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GENF/ Grand Thėâtre: IL GIASONE von Francesco Cavalli

01.02.2017 | Oper

GENF/ Grand Thėâtre: IL GIASONE von Francesco Cavalli am 28.1.2017


Copyright: GTG/ Magali Dougados

 E r hat’s erfunden : Francesco Cavalli. Zwar haben vor ihm natürlich auch schon sein Meister Monteverdi, Rossi, Caccini und andere „dramme per musica “ geschrieben, aber e r verantwortet die ersten ö f f e n t l i c h, vor zahlendem Publikum(und nicht nur vor dem Hof) aufgeführten Opern. Sein in Venedig entstandener „Giasone“ ist sofort ein nicht nur ein italienweiter, sondern sogar europaweiter Hit, wird zum meistgespielten lyrischen Werk des 17. Jahrhunderts. Und Cavalli kreiiert damit gleichzeitig einen eigenen Musikstil, eine neue Musiksprache, die zumindestens bis Rossini reicht und sogar noch bei Puccini ihren Nachhall erklingen lässt.

Anlässlich so einer rundum gelungenen Produktion wie der der verdienstvollen Genfer Oper stellt sich aber prinzipiell die Frage, ob das Genre seit ihm überhaupt Fortschritte zu verzeichnen hatte, oder ob nicht jener „Giasone“ etwa als eine der frúhesten Schöpfungen bereits einen unübertroffenen und unübertreffbaren späten Höhepunkt der gesamten Gattung darstellt. Am ehesten nahe kommt ihm sehr sehr viel später der geniale Jacques Offenbach, was zum Beispiel die Mythenverarschung betrifft. Im Vergleich zu den unglaublichen Einfällen von Cavallis Librettisten Giacinto Andrea Cicognini jedoch wirken dann selbst die Operetten des Pariser Meisters nahezu handzahm und klosterschülerinentauglich. Cicognini ist erbarmungslos un- bzw. a-moralisch. Nicht umsonst war Venedig zu diesem Zeitpunkt d i e Vergnügungsmetropole, um nicht zu sagen: d a s beliebteste und hochklassigste Bordell Europas. Also wird auch hier auf der Bühne „geliebt“, ohne Ansehen des Geschlechts, des Alters, der Normen des Gesetzes oder gar der Gebote der Kirche  (in der Lagunenstadt hatte man sogar soeben die Jesuiten vertrieben)…


Kristina Mkhitaryan. Copyright: GTG/ Magali Dougados

Also macht Jason (Giasone), der durch seine Besetzung mit einem Kastraten von vornherein als sexuell zwielichtiger, „effeminierter“ Hallodri angelegt ist, nahezu gleichzeitig – ohne das geringste Band einer eheähnlichen Gemeinschaftoder einem Ansatz von Reue – zwei Frauen je zwei Zwillinge, was die trotz ihres fortgeschrittenen Alters immer noch total lüsterne (und natürlich ebenfalls von einem Mann gesungene) Amme zu folgenden, eigentlich bis zum heutigen Tage unerhörten Maximen veranlasst: “ Wenn ein Mann mit zwei Frauen in einer Woche schläft, müssen die Frauen aus Rache mit drei Männern in einer S t u n d e schlafen. “ Hat was. Und ist ja auch rein technisch, wie man weiss, zumindest bei F r a u e n durchaus möglich…

In Genf kann man das alles in Höchstkultur mit – erleben.

Der vor Ort seit einiger Zeit ansässig gewordene argentinische Dirigent Leonardo Garcia Alacron hat sich in den letzten Jahren zu einem der angesehensten Experten dieser Musikrichtung entwickelt. Wir verdanken ihm unvergessliche Erlebnisse dank seiner Aufführungen der bis dahin völlig unbekannten Oratorien „Il diluvio universale“ und „Nabucco“(sic!) des ebenso völlig unbekannten maltesischen Komponisten Michelangelo Flavetti sowie einen wunderbaren Cavallischen „Eliogabalo“ an der Pariser Oper. Und wir freuen uns schon auf seinen dritten Cavalli, „Erismena“, diesen Sommer in Aix…Den „Giasone“ bringen er und seine „Capella Mediterreana“ auf enthusiasmierende Art und Weise in all seiner unglaublichen rhythmischen, dynamischen, melodischen und instrumentalen Vielfältgkeit und Pracht beglückend zur Geltung.


Valer Sabadus, Kristina Mkhitaryan. Copyright: GTG/ Magali Dougados

Bühnenbild – und Kostümbildner – Altmeister Ezio Toffolutti macht sich mit intelligenten und ästhetisch raffinierten Zitaten von barocken bis zu zeitgenössischen Ikonographien einen grossen und gebildeten Spass. DIe junge italienische Regisseuse Serena Senigallia wiederum erweist ihrem Ruf, eine grosse Künstlerin der Personenführung zu sein, alle Ehre. Ganz ganz selten erlebt man ein Ensemble, das – ohne Ausnahme – soo bei der Sache ist, nicht nur singt, sondern in jeder Sekunde mit allen Fasern ebenso s p i e l t und weiss, w a s es singt. Aber – nicht zu unterschätzen – auch phantastisch s I n g t. Stellvertretend für alle erwähnt seien: einer der besten Countertenöre der Gegenwart Valer Sabadus (Giasone), die wunderbare Kristina Hammerström (Medea), die nicht minder grossartige Kristina Mkhitaryan (als ihre Rivalin) sowie der souveräne Grandseigneur der Gesangeskunst Raúl Giménez…

Ein Fest für Augen und Ohren. Fast wähnte man sich in Venezia während des Carnevals anno 1649…

 Robert Quitta, Genève

 

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