Norma, Oper Genf vom 18. Juni 2017
Alexandra Deshorties (Norma), Sona Ghazarian (Clotilda). Copyright: Carole Parodi
Die Gallier leiden unter der römischen Fremdherrschaft und sehnen sich nach dem Befreiungskrieg, doch die Druidenpriesterin Norma ruft zum Frieden auf. Niemand weiss, dass sie sich in zweifache Schuld verstrickt hat. Sie hat nicht nur ihr Keuschheitsgelübde gebrochen und zwei Söhne geboren, nein, mehr noch, der Vater ihrer Kinder ist der Repräsentant der feindlichen Besatzungsmacht, der römische Prokonsul Pollione. Als sich Pollione der jungen Novizin Adalgisa zuwendet, will Norma gar ihre eigenen Kinder töten. In einer letzten Unterredung weigert sich Pollione zu Norma zurückzukehren. Nun ruft sie zum Krieg gegen die Römer auf und verlangt nach einem Menschenopfer. Sie bekennt öffentlich, ihre Religion und ihr Volk verraten zu haben, und beschreitet den Scheiterhaufen. Pollione folgt ihr in den Flammentod.
Es kommt nicht von ungefähr, dass Vincenzo Bellinis Norma als schwer inszenierbar gilt. Trotzdem gilt es zu überlegen, ob man nicht lieber eine konzertante Version wählt als eine Produktion von einer anderen Oper zu übernehmen die nebst einer schwer nachvollziehbaren Regie über ein langweiliges Bühnenbild verfügt.
Die Oper findet in einer subattraktiven reizlosen Umgebung statt, in der man lieber nicht leben möchte. Das schmuddelige Einheitsbühnenbild vereint alle Szenen, sowohl den gallischen Wald, Normas Privatgemächer als auch der Tempel. Das alles zusammen vereint, befindet sich in einem Innenhof der verlotterter nicht sein könnte. Vorne abgetrennt mit einer Barriere, die nur die Hauptdarsteller betreten dürfen, spielt sich die eigentliche Schlüsselszenerie ab. Hinter der Barriere auf den Bänken sitzt der Chor in Kostümen der 40er Jahre. Man sieht ihnen die Krise, die Perspektivlosigkeit und Armut an. Die Frauen in reizlosen Kleidern und die gallischen Mannen in verstaubten Anzügen, versprühen Hoffnungslosigkeit und wirken zugleich resigniert, aber kämpferisch. Zum Zeichen ihrer Ungeduld in den Krieg ziehen zu wollen, schlagen die Krieger mit den abgeschabten Aktentaschen gegen Bänke und Wände.
Nur Norma setzt Zeichen und skandalisiert in einer männerdominierten Welt mit ausgefallenen Akzenten. Sie trägt High Hills und einen goldenenkatholischenTalar. Die Regie von Jossi Wieler und Sergio Morabito versuchen Norma als Opfer der Zeit darzustellen, als eine Frau die mit den Traditionen zu brechen versucht und somit auf sich aufmerksam machen will. Diese Szenerien ist nur mässig gelungen, wirkt sie doch allzu abgedroschen. Die Genfer Oper hat die alte Produktion von der Oper Stuttgart übernommen, die am 29. Juni 2002 Premiere hatte. Es spielt sich viel vor der Barriere ab und somit verkommt die Aufführung zum veritablen Rampensingen und Kräftemessen, was sich in lautstarkem singen äussert.
Alexandra Deshorties kann der extrem diffizilen Titelrolle mit kraftvoller Dramatik wie auch mit feinen Lyrismen ihres wohlgerundeten Soprans bestehen. In der Höhe wirkt die Stimme angestrengt und hat einige nicht wohlklingende schärfen. Ruxandra Donose ist eine innige Adalgisa mit einer wunderbar gut fokussierten Stimme, die vom ersten bis zum letzten Ton gefällt. Pollione wird von Rubens Pellizari mit lautstarkem forciertem Tenor gesungen. Als Normas Vater erlebt man Marco Spotti. Da die Inszenierung die Clotilda als Mutter Normas sieht und ihr schauspielerisch den Rang einer Hauptdarstellerin zugedacht hat, wollte man einen Star der vergangenen Generation für diese Produktion aufbieten: Sona Ghazarian. Die Ghazarian hat in Genf u.a. Lucia und Alice Ford gesungen und zählte in ihrer Glanzzeit zu den geliebten Stars des Hauses.
Makellos singt einmal mehr der Chor, der von Alan Woodbridge hervorragend einstudiert wurde. Das Orchestre de la Suisse Romande unter dem energiereichen Maestro John Fiore spielen Bellinis Melodik klangschön sowie nuancen- und farbenreich.
Marcel Paolino