Oratorium als Oper im Musiktheater im Revier: „Belsazar“ von Georg Friedrich Händel (Vorstellung: 3. 1. 2015)
Den babylonischen König Belsazar gab der Tenor Attilio Glaser (Foto: Pedro Malinowski)
Seit einigen Jahren macht es Schule, Oratorien von Georg Friedrich Händel als Opern zu inszenieren. So auch im Musiktheater im Revier (MIR) in Gelsenkirchen, wo kürzlich sein Oratorium „Belsazar“ zur szenischen Aufführung (in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln) kam. Die Uraufführung des Werks fand im Jahr 1745 in London statt.
Nach dem Tod von Belsazar kämpft seine Mutter Nitocris (Alfia Kamalova) mit dem Perserkönig Cyrus (Anke Sieloff) um die Krone (Foto: Pedro Malinowski)
Die Geschichte, die im 6. Jahrhundert vor Christi Geburt spielt, handelt vom babylonischen König Belsazar, über den im Alten Testament und in den Historien von Herodot berichtet wird. Zu dieser Zeit werden die Juden in Babylon gefangen gehalten, während der Perserkönig Cyrus die Stadt belagert. Da er die Stadtmauern nicht überwinden kann, wird Belsazar leichtsinnig. Er will trotz der Warnungen seiner Mutter Nitocris beim großen Sesach-Fest seine Macht demonstrieren und die aus dem jüdischen Tempel geraubten Kultgegenstände entweihen. Als während der Feier die rätselhaften Worte „Mene, Mene, Tekel, Upharsin“ an der Wand erscheinen, lässt er den jüdischen Propheten Daniel rufen, der diese Worte als das Ende von Belsazars Macht liest. Tatsächlich hat der Perserkönig Cyrus mittlerweile den Fluss Euphrat, der durch die Stadt fließt, umgeleitet, um mit seinem Heer durch das trockene Flussbett in die Stadt einzudringen. Cyrus besiegt Belsazar und übernimmt die Macht in Babylon. Den Juden schenkt er die Freiheit und lässt sie nach Jerusalem zurückkehren.
Zum Mittelpunkt der Inszenierung von Sonja Trebes wird der stimmgewaltige Opern– und Extrachor des MIR (hervorragend einstudiert von Christian Jeub), der alle drei Völker – die Babylonier, die Perser und die Juden – darzustellen hat. Eine Herausforderung, die in Gelsenkirchen auch optisch sehr gut gelöst ist. Kostümbildner Renée Listerdal lässt die Perser in Gold glänzenden Rüstungen, das Volk Daniels als orthodoxe Juden in Schwarz-Weiß-Kleidung und die Babylonier in gelb-braunen Kostümen mit roten Kappen auftreten. Besonders eindrucksvoll die Schlussszene, als der Chor schwarzgekleidet an der Rampe das Amen intoniert.
Raffiniert genutzt wurde die Drehbühne durch den Bühnenbildner Hyun Chu, der durch verschiebbare hohe Wände die fast uneinnehmbare Festung der Stadt Babylon darstellt. Für die kreative Lichtgestaltung sorgte Patrick Fuchs.
Vor Beginn der Vorstellung ließ sich der kürzlich erkrankte Tenor Attilio Glaser, der die Titelrolle verkörperte, als „noch nicht völlig gesund“ ansagen. Dennoch schien er stimmlich keine Probleme zu haben und bot eine solide Leistung. Übertroffen wurde er allerdings von den Damen des Sängerensembles, die durchwegs sowohl stimmlich wie auch schauspielerisch überzeugten. Allen voran die aus Estland stammende Sopranistin Alfia Kamalova als Belsazars Mutter Nitocris, die zur Zentralfigur der Aufführung wurde und nach dem Tod ihres Sohnes sogar nach der Krone greifen wollte, die der persische König Cyrus an sich genommen hatte.
In zwei Hosenrollen stellten die beiden Mezzosopranistinnen Anke Sieloff als Perserkönig Cyrus und Almuth Herbst als Daniel, Anführer der Juden, ihren Mann. Sie boten sowohl stimmlich wie darstellerisch eine eindrucksvolle Leistung. Den zu Cyrus übergelaufenen assyrischen Hauptmann Gobryas stellte der koreanische Bass Dong-Won Seo dar. Er war stimmlich gut, sein Mienenspiel allerdings – wie bei den meisten asiatischen Sängern – gleich null. Der Bariton Wolf-Rüdiger Klimm spielte einen Boten.
Die Neue Philharmonie Westfalen, von einer Continuo-Gruppe verstärkt, brachte unter der subtilen Leitung von Christophe Spering die oft dramatisch klingende Partitur Händels nuancenreich zur Geltung und wurde am Schluss vom Publikum mit zahlreichen Bravi-Rufen belohnt. Ebenso wie der herausragende Chor, der in diesem Werk in mehreren Rollen die Bühne „bevölkerte“.
Man darf von einem weiteren gelungenen Versuch sprechen, ein Händel-Oratorium als Oper zu inszenieren. Das Publikum im Musiktheater im Revier zeigte sich jedenfalls restlos begeistert, der Applaus wollte schier kein Ende nehmen.
Udo Pacolt