GENF/Grand Théâtre: SALOME – NI am 27. Januar 2025
Copyright: Magali Dougados
Musiktheatralische Hochspannung!
Die Neuinszenierung der „Salome“ von Richard Strauss am Grand Theatre de Genève in der Regie von Kornél Mundruczó, der – an diesem Abend besonders offensichtlich werdend – auch Filmregisseur ist, unter Mitarbeit von Marcos Darbyshire war wahnsinnig aufregend und spannend. Es war eigentlich alles da, was man sich mit einer nahezu unbegrenzten Phantasie vorzustellen in der Lage ist, mit einem unglaublichen Einfallsreichtum bei einer fast irren Dramaturgie im Licht von Felice Ross. Dabei hat mich Mundruczó mit seiner Ayurveda-artigen „Lohengrin“-Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper München Ende 2022 überhaupt nicht überzeugt.
In dieser „Salome“ kommt man sofort in das wilde Getümmel einer total dekadenten Luxus-Society in einem hypermondänen und in den Kitsch abgleitenden Salon auf dem 30. oder noch höheren Stockwerk eines Wolkenkratzers in Manhattan. Er stammt ebenso wie die darauf gut abgestimmten Kostüme von Monika Korpa. Im Hintergrund ist das Empire State Building zu sehen. Auslöser für dieses Regiekonzept war für Mundruczó ein Besuch in New York für eine Apple TV-Aufnahme, als er in einem Luxushotel abstieg, in dem sich die High Society mit ihren Stars und Sternchen trafe und offenbar wurde, dass Geld keine Rolle spielte. Da kam ihm die Idee der „Salome“-Gesellschaft, in der eine gewisse Gefühlskälte ebenso herrscht wie die Obsession von Macht und Reichtum sowie die Überzeugung, alles besitzen zu können. Dabei hat ihn dieses Werk von Oscar Wilde schon seit vielen Jahren bewegt.
Man gibt sich in diesem Ambiente also genüsslich Drogen sowie natürlich hochprozentigen Getränken hin. Die Bar ist fast ein Wohnzimmer für sich. In einer Assoziation zur jüngsten Präsidentenwahl der USA haben einige der unbedeutenderen Partymitglieder die roten MAGA-Baseballkappen auf dem Kopf… Salome ist für den Regisseur in diesem Umfeld von Reichtum und Macht, in dem er subtil auch auf den derzeitigen Hype um die einschlägigen Milliardäre in den USA anspielt und welches Salomes Sozialisation verhindert, eine junge Frau, die nie verstanden wurde und alles ändern will. Sie sei ein Borderline-Fall und letztlich dem Suizid geweiht.
Ihre Mutter Herodias ist hier einmal nicht die alte Mutter, sondern ebenfalls eine attraktive, noch relativ junge Frau, die mit Salome ein gewisses Macht-Gleichgewicht gegen ihren alten Mann Herodes bildet und über sein erotisches Interesse an der Stieftochter durch seinen damit verbundenen Schuldkomplex Macht auf ihn ausüben will. Somit instrumentalisiert Herodias ihre Tochter – durchaus nachvollziehbar aus dem Stück und in dieser Interpretation. Eine total dysfunktionale Familie also! Salome ist hier letzten Endes Opfer eines toxischen Umfelds, in dem die menschlichen Beziehungen durch Gewalt und Manipulation gekennzeichnet und damit so gar nicht mehr menschlich sind…
Copyright: Magali Dougados
Es ist zeitweise irre, mit welcher Phantasie hier agiert wird und auch groteske Elemente zum Einsatz kommen. In der Tat die „Décadence du fin de siècle“! So ist Salomes Tanz zu Beginn gar keiner, beginnt mit einigen erotisch angehauchten Verrenkungen der Sängerin und endet schließlich damit, dass Herodes sie packt, in einen Aufzug schleppt und dort minutenlang aufs Heftigste vergewaltigt. Alles weitere ist ebenfalls recht unkonventionell, wenn auch im Rahmen des Stücks nachvollziehbar. Jochanaan ist zu Beginn in dem besagten Aufzug zu sehen, mit an eine Irren erinnernden Bewegungen. Er kommt aber bald schon heraus und ist dann fast dauernd auf der Bühne. Er sieht als offenbarer outlaw aus wie ein Landstreicher – oder österreichisch – Sandler, immerhin mit einem Sweater der Columbia University, womit er sich von der elegant gekleideten Party-Gesellschaft krass abhebt und natürlich automatisch in den Fokus des Geschehens gerät. Mundruczó zeigt ihn hier natürlich nicht in einem religiösen Kontext (obwohl der Text das natürlich verlangt – aber bitte, „Freiheit der Kunst!“) sondern als grotesken Außenseiter, eine verirrten Intellektuellen, der von einer an sich richtigen Idee beseelt ist wie von einer Ideologie, aber nicht begreift, dass für diese in einem solchen Umfeld keinerlei in Interesse, ja nicht einmal ein Wahrnehmungspotenzial besteht. So wird sein trauriges Ende schon mit seinem ersten Betreten dieses dekadenten Luxus-Ambientes absehbar.
