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Generationen-Dialog mit Mozart: Interview mit dem Pianisten Hans-Jürg Strub – wie erweckt man historische Partituren zu pulsierendem Leben? Wie erweckt man historische Partituren zu pulsierendem Leben? Pianist Hans-Jürg Strub

12.02.2025 | Instrumentalsolisten

Generationen-Dialog mit Mozart

 Wie erweckt man historische Partituren zu pulsierendem Leben? Der Pianist Hans-Jürg Strub und sein ehemaliger Schüler Christian Erny, der die Württembergische Philharmonie Reutlingen dirigiert, schaffen in ihrer neuen Mozart-Aufnahme genau das: Eine Interpretation von packender Gegenwärtigkeit, die festlichen Glanz und dramatische Tiefe vereint. Ein Gespräch über die Kunst der Mozart-Deutung und eine besondere Lehrer-Schüler-Beziehung.

 

Herr Strub, der Markt für Mozart-Einspielungen ist äußerst reich bestückt. Dennoch haben Sie sich gemeinsam mit Christian Erny für ein Mozart-Album entschieden. Was hat Sie dazu bewogen?

Die Frage nach der Notwendigkeit einer weiteren Mozart-Aufnahme stand für uns nie im Vordergrund. Es ging nicht darum, etwas grundlegend anders oder besser zu machen als andere. Der Impuls kam vielmehr aus einer tiefen persönlichen Verbindung zu dieser Musik. Mozart begleitet mich schon seit meiner frühen Studienzeit und besonders das c-Moll Konzert KV 491 war mir immer ein Herzensanliegen. Unsere Intention bei der Aufgabe war es, die rhetorische Kraft und den besonderen Charakter dieser Musik, ebenso wie ich Mozart selber sehe, zum Sprechen zu bringen. So etwas geht immer zunächst von meinem persönlichen Erleben der Musik aus.

Wie prägte Mozart Ihre Zusammenarbeit mit Christian Erny, die von der Lehrer-Schüler-Beziehung zu einer künstlerischen Partnerschaft geworden ist?

Christian kam zunächst in meinen Klavierunterricht und schloss die erste Phase seines Studiums bei mir ab. Daraus entwickelte sich über die Jahre eine musikalische Freundschaft. Wir führten intensive Gespräche über Musik, und ich verfolgte mit großem Interesse seinen Weg als Dirigent und Chorleiter. Ein erster Höhepunkt unserer Zusammenarbeit war die Aufführung von Mozarts Klavierkonzert KV 414 mit dem Morphing Chamber Orchestra. Das war besonders interessant, weil wir dort auch mit historischer Aufführungspraxis experimentierten. Ich spielte den Generalbass in den Tuttistellen, was heute eher unüblich ist – wobei mir Christian Erny eine grosse Hilfe war. Diese positive Erfahrung führte dann zu dem Wunsch nach einem größeren gemeinsamen Projekt. Also haben wir auch hier künstlerisch an einem Strang gezogen. Ich profitiere sehr von Christian Ernys Ideen und alles gewinnt durch die Anschauungen von jedem von uns beiden.

Die neue Aufnahme kombiniert das c-Moll Klavierkonzert mit der Haffner-Sinfonie. Was verbindet und was unterscheidet diese Werke?

Diese Werkauswahl ermöglicht einen spannenden Kontrast: Die Haffner-Sinfonie strahlt eine große Lebensfreude aus, während das c-Moll Konzert KV 491 zu Mozarts dunkleren, dramatischeren Werken gehört – und zum wunderbarsten, das Mozart geschrieben hat, sowieso! Zugleich erlaubt die Kombination aus Sinfonie und Instrumentalkonzert, dass wir beide als eigenständige Künstlerpersönlichkeiten auftreten – ich als Solist im Konzert, Christian als Dirigent in der Sinfonie. Das erschien uns stimmiger als etwa zwei Klavierkonzerte aufzunehmen.

Was macht für Sie das Besondere an Mozarts Musik aus?

Mozart hat eine geheimnisvolle Qualität, die sich dem rein Intellektuellen entzieht. Seine Musik verbindet höchste Kunstfertigkeit mit absoluter Natürlichkeit – jede Nebenstimme ist im Detail kunstvoll ausgearbeitet, und doch ist kein Ton zu viel. Anders als bei Beethoven, wo oft der komplexe kompositorische Prozess im Vordergrund steht, erscheint bei Mozart alles vollkommen natürlich. Das macht seine Musik so kristallin und in gewisser Weise unerreichbar. Genau darin liegt aber auch die große Herausforderung für den Interpreten: Diese Natürlichkeit muss erst erschaffen und ergründet werden. Man muss sehr kunstvoll arbeiten, um den Charakter zu treffen – sehr vieles muss erfüllt sein, damit die Musik wirklich singt.

Wie gehen Sie diese interpretatorische Herausforderung konkret an?

