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GELSENKIRCHEN/ Musiktheater im Revier: KRABAT – Rockoper von Himmelfahrt Scores und Coppelius. Uraufführung

08.06.2022 | Oper international

GELSENKIRCHEN: KRABAT – Rock-Oper von HIMMELFAHRT SCORES und COPPELIUS – Uraufführung, Premiere
5.6.2022 (Werner Häußner)

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Foto: Bettina Stöß

Liebe macht blind. Oder doch hellsichtig? In Otfried Preusslers Roman „Krabat“ sind es Akte spontaner Zuwendung in akuten Notlagen, die bei dem Waisenjungen Krabat die Erkenntnis anstoßen, dass mit der Mühle seines „Meisters“ irgendetwas nicht stimmt. Und dass die Magie, die das Räderwerk laufen lässt, keine menschenfreundliche, lebensfördernde Macht ist. Sondern Jahr für Jahr ihren dunklen Tribut fordert.

Im Grunde ist es ein einfach strukturiertes Märchen, das die Steampunk-Band Coppelius und das Komponistenkollektiv Himmelfahrt Scores (Peter Häublein, Roman Vinuesa, Jan Dvořák) zu einer zwischen Rock, Punk und minimal music angesiedelten Uraufführung verarbeitet haben. Sie knüpfen damit an den sensationellen Erfolg von „Klein Zaches, genannt Zinnober“, einer „Steampunk-Oper“ nach E.T.A. Hoffmann an, die 2015 und bei der Wiederaufnahme 2018 am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen bejubelt wurde. Schon 2019 war das Nachfolgeprojekt geplant, da starb der geniale „Klein Zaches“-Darsteller Rüdiger Frank. Und dann verhinderte die Pandemie die Premiere …

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Foto: Bettina Stöß

Nach drei Jahren Hin und Her hätte die Uraufführung um ein Haar wieder nicht stattgefunden: Aber Regisseur Manuel Schmitt sprang für den erkrankten Joachim G. Maaß ein und spielte selbst den „Meister“; Heribert Feckler lieh ihm dazu die Stimme. Schmitt ließ sich von Julius Semmelmann einen düsteren Raum bauen, dessen Konturen irreal verschwimmen. Konkret sind die grauweißen Säcke, mit denen die Lehrlinge schikaniert werden, denn nach sinnvoller Tätigkeit sieht das Stapeln, Schleppen und Gruppieren nicht aus. Der Schatten eines riesigen Mühlrads wird sichtbar; kreisförmige, metallische Aufbauten umgrenzen dann die Spielfläche. Projektionen, von Judith Selenko fantastisch gestaltet, führen in die Tiefe der Mühle, erinnern aber auch an ein gigantisches Auge, einen Zeittunnel oder eine Star-Wars-Technowelt. Nur wenn sich Krabat und die junge Frau, Kantorka genannt, treffen, taucht im Hintergrund groß und leuchtend der Mond auf.

Drei Akte – drei Jahre: So lange muss Krabat ausharren, seit ihn eine Stimme in die Mühle gerufen hat. In der Herde grauer Arbeitssklaven wird er zum Gesellen, schließlich sogar zum Nachfolger des „Meisters“ befördert. Mit ihm lernt der Zuschauer nach und nach die Mittel totalitärer Herrschaft kennen: Die vermeintliche Elite einer „geheimen Bruderschaft“ soll zusammenschweißen, das Unterdrücken sexuellen Begehrens dient als Herrschafts- und Kontrollmittel, innerhalb der Gruppe darf es keine Solidarität geben: „Keiner hilft keinem“. Heute weiß man: Preussler hat in seinem Roman Erfahrungen aus NS-Zeit, Krieg und Gefangenschaft reflektiert. Er selbst nennt ihn die „Geschichte meiner Generation“, eine „Geschichte eines jungen Menschen, der sich mit finsteren Mächten einlässt, von denen er fasziniert ist, bis er erkennt, worauf er sich da eingelassen hat“.

Schmitt inszeniert mit viel behutsamer Detailarbeit, wie sich im grauen Einerlei dennoch immer wieder Momente der Menschlichkeit ereignen: Der Altgesell Tonda (Sebastian Campione) unterstützt heimlich den Neuankömmling Krabat. Michal (Max Coppella) lässt sich die Menschlichkeit nicht austreiben und stärkt damit den Mut Krabats zum Widerstand, vor allem, als der die Demütigung des neuen Lehrjungen Witko (Scarlett Pulwey aus dem Jungen Ensemble) miterleben muss. Schließlich hilft Krabat selbst seinem Kumpel Juro (Martin Petschan) und nimmt die Kraftprobe mit dem Meister auf.

Dass sich Nächstenliebe nicht ausrotten und Krabat mit seiner von Bele Kumberger bewegend gestalteten Helferin Kantorka die Mühle zusammenbrechen lässt, ist die tröstliche Botschaft des Stücks. Bei Manuel Schmitt stehen die von der Magie der Macht befreiten Müllergesellen jedoch im Leeren: Was kommt, ist offen, sie müssen jeder für sich oder gemeinsam ihren Weg ins selbst gestaltete Leben finden.

In den dampfdurchwaberten und von Patrick Fuchs fantasievoll ausgeleuchteten Räumen Semmelmanns spielen die Musiker von Coppelius mit Klarinetten, Cello, Kontrabass und Schlagzeug (effektvoll auf einem Steg auf halber Höhe platziert) atmosphärisch treffende, harmonisch eher smarte Musik. Peter Kattermann führt auf der Hinterbühne  die Neue Philharmonie Westfalen durch saftig-gefällige, mal minimalistische, mal ätherische Klänge. Sebastian Schiller (alias Bastille) ist ein beeindruckend präsenter Krabat, Graf Lindorf erinnert als Lyschko an die sadistischen Schergen totalitärer Systeme. Gesanglich sind die Mitglieder von Coppelius auf unterschiedlichem Niveau; so ist bei Martin Petschan als Juro – wegen eines gebrochenen Fußes im Rollstuhl – der Abstand zwischen der vokalen und der charakterstarken darstellerischen Gestaltung doch erheblich.

Dass sich die drei Stunden am Ende doch ziehen, liegt wohl auch an der kontrastlosen Story und dem dramatisch flach gehaltenen Libretto Ulf Schmidts, in dem wiederholte Sätze wie „Tot ist tot“ und „Es geschieht, was geschieht“ nicht unbedingt in Bedeutungstiefen führen. Dennoch großer Jubel für ein ambitioniertes Experiment – und nicht nur die Steampunk-Gemeinde dürfte ihre Freude haben.

In dieser Spielzeit noch zwei Termine am 16. und 17.Juni. Wiederaufnahme am 2. Oktober 2022.

Werner Häußner

 

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