Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

GELSENKIRCHEN: Drei Männer im Schnee – Operette von Thomas Pigor

30.09.2022 | Operette/Musical

GELSENKIRCHEN: Drei Männer im Schnee – Operette von Thomas Pigor
29.9. (Werner Häußner)

drei männer im schnee foto kreklau 162
Foto: Kreklau

Wer sagt denn, die Operette sei tot? Es stimmt schon, dass sie lange in der Agonie verstaubter Provinzaufführungen darniederlag, vom Blutstrom des Neuen abgeschnitten und in den Hades des Harmlosen verbannt. Viele haben daran gearbeitet, ihr das Leben auszuhauchen. Von ehrgeizigen wie hasenherzigen Regieführenden malträtiert, haben ihr zuletzt missmutige Intendanten den letzten Rest Leben weggespart, als sie nicht mehr zum kassenfüllenden Intervall zwischen anspruchsheischenden Opernprojekten dienen konnte. Ob die Mühen belohnt werden, die etwa ein Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin, die übrig gebliebenen Operettentempel in Dresden, Leipzig, München, oder begeisterte Einzelkämpfer hier und da investieren, ist noch nicht ausgemacht: Die „Renaissance“ der Operette zeichnet sich nicht ab, in vielen Spielplänen taucht sie gar nicht mehr auf.

Doch ganz verblichen ist sie dennoch nicht, die gute alte Operette. In den letzten Jahren regen sich ihre Lebensgeister, etwa in der wieder erblühten Beschäftigung mit Paul Abraham in sorgsam rekonstruierten Werkfassungen. Oder sogar im Entstehen neuer Operetten, beispielhaft zu bestaunen in Thomas Pigors „Drei Männer im Schnee“ 2019 am Münchner Gärtnerplatztheater. Ein unbestreitbarer Erfolg, der vor 100 Jahren sofort an zwei Dutzend Theatern nachgespielt worden wäre. Heute ist man froh, wenn es zu einer zweiten Produktion kommt, die nun am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen zu erleben ist. Gleich vorab: Es war ein köstliches Vergnügen und aller Mühe wert!

Pigor hat den Erfolgsroman von Erich Kästner in ein flottes Libretto verwandelt, das den bekannten Verfilmungen von 1955 und 1974 in nichts nachsteht. Am Boulevard erprobte Sprach-Gags, nach bewährter Art konstruierte Szenen und eine geschickt auf Abwechslung und Höhepunkte hin entworfene Handlung lassen die zweieinhalb Stunden rasch verfließen. Wenn im ersten der beiden Akte das Tempo ins Stocken gerät, ist es der Schaulust geschuldet, die eine gute Operette ja auch bedienen soll: Die wird bei Britta Tönnes gedämpften Bühnen-Grautönen nur sparsam befriedigt, aber eine veritable Revuenummer wie ein Skikurs nebst Brettl-Step rettet die Stimmung vor dem Absinken.

Thomas Pigor hat sich mit Komponisten und Arrangeuren wie Benedikt Eichhorn, Konrad Koselleck und Christoph Israel zusammengetan. Sie schufen eine Revueoperette, die unverkennbar an Vorbilder wie Paul Abrahams Dreißiger-Jahre-Glamour oder Hits wie das „Weiße Rössl“ anschließt – also an jene quicklebendige Operettenzeit, die von den Nazis abgewürgt (vergeblich) von „sauberen“ deutschen Erzeugnissen abgelöst werden sollte. Da mischen sich harmonisch behutsam modernisierte einstige Modetänze von der Rumba bis zum Tango und Foxtrott mit ironische Anspielungen auf alpenländische Pseudo-Folklore; da rauscht das Orchester auf zu Filmsound, ergehen sich Soloinstrumente in delikaten Details, swingt der Rhythmus und strömen die Melodien.