Mein Ziel ist es, eine große Durchsichtigkeit und klare Artikulation zu erreichen. Viele Passagen bei Mozart haben einen rhetorisch- theatralischen Charakter, der herausgearbeitet werden muss. Dabei ist für mich der natürliche, gesangliche Ausdruck zentral. In meinem Unterricht lasse ich die Studierenden oft Phrasen vorsingen, weil sie dann ganz intuitiv die natürlichste musikalische Linie finden. Natürlich gibt es heute ein großes Wissen über historische Aufführungspraxis und viele dieser Erkenntnisse sind sehr wertvoll. Aber letztlich muss die Interpretation intuitiv und lebendig bleiben. Es darf nie nach einem Regelwerk klingen.

Wie gestaltete sich der Aufnahmeprozess?

Das war für mich eine ganz neue Erfahrung, da es meine erste Orchesteraufnahme war. Nach einem Probentag blieben drei Tage für die Aufnahmen, aufgeteilt zwischen Sinfonie und Konzert. Das ist eine völlig andere Situation als bei Soloaufnahmen, wo man sich Zeit nehmen kann, verschiedene Versionen zu probieren und sich Aufnahmen in Ruhe anzuhören. Hier musste alles sehr konzentriert und effizient ablaufen. Unser Tonmeister Toomas Vana hat dabei hervorragende Arbeit geleistet. Eine besondere Herausforderung war die Akustik – im großen Probenraum hatte ich zunächst wenig Gefühl dafür, wie sich mein Klavierklang mit dem Orchester mischt. Da musste ich seinem Urteil vertrauen.

Sie haben als Pädagoge Generationen von Musikern geprägt. Was ist Ihr zentraler Ansatz in der Ausbildung junger Künstler?

Das Wichtigste für die jungen Musiker ist das richtige Erfassen des Notentextes, das Erkennen der musikalischen Struktur sowie der inneren Zusammenhänge einer Komposition und schliesslich die bewusste künstlerische Umsetzung in Klang. Diese Grundlage ist aber nur sozusagen die „handwerkliche“ Seite; darüberhinaus muss jeder Menschen zu seiner eigenen musikalischen Aussage geführt werden. Wie es in der Bhagavad Gita heißt: „Alle Wesen handeln nach ihrer Natur – was soll da die Zucht helfen?“ Man kann und soll die individuelle Natur nicht ändern, aber man kann helfen, den persönlichen Ausdruck zu entwickeln. Es ist wie bei Blumen – eine Rose ist eine Rose, eine Tulpe eine Tulpe, und das ist gut so. Unsere Aufgabe als Interpreten ist es, unseren ganz eigenen Zugang zur Kunst zu finden. Die Partitur braucht den einzelnen Menschen, um die Musik zum Sprechen zu bringen.

Wie war es bei Christian Erny?

Bei Christian Erny war es besonders spannend zu sehen, wie er mit seiner Vielseitigkeit und seinem positiven Ehrgeiz neue musikalische Felder erobert hat. Er blieb nicht beim Klavier stehen, sondern entwickelte sich zum Dirigenten, beschäftigte sich intensiv mit Musiktheorie und Chorleitung. Diese Offenheit für verschiedene musikalische Ausdrucksformen finde ich sehr bereichernd.

Von welchen Persönlichkeiten sind Sie persönlich besonders geprägt worden?

Zwei Lehrer waren besonders prägend: Christoph Lieske förderte von meinem 14. Lebensjahr bis zum Abitur meine Liebe zur Musik und zur Schönheit. In Hannover vermittelte mir Hans Leygraf wichtige Grundlagen in Klangtechnik und Werkanalyse. Später beeindruckten mich in Meisterkursen Tatjana Nikolajeva und Zoltán Kocsis durch ihren Unterricht.

Was sind Ihre nächsten Projekte? Wird das Mozart-Thema fortgesetzt?

Konkrete Pläne für weitere Mozart-Aufnahmen gibt es im Moment nicht, aber vielleicht ergeben sich neue Konzertaufführungen. Das Konzertieren ist für mich ohnehin erfüllender als das Aufnehmen. Was ich definitiv noch realisieren möchte, ist der zweite Teil meiner Schubert-Aufnahmen – nach der A-Dur und B-Dur Sonate fehlen noch die c-Moll Sonate und die Klavierstücke aus seinem letzten Lebensjahr 1828.

Daneben bin ich nach wie vor mit großer Freude in der Lehre tätig, noch kurze Zeit an der Zürcher Hochschule, länger noch am Konservatorium Winterthur und auch bei regelmäßigen Meisterkursen. Nächste Woche fliege ich nach Georgien, wo ich am Konservatorium in Tiflis einen Meisterkurs gebe. Diese Arbeit mit jungen Menschen erfüllt mich nach wie vor mit großer Dankbarkeit. Es ist faszinierend zu sehen, wie sich ehemalige Studierende entwickeln – manche bleiben dem klassischen Solistenweg treu, andere finden wie Christian Erny ganz eigene künstlerische Wege. Eine solche Vielfalt zu fördern und zu begleiten, empfinde ich als großes Privileg.

 

 

 

 

 

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