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Gedanken zum  “NABUCCO”- Streaming  (22. 1.2021)  und der TV-Übertragung (24. 1. 2021)

Gedanken zum  “NABUCCO”- Streaming  (22. 1.2021)  und der TV-Übertragung (24. 1. 2021)

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Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

 Eigentlich wollte ich mich ja zurückhalten, jetzt aber habe ich mich doch entschlossen, ein paar Gedanken zu diesem „Nabucco“ zu Papier zu bringen. Nicht als „Kritik“, eher als eine Analyse meiner Gefühle und Gedanken vor allem in Bezug auf Plácido Domingo.

Es war am 22. 1., einen Tag nach Domingos 80. Geburtstag, wohl eine ganz besondere „Aufführung“. Das Wort wurde von Direktor Roščić, der vorher kurz vor dem Vorhang erschien, jedoch gar nicht verwendet, er kündigte beim Streaming eine Aufzeichnung an, bei der eventuell auch unterbrochen werden könnte, um die bestmögliche Aufzeichnung zu gewährleisten.

Nun, dass da nicht viel herumgebastelt wurde, bewies die Tatsache, dass durch irgendein technisches Versehen bei Myfidelio der Stream sehr wohl um 16:30 begann und bis zum Schluss ohne Probleme durchging. Jeder, der allerdings ein paar Minuten später einsteigen wollte, konnte das nicht mehr, da stand dann 20:30 und man kam nicht mehr in diesen Stream hinein. Ab 20:30 war das möglich, da begann ja auch der Stream auf der STOP-Website.

Da der Stream noch bis zum 25. online blieb, schaute ich auch noch später bestimmte Stellen auszugsweise an.

Am 24. kam dann die Fernsehübertragung, die absolut identisch war mit dem Stream, bis auf das Herausschneiden der unnötigen Umbaupausen (wobei man sich schon fragen musste, WAS dann da groß umgebaut werden musste in diesem inexistenten Bühnenbild!) und der großen Pause, in der man im Stream auch das ohnehin schon lange auf der Website abrufbare Porträt von Plácido Domingo sehen konnte. Nett, aber ein neueres wäre ja nicht schlecht gewesen. Immerhin waren nach seinem Debüt im Mai 1967 fast volle 54 Jahre vergangen! Das Porträt stammte von 2014, Domingos Debüt als Nabucco an der STOP, ist also ca. 6 Jahre alt. Man hat sich trotzdem gefreut!

Einige Bildausschnitte waren in der TV-Übertragung größer, wohl aus technischen Gründen. Bei der Konfrontation Abigaille-Nabucco, als Abigaille das Dokument zerreißt, sah man im Stream nur Abigaille und dann die ausgestreckten Hände Nabuccos, nicht aber, wie Nabucco vorher in seinen Taschen nach dem Dokument sucht. Im TV war das sehr wohl zu sehen, da das Bild breiter war. Einen weiteren Unterschied sah ich am Schluss, als nämlich Abdallo den Oberpriester des Baal abmurkst, das konnte ich im Stream durch den schmaleren Bildausschnitt nicht mehr sehen.

Sonst konnte ich absolut GAR keine Unterschiede erkennen, ich versuchte bewusst, mir Kleinigkeiten im Bild zu merken, alles war absolut gleich.

Dass der Ton im Fernsehen besser war als auf meinem Notebook, ist logisch, denn die Lautsprecher beim Notebook sind nicht so gut, obwohl ich über einen relativ guten Ton verfüge. Da ich aber einen Fernseher mit Soundbar habe, war dort natürlich der Genuss größer! Und das hat gar nichts mit Manipulation zu tun, das ist völlig normal.

Und wie empfand ich die Übertragung?

Es war ja schon im Herbst angekündigt worden, dass sich Plácido Domingo mit den Nabucco-Vorstellungen (ursprünglich 3) von seinem Publikum verabschieden wollte. Beim Bühnentürl nach dem letzten Nabucco meinte er noch: „See you in January.“ Als dann durch den verlängerten Lockdown auch noch die letzte der 3 Vorstellungen am 19. 1. ausfiel und sogar das Spielen am Nachmittag an den Wochenenden (das war offenbar am 22. geplant!) unmöglich wurde, entschloss sich Direktor Roščić für ein Streaming Angebot. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er sowohl Herrn Domingo als auch dem Publikum diese Möglichkeit gab.

Nun, ICH war wohl vor dieser Übertragung mindestens so nervös wie Plácido Domingo. Was für ein Druck auf einem Sänger