Nummern wie „Komm unter die Laterne, süße kleine Subalterne“ erinnern an den geistvollen Nonsens des Schlagers der Weimarer Zeit. Ein Finale wie „Fragen wir doch einfach mal den Wolkenstein“ bleibt beim Rausgehen im Ohr. „Es ist immer a bisserl das Herz dabei“ bedient das Sentiment, ohne sentimental zu werden. Der „Emir von Bahrain“ greift die von Paul Abraham so erfolgreich gepflegte Exoten-Nummer auf, und der freche Song vom „schönen Nollendorfplatz“ verheißt dem unglücklichen Skilehrer Toni – in schönster Buffo-Manier von Tobias Glagau verlebendigt – einen Schatz bei den „bösen Buben“ in Berlin.

Von spritzigen Melodien begleitet, geht es also in ein Grandhotel in Tirol. Dort verlebt Fritz Hagedorn vierzehn Tage auf Kosten der Firma Tobler, für die er in einem Wettbewerb einen preisgekrönten Slogan geschaffen hat. Gerne hätte der arbeitslose Werbefachmann statt Urlaub Bares bekommen, aber das wird ihm vom vermeintlich subalternen Faktotum der Firma, Fräulein Hilde, verweigert. Im Hotel steigt auch der zweite Preisträger des Werbe-Wettbewerbs ab, ein Herr Schulze, offenbar ein armer Schlucker, dem der Menschenkenner und Portier Polter gleich mal die unbeheizte Bedienstetenkammer unterm Dach zuweist. Ein anderer Gast dagegen wird bevorzugt behandelt: Den Herrn von Kesselhuth hält man für einen schwerreichen Reeder. Doch alles ist Verwechslung: Reich stellt sich als arm heraus und der bescheidene Herr Schulze übertrumpft am Ende alle. Selbstredend löst sich nach vielerlei Verwicklungen, einer wilden Nacht und einem verkaterten Morgen alles in Wohlgefallen auf, Paare finden zueinander und die unangenehmen Zeitgenossen haben das Nachsehen.

Sandra Wissmann, die vor fünf Jahren in Gelsenkirchen mit der „Lustigen Witwe“ das Genre bedient hat, ohne sich anzubiedern, findet auch diesmal die richtige Mischung aus liebenswerten Klischees und sorgfältiger Charakterzeichnung. So ist Joachim G. Maaß als Firmenchef Tobler, der einmal die andere Seite des Reichtums kennenlernt, in haarscharf austarierter Balance zwischen leicht trotteligem älterem Herrn und Autoritätsperson gezeichnet. Sebastian Schiller lässt spüren, wie fremd sich Fritz Hagedorn in der mondänen Welt des Bergressorts fühlt, wie er aber trotz materieller Not Rückgrat zeigt.

Mark Weigel gelingt es, den Kammerdiener, der den Kapitalisten mimen soll, überzeugend eine Rolle in der Rolle spielen zu lassen. Philipp Kranjc lässt den von sich eingenommenen Portier Polter die Nase gerade so hoch tragen, dass noch ein Rest von Sympathie bleibt. Bele Kumberger als Hilde verkörpert den neuen Typ Frau mit der Hand am Puls der Zeit und einem letztlich erfolgreichen Widerstandswillen gegen die Willkür patriarchalen Firmenregiments. Anke Sieloff inszeniert sich als Frau Calabré mit Raffinesse als Vamp, während Christa Platzer als Hausdame – und heimliche Affäre des Firmenchefs – beinahe auf der Strecke bleibt.

Michael Schulz, der Hausherr, rödelt als Hoteldirektor nach Manier der „Feuerzangenbowle“ durch die Szene, und auch andere kleinere Rollen sind überzeugend besetzt und von Sandra Wissmann mit Sorgfalt bedacht. Beata Kornatowska hat sich Kostüm-Inspirationen in den dreißiger Jahren geholt – das Stück spielt zum Jahreswechsel 1932/33 –, und Sean Stephens Choreographien sind unaufdringlich in den gelungenen Aufbau größerer Ensembleszenen integriert, an denen auch der von Alexander Eberle einstudierte Chor seinen Anteil hat. Peter Kattermann könnte die Neue Philharmonie Westfalen zuweilen etwas luftiger spielen lassen, aber der rhythmische Pep und die funkelnden Instrumentaldetails sitzen und machen Freude. Operette zeigt sich hier quicklebendig; dem Stück kann man nur wünschen, bekannt und verbreitet zu werden.

Werner Häußner

 

Diese Seite drucken