Gounod: FAUST. Oper Genf am 9. Februar 2018
Das Glück zu haben noch einmal jung zu sein und genussvoll Leben zu können, dass ist der grosse Wunsch von Faust. Da erscheint der Teufel und verspricht ihm, genau das zu liefern was er sucht und vermacht ihm dafür seine Seele. Der Vertrag wird geschlossen, und Faust stürzt sich in eine leidenschaftliche Beziehung mit Marguerite, deren Unschuld und Naivität ihn ebenso anziehen wie ihre Herkunft aus der für ihn exotischen Unterschicht. Als sie schwanger wird, lässt er sie im Stich. Die Verlassene tötet ihr Kind und wird hingerichtet.
1859 erlebte Gounods Faust in Paris seine dazumal recht umstrittene Uraufführung, ein emotional monumental aufwühlendes Werk mit vielfältigen dramaturgischen Möglichkeiten und romantischen Schauermomenten, wenn man dem Werk auf der Bühne gerecht wird.
Der Regisseur Georges Lavaudant zeichnet ein kühles Bühnenbild mit wenig Charakter und in schlicht gehaltenem ewigem Grauton. Das auf zwei Niveaus konstruiert Bühnenbild lässt viel Spielraum für die Sänger und Sängerinnen und veranlasst das Publikum die eigene Vorstellungskraft anzutreiben. Die ganze Geschichte findet vor einem Hangar statt, ähnlich einer langen überdimensionalen Garage, wo die benötigten Requisiten für die jeweiligen Szenen nach öffnen des Garagentors herausgeholt werden. Mephisto bedient sich der jeweiligen Accessoires und inszeniert sich als Bühnenbildner in der Aufführung. Amüsiert sich, Matronen mit rosa Perücken zu versehen, schwarze Federkleider für die jungen Damen auszuwählen und seine teuflischen Adjutanten, stets in schwarzen Anzüge, wie Höllenhunde zu malträtieren.
Die vier teuflischen Adjutanten Méphistophélès bringen in einem überdimensional grossen Paket ein mit glitzernden Scherben bezogenes Kleid für Marguerite, welche sie in der berühmten Schmuckarie beschwört. Sie zieht sich das Kleid an und bewundert sich in den glitzernden Scherben.
Der Inszenierung fehlt es an Leben und Emotionen. Was als Charakterzeichnung schön daherkommt, führt bei Lavaudant immer wieder zu szenischem Stillstand. Da mangelt es nicht nur an darstellersicher Willenskraft, sondern vielmehr fehlt es generell an körperlicher Spannung und Interaktion zwischen den Rollendarstellern auf der Bühne. Verträumt und unkoordiniert steht Faust neben seiner Marguerite und Méphistophélès streicht um seinen unglücklichen Kompagnon herum, als ginge es nicht um einen teuflischen Handel, sondern vor allem darum, sich als Sänger und Bühnenbildner zu inszenieren.
Dafür ist die Besetzung sehr gefällig. Mit ihrem anmutigen Timbre und ihrer Pianokultur verleiht Ruzan Mantashyan der Marguerite eine anmutig wirkende Unschuld. Sie verfügt über die nötigen grossen Ausbrüche, mit denen diese Partie aufwartet. John Osborne überzeugt als Faust; Der Tenor verfügt über schöne Lyrismen, perfekt gesetzte Höhen, gepaart mit einer guten Erscheinung.
Jean-François Lapointe singt die tragische aber undankbare Partie des Valentin mit schön geführter Stimme. Marina Viotti als Marthe hat eine kleine Rolle, kann aber dank guter Präsenz und adretter Stimme aufwarten (sie ist die Tochter des hochgeschätzten, leider vielen zu frühen verstorbenen Maestro Marcello Viotti); Shea Owens ist ein solider Wagner. Samantha Hankey eine szenisch wie stimmlich präsenter Siebel. Der junge Adam Palka singt mit einem prächtigen Bariton und stilsicherem Auftreten einen überzeugenden Méphistophélès.
Mit dieser Neuproduktion hat das Grand Théâtre de Genève den 200ten Geburtstag des Komponisten gedacht. Leider konnte Jesús López Cobos nicht wie vorgesehen und aus gesundheitlichen Gründen das Dirigat übernehmen, An seiner Stelle trat der grosse französische Dirigent Michel Plasson an und übernahm alle Vorstellungen. Er führte das Orchestre de la Suisse Romande farbenreich und mit grosser Prägnanz und spiegelte fachmännisch die rhythmischen Klänge der Partitur wider und schenkte mit dieser gefälligen und hochromantischen Musik viele schöne Momenten mit Suchtpotenzial.
Schade wird die „Walpurgisnacht“ einmal mehr weggelassen. Damit wird eine zentrale Stelle des Werkes entfernt und somit musikalisch wie aufklärend bewusst ignoriert.
Marcel Burkhardt