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GELSENKIRCHEN/ Musiktheater im revier: UN GIORNO DI REGNO von Giuseppe Verdi

19.06.2023 | Oper international

GELSENKIRCHEN: UN GIORNO DI REGNO von GIUSEPPE VERDI
18.6.2023  (Werner Häußner)

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Copyright: Musiktheater im Revier

Schweigendes Desinteresse. Dann Pfiffe, Zischen, Miauen, Gelächter: Der Misserfolg von Giuseppe Verdis zweiter Oper „Un giorno di regno“ („König für einen Tag“) am 5. September 1840 war beispiellos. Abgesetzt nach nur einer Aufführung – so etwas hatte auch Richard Wagner mit seinem „Liebesverbot“ erlitten, aber eben nicht an der Scala, sondern nur in Magdeburg. Beide Opern gehören ins Komödien-Genre, beide stammen von Komponisten, die den tragischen Ernst ihrer Stoffe nur noch einmal durchbrechen sollten: Wagner mit seinen „Meistersingern“, Verdi mit seinem lebensweisen „Falstaff“.

Auf diesen Abschied Verdis von der Opernbühne spielt Roman Hovenbitzer in seiner Inszenierung von Verdis ungeliebtem Jugendwerk in Gelsenkirchen an: Hermann Feuchter hat die Bühne des Musiktheaters im Revier mit einem Theater im Theater nach hinten abgeschlossen: Ein drehbares Bühnenportal ist flankiert von Wänden, dekoriert mit skizzenhaft gemalten Porträts – offenbar berühmte Gesangsgrößen. Der Raum soll an Verdis Stiftung und Begräbnisort, die „Casa di Riposo“ in Mailand erinnern, ein Altersheim für in Not geratene Sänger und Musiker. Den Raum dominiert ein gewaltiger Flügel, auf dem Georg Hansen als alter Verdi in Gehrock, Zylinder und weißem Schal die wenigen Rezitative begleitet. Der Maestro, wir wie ihn aus dem Porträt von Giovanni Boldini kennen, möchte diesmal aber nicht sein Alterswerk „Falstaff“ gespielt wissen, sondern seine geschmähte zweite Oper – auch das aus dem Graben gerufene Plädoyer des Orchesters ist eindeutig.

Das ist ein Einstieg, der die Komödie in Gang bringt, aber zu einer möglichen Deutung des Stücks nichts Erkennbares beiträgt. In den gesteppten, wirkungsvoll überzeichneten Kostümen von Johanna Ralser lässt Hovenbitzer die Sänger bewegungsfroh agieren, ohne buffoneskes Chargieren übertrieben auszustellen, betont aber auch in Momenten des Innehaltens, dass etwa eine Figur wie die um ihre Liebe fürchtende Marchesa del Poggio (mit technisch sicherem Wohllaut: Heejin Kim) ihre musikalische Sprache eher aus der ernsten Oper bezieht. Das mag auch ein Grund sein, warum Verdis Oper beim Publikum nicht landete. Ein anderer dürfte im Textbuch zu finden sein, dessen genaue Entstehungsgeschichte wohl nie aufzuklären ist. Die Grundlage jedenfalls bildet ein auf einer französischen Komödie basierendes Libretto Felice Romanis, das schon 1818 von Adalbert Gyrowetz für die Scala vertont wurde. Die erheblichen Kürzungen stammen vielleicht von Verdi selbst, vielleicht vom Scala-Hausautor Temistocle Solera.