Copyright: Magali Dougados
Gábor Bretz, nach seinem eindrucksvollen Holländer und mittlerweile auch Wotan, spielt dieses für Jochanaan ungewohnte Rollenprofil äußerst authentisch und in seinen ganzen grotesk-schockierenden Facetten intensiv, wobei ihm sein klangvoller und ausdrucksstarker Bassbariton sehr zustatten kommt. Man erinnert sich an sein großartiges Rollendebut bei den Salzburger Festspielen vor einigen Jahre mit Asmik Grigorian. Olesya Golovneva gibt mit der Salome ein außergewöhnliches Rollendebut, sowohl stimmlich wie darstellerisch. Noch sehr jung wirkend und bildhübsch macht sie die Gier des Herodes und auch anderer der Partygesllschaft auf sie nachvollziehbar. Beeindruckend zeigt sie im Laufe des Abends, wie ihr Groll und ihre Ablehnung der sie umgebenden Verhältnisse durch den Kontakt zu Jochanaan langsam weicht und sie mit ihrer Annäherung an ihn erstmals zu einer eigenen, wenn auch absurden Artikulation ihrer bis dahin freilich kaum wahrnehmbaren Persönlichkeit kommt. Stimmlich kann sie mit ihrem perfekt geführten und modulationsstarken Sopran alle vokalen Höhen und Tiefen der Rolle ausloten.
Tanja Ariane Baumgartner ist in jeder Hinsicht eine exzellente Herodias, die das Geschehen um sie herum in jedem Moment zu ihrem Vorteil nutzt, ja sogar einmal mit Jochanaan anzubandeln versucht. John Daszak liefert einen starke Charakterstudie des Herodes in dieser leicht ans Verrückte grenzenden Regie und überzeugt auch stimmlich vollkommen. Eine eher dem – hier also auch passenden – Charakterfach zugeneigten Stimme. Matthew Newlin singt einen wohlklingenden Narraboth, dem das Sich-Verzehren nach Salome in jedem Moment anzusehen ist und der sich im Hintergrund schließlich die Pulsadern aufschneidet. Ebenso wie Newlin macht Ena Pongrac mit dem gut gesungenen und – wie es sein sollte – zurückhaltend gespielten Pagen ihr Rollendebut. Unter den weiteren Nebenrollen, alle sehr gut besetzt, gibt neben drei Sängern des Jeune Ensemble viele weitere Rollendebuts.
Jukka-Pekka Saraste machte diesen szenisch beeindruckenden Abend mit dem Orchestre de la Suisse Romande, dem erstklassigen und traditionsreichen Genfer Ensemble, auch musikalisch zu einem Erlebnis. Mit stets perfekten Tempi wusste Saraste das Sublime und zeitweise auch Schwüle der Strauss‘schen Musik hervorzuheben, dann aber auch wieder Momente großer Dramatik, so der Beginn des Tanzes der sieben Schleier, hier natürlich ganz ohne Schleier… Zu jedem Zeitpunkt befanden sich Orchester und Bühnengeschehen in großer Harmonie, was eine “Salome“ aus einem Guss mit Hochspannung bescherte. Es wirkte wie ein langer Wagner-Abend, war aber nach genau einer Stunde und 47 Minuten vorbei.
Im Finale lässt der Regisseur den großen Salon seitlich verschwinden. Langsam taucht im Bühnennebel aus dem Hintergrund der bleiche Riesenschädel des enthaupteten Jochanaan auf und kommt langsam nach vorn – ein unglaubliches Bild und diametraler Kontrast zur bisherigen Bühnenbildästhetik! Theatralischer ging es kaum. Salome singt ihre beiden großen Monologe, während aus Ohren und Mund des Kopfes etwa sechs Doppelgängerinnen mit interessanter Chorographie hervorkommen. Ein vielseitiges Bild am Ende des Stücks. Der Todesbefehl des Herodes spielt für Salome keine Rolle mehr: Sie befindet sich in diesem Finale ohnehin in einem Prozess des fortschreitenden Selbstmords, nachdem sie sich bewusst geworden ist, alle in diesem Kontext denkbaren Grenzen überschritten zu haben. Die Regie hat ihr ja dieses Schicksal über den ganzen Abend ohnehin in dies Rolle geschrieben. Da passte also alles!
Klaus Billand