Schumann selbst sagte, sei es ihm vor allem um das Thema der Suche nach Erlösung gegangen. Naturschauplätze inspirieren Faust zu neuen Gedanken. Jetzt erst tritt erstmals der Tenor auf, der Schweizer Bernard Richter, zunächst als Ariel, später als Pater Ecstaticus, als Engel und mit einem Tenorsolo. Mit kraftvoller, strahlender Stimme und vorzüglicher Diktion gibt er dem Gesungenen Bedeutung. („Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig“) . Dann, um Mitternacht, treten allegorische Figuren  auf: Mangel. Sorge, Schuld und Not, sehr spritzig gesungen von Bernarda Bobro, Katija Dragojevich, Nadine Weissmann und Mi Young Kim – ein  ungewöhnliches Ensemble, das mit den Worten „Es ziehen die Wolken, es  schwinden die Sterne /Dahinten, dahinten! Von ferne, von ferne /Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der Tod.“ Faust bewusst macht, dass er bisher immer nur begehrt, jedoch keine Befriedigung gefunden hat. Das macht ihn wohl empfänglich für die Einflüsterungen der Gespenster, danach nochmals denen Mephistos und der Lemuren. Dieser Abschnitt der Komposition ist betitelt „Fausts Tod“ und endet mit Mephistos Aussage: „Die Uhr steht still“, worauf der Chor „Der Zeiger fällt“ sowie Chor und Mephisto ein ganz ruhiges „Es ist vollbracht“ singen. Das Berührendste am Ende dieser Szene aber kommt aus dem Orchester. Nochmals lässt Ira Levin den Klangkörper ein wunderschönes Crescendo spielen, aber im Gegensatz zu jenem in der Ouvertüre ganz ruhig und wie er es, mit einer spannungsgeladenen Generalpause,  zweimal ganz sanft zurücknimmt und lange ruhen lässt, ehe er die Arme senkt und damit dem gebannten Publikum  anzeigt, dass es applaudieren und in die Pause gehen könne.

 Der 3. Teil des Abends nennt sich „Fausts Verklärung“. Der Titelheld tritt nicht mehr auf. Wie schon im 2. Teil, begeistert die hochromantische  Musik. Der Chor übernimmt eine Hauptrolle. Pater Ecstaticus, Pater Profundus (sehr eindringlich der finnische Bassist Sami Luttinen), Pater Seraphicus, der Kinderchor der seligen Knaben, ältere und jüngere Engel melden sich zu Wort und Ton und sogar Gretchen erscheint nochmals aus dem Jenseits, um den „Neuen“, der „aus ätherischem Gewande hervortrit in neuer Jugendkraft…“ zu sich zu rufen. Mater Gloriosa mahnt sie, sich in höhere Sphären zu erheben, auf dass Faust ihr folge.
Die Faust-Szenen enden mit den Versen: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis / Das Unzulängliche, Hier wird´s Ereignis; Das Unbeschreibliche, Hier ist es getan; Das ewig Weibliche zieht uns hinan!“ – Und diese letzte Aussage wird unzählige Male vom Chorus Mysticus wiederholt, in einem komplizierten Chorsatz. Und wenn der Komponist dieser Überzeugung endlich Genüge getan hat, beruhigt sich das gesamte Ensemble und wir erleben wieder, wie am Ende des 2. Teils, die so berührende zweimalige orchestrale Versicherung, dass nun alles gut sei. Lange Stille wieder, ehe der Dirigent die Arme sinken lässt. Es ist dem einspringende Maestro gelungen, mit großer Souveränität und Sensibilität aus den vielen Teilen ein Ganzen zu formen.

 Dem Chorleiter Alan Woodbridge ist ebenso große Anerkennung zu zollen. Und der Theaterleitung für diese Werkwahl (mit immerhin 3 Reprisen) und das Engagement der vortrefflichen Sängerschar.

Wenn man dieses Schumann-Opus gehört hat (ich hatte auch die beiden letzten Proben besucht), könnte die Frage aufkommen, wie man den Goethe-Text ohne Musik überhaupt  aufführen kann…                                 

Sieglinde Pfabigan

 

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