Wie auch immer: Die Geschichte um ein Double des polnischen Königs Stanislaw Leszczyński, dessen Autorität zwei junge Menschen vor aufgezwungenen Heiraten bewahrt, lässt die Motive der handelnden Personen im Trüben und verortet sie konsequent in ihrer jeweiligen Gegenwart: der Schauspieler Belfiore, der den Polenkönig mimt, damit der „echte“ Stanislaus unerkannt in sein Land reisen kann; die eher aus einer „seria“ stammende Marchesa del Poggio, Belfiores Favoritin, die ihren Liebhaber für untreu hält und aus Trotz einen gealterten Grafen Ivrea (Bogil Kim) heiraten will. Dann die geldgierigen, verblendeten älteren Männer: Baron Kelbar will seine Tochter Giulietta an seinen Schatzmeister La Rocca verschachern, der andere, eben jener Rocca, verzichtet beim Wink mit viel Geld bereitwillig auf die Braut. Und der in Giulietta verliebte Edoardo, der in vier anspruchsvollen Nummern mit der Eleganz der französischen opéra comique, der Melancholie donizettischer Anti-Helden und der beweglichen Finesse von Rossinis meisterlichen Buffonerien das ganze Repertoire belcantistischer Kunst entfalten darf.

An der Komposition jedenfalls lag Verdis Fiasko nicht. Die Musik wirkt gut gearbeitet, lässt den späteren Melodiker ahnen und schlägt, etwa im Eröffnungschor und den geschärften Rhythmen der Cabaletten einen forschen Ton an, der schon auf seine späteren Dramen weist. Die zeitgenössische Kritik kreidet den Misserfolg auch den Sängern an, denen sie lässige Unlust vorwirft. Später Aufführungen legen nahe, dass diese Beschwerde richtig liegt: In Venedig, Rom und Neapel war „Un giorno di regno“ Jahre später durchaus nicht ohne Erfolg. Auch die Aufführungsserie an der Wiener Volksoper ab 1995 zeigte, wie schon eine Reihe von Neuinszenierungen in den achtziger Jahren, dass Verdis frühes „melodramma giocoso“ bühnenwirksam unterhalten kann.

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Voraussetzung dafür sind allerdings Sänger, die so ausgezeichnete Anlagen haben wie die lustlosen Protagonisten der Uraufführung. Und da hapert es bei dem jungen Ensemble doch an einigen Enden. „Un giorno di regno“ ist eine Produktion des Opernstudios NRW, das frisch ausgebildeten Sängern den Übergang in die Berufswelt ermöglichen soll. Dass dort auffällige technische Probleme offenbar keine Rolle spielen, verwundert doch: So fällt bei dem im Fatsuit an Verdis späten Komödienhelden Falstaff angenäherten Baron Kelbar (Yevhen Rakhmanin) ein unfertig, angespannter Ton auf, der keine lockere Resonanz entwickelt und steif geradeaus projiziert wird. Der Tenor Benjamin Lee als Edoardo bestätigt, was sich bereits in Rossinis „Otello“ angedeutet hat: Sein im Zentrum rund und schmelzend geformter Ton verliert in bestimmten Passaggio-Momenten sein Fundament und wird dünn und flatterig oder angestrengt versteift. Das sind Defizite, die eigentlich nach einer jahrelangen Gesangsausbildung nicht mehr auftreten dürften.

Oleh Lebedyev aus dem Opernstudio zieht seine Rolle des „falschen“ Stanislaw geläufig und geschmeidig durch, aber ein angerautes Timbre lässt kaum Belcanto-Charme zu. Yisae Choi, ebenfalls Mitglied des Opernstudios entledigt sich seiner Aufgaben, vor allem der buffonesken Duett-Plappereien, mit respektablem Anstand; Lina Hoffmann, als Giulietta durch ihre pyramidale Frisur noch längenbetont, lässt ihre hohen Töne aus dem Fluss der Stimme herausragen, was ohne druckvolle Emission glänzender gelingen könnte. Die jungen Protagonisten zeigen also wieder einmal, wie schwer es ist, Belcanto locker, klangschön und ausgeglichen zu singen. Mit Giuliano Betta am Pult trifft die Neue Philharmonie Westfalen eher den kruden jungen Verdi als einen eleganten Buffo-Ton; der Chor unter Alexander Eberle realisiert die forschen Klänge des jungen Verdi nahezu verwacklungsfrei. Die Produktion wird in der nächsten Spielzeit wieder aufgenommen und ist dann ab 23. März 2024 zu sehen.

 

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