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GELSENKIRCHEN/ Musiktheater im Revier: MOSKAU, TSCHERJOMUSCHKI von Dimitri Schostakowitsch – Premiere

31.03.2018 | Oper

"Moskau, Tscherjomuschki", Musiktheater im Revier  in Gelsenkirchen  | Bildquelle: © Bettina Stöß
Copyright: Bettina Stöß/ Musiktheater im Revier

Gelsenkirchen: Moskau, Tscherjomuschki         von Dimitri Schostakowitsch

Premiere am 31. März 2018

In einschlägigen Werkführern (Oper/Operette) ist „Moskau, Tscherjomuschki“ von Schostakowitsch, so weit recherchiert werden konnte, nicht zu finden. Zu dieser Feststellung kontrastiert die Aufführungsstatistik der beiden vergangenen Jahrzehnte einigermaßen krass. Aufführungen fanden 2000 an der Londoner Opera North und in Regensburg statt, Stuttgart (2003), Altenburg/Gera (2006) und Oldenburg (2007) folgten, bald danach auch die Junge Staatsoper Berlin (2012) und Dresden (2014). Für den 19. Mai ist eine Premiere in Braunschweig angekündigt. Auf CD ist eine Einspielung unter Gennadij Roshdestwenskij von 1997 greifbar. Lange Zeit davor produzierte der Westdeutsche Rundfunk Köln Ausschnitte aus dem Werk, welches bei dieser Gelegenheit den Titel „Alle helfen Lidotschka“ erhielt.

Die Anregung für „Moskau, Tscherjomuschki“ ging von Grigori Stoljanow aus, dem UA-Dirigenten der „Lady Macbeth von Mzensk“. Während dieses Bühnenwerk, wie bekannt, durch ein Verdikt des erzürnten Stalin radikal aus den Spielplänen radiert wurde, fiel die Entstehung für „Moskau, Tscherjomuschki“ in die liberalere Ära von Chruschtschow. Aber so liberal war auch diese nicht (man denke an Billy Wilders Film „Eins, zwei, drei“), so dass es nach wie vor verwundert, dass das ironiegesättigte Werk (Schostakowitsch schrieb auch das Libretto) 1959 am Moskauer Operettentheater zur Premiere gelangen konnte. Über Reaktionen in der Öffentlichkeit verlautet im Programmheft der jetzigen Gelsenkirchener Produktion übrigens nichts.

Dass der sozialistisch unterdrückte Mensch aufs immer Neue einem grauen Alltag entgegen sah, welcher von „oben“ plakativ schöngeredet wurde, ist bitter wahrzunehmen. Ebenso die unwürdige räumliche Situation des Schlafsaals in einer freilich mit Glück okkupierten Neubausiedlung. Dass sich die – fast möchte man sagen – Delinquenten in ein alternatives Glücksleben hineinträumen, in welchem sogar Märchen wahr werden, ist nur allzu begreiflich.

Die äußeren Umrisse der Vorgänge zeichnet die Inszenierung von DOMINIQUE HORWITZ durchaus nach: Antreten der Arbeiter zu ihrer ach so schönen Tätigkeit, Anziehen der vorgeschriebenen Klamotten, rhythmische Gymnastik (man denkt an „Kraft durch Freude“), ödes Kartonstapeln (man assoziiert gewisse Szenen des Chaplin-Films „Modern Times“), dazu teigiger sozialistischer Wortregen aus den Lautsprechern. Am Ende des Stücks das Gleiche wie am Anfang. Aber der Regie gelingt es nicht, das zutiefst Depressive der Situation herauszuarbeiten. Man erlebt lediglich eine sich endlos dahinziehende, selbstzweckhaft einlullende Revue ohne Ecken und Kanten. Dazu Rampensingerei im Übermaß.

Um ehrlich zu sein: auch Schostakowitschs Musik zeigt nicht die oft erlebte tonsprachliche Pranke des Komponisten, wirkt dem Genre Operette vielfach nur angepasst, beliebig und manchmal auch unangenehm bombastisch orchestriert (was von der NEUEN PHILHARMONIE WESTFALEN unter STEFAN MALZEW gehörig ausgekostet wird). Aber das könnte bei inszenatorischem Geschick unterlaufen, als ironisches Potential genutzt werden. Nichts davon bei dem als Schauspieler und Entertainer so sehr anerkannten Horwitz. Während der fast zweieinhalb Stunden Aufführungsdauer windet man sich als Zuschauer permanent in seinem Sessel. Ausstattungsaufwand (PASCAL SEIBICKE) und Einsatz der Hebebühne helfen dem kaum auf.

Dass die Gesangsleistungen von ROLF A. SCHEIDER (Bubenzow) und ANKE SIELOFF (Mascha, seine Frau) imponieren und auch PETRA SCHMIDT (als Bauarbeiterin kommt sie allerdings erst ganz am Schluss zu Wort), PIOTR PROCHERA (Koretzki), URBAN MALMBERG (Baburow) sowie der von ALEXANDER EBERLE einstudierte Chor gute vokale Figur machen, sei nicht verschwiegen. Dazu viele Klein- und Kleinstrollen. Allein, was ist das für das szenische Defizit?

Christoph Zimmermann

 

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