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GENÈVE/ Opera de: TURANDOT – etwas „queer“

25.06.2022 | Oper international

Turandot, Opera de Genève vom 24. Juni 2022

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Calaf (Teodor Illicai), Turandot (Ingela Brimberg) Altoum (Chris Merritt). Fotograf Magali Dougados

Prinzessin Turandot will niemandem gehören. Dafür ist sie bereit, alles zu geben. Bisher ging die Strategie auf, um sich lästiger Verehrer vom Hals zu schaffen. Jeder der sie heiraten will, muss drei Rätsel lösen. Wer das nicht schafft, bezahlt mit dem Leben. Hunderte versuchen ihr Glück und fallen der grausamen Gewaltherrschaft Turandots zum Opfer. Doch dann taucht ein Mann auf, der die Rätsel lösen kann.

Der Regisseur Daniel Kramer ist das «enfant terrible» der Oper und des Theaters. Er schockiert gerne mit provokativen Bildern und visualisiert das verborgene Ungesehene. So zeigt er die Eunuchen Ping, Pang und Pong als kastrierte Wesen, die sich gegenseitig lieben und am Ende massakrieren, in dem sie sich gegenseitig töten. Er outet sich auch als Queer-Regisseur und ist der grossen Überzeugung, dass man die queere Liebe auf der Bühne zeigen muss. Im gleichen Sinne steht er für Inklusion auf der Bühne. Für ihn ist ein weiss geprägtes Ensemble undenkbar. Umso farbiger und bunter sind seine Inszenierungen.

In seiner Vision materialisiert sich die verbotene Stadt in Peking aus gestapelten Würfeln, die wie riesige Designerterrarien aussehen und mit ultraviolettem und fahlweissem Neonlicht beleuchtet sind. In der Mitte thront ein Bett aus Felsen. Ein unglücklicher Bewerber wird dort kastriert. Das ist das Schicksal, das die chinesische Prinzessin Turandot für Männer bereithält, wenn sie ihre drei Rätsel falsch beantworten. Puccinis rätselhafte Heldin, die die Liebe ablehnt, um eine vergewaltigte Vorfahrin zu rächen, ist eine „Frau in der Falle“: Kramers verführerische Idee, aus ihr eine Schwarze Witwe zu machen, eine Spinne, die für ihr starkes Gift und ihren sexuellen Kannibalismus bekannt ist, passt gut in die Geschichte der Turandot.

Trotz seiner manchmal doch etwas schockierender Bilder geht er nie so weit, dass er einen sexuellen Akt auf der Bühne zeigen würde. Die Poesie und die Metamorphose sind für ihn wesentlich wichtiger und schwieriger auf der Bühne umzusetzen. Die grössere Kunst eines Regisseurs sei es, diese Metamorphose visuell verständlich zu machen, so, dass es das Publikum auch versteht, meint Kramer.

Seine Sichtweisen sind modern und haben einen Bezug zur heutigen Zeit. Seine Regiearbeit ist frisch und zeitgemäss. Das hat zur Folge, dass das junge Publikum sich angesprochen fühlt und ins Theater gehr. So geschehen in Genf.

Spektakulätar sind die Lichteffekte. Das elektrische Bühnenbild stammt von dem japanischen Kollektiv teamLab, eine wahrlich wunderbare Beleuchtung, man denkt an die Strassen von Tokio bei Nacht. Es gibt Laser in allen Richtungen, Projektionen von Wellen, bunten Blumen, Wolken auf sich kreuzenden Strahlen, es blinkt, es schimmert, es flimmert, es funkelt, es ist blau, es ist rot, es spielt mit der japanischen Popkultur, ein bisschen queer an den Rändern, ein bisschen Gothic, ein bisschen Trash, kurzum, eine Farbenpracht der ganz besonderen Art.

Antonino Fogliani ist ein sensibler und mitfühlender Dirigent der hervorragend mit den Bildern und Sängern korrespondiert. Das Orchester de la Suisse Romande ist äusserst farbenfroh, mit üppigen Harmonien, mit einer Mischung aus Kraft und Geschmeidigkeit, reich an schönen Atemzügen. Der Chor (Choeur du Grand Théâtre de Genève) wirkt einmal mehr, durch seine Kohäsion, seine Fülle und den Reichtum seiner Palette, wunderbar.

Ingela Brimberg steigt nach dem langen Warten aus dem Bühnenhimmel herab, singt ihre Arie „In questa Reggia“ und ist recht gut. Sie hat eine gute Kontrolle über ihre Stimme, ihre Piani sind nicht ganz so fein, kann aber sehr gut in die Höhe strahlen mit ihrem Forte.

Umso eingeschränkter singt Teodor Illincai mit überforderter Stimmführung und nahezu schreiender tenoraler Kraft den unbekannten Prinzen Calaf, den um Turandot erfolgreich Werbenden, der ihre drei Rätsel lösen kann Prinzen.

Hervorragend Francesca Dotto als Liù. Welche das Liebevolle, Warme dieser Rolle verkörpert und ganz toll singt.

Mit Spiel und Stimme überzeugen auch Alessio Arduini als Ping, Sam Furness als Pang und Julien Henric als Pong. Auch der Timur von Liang Li, der Altoum von Chris Merritt und der Mandarin von Marc Mazuir singen mehr als nur rollendeckend.

Ein hervorragender Abend der sicherlich noch viel zu reden geben wird in der schönen Stadt Genf.

Marcel Emil Burkhardt

 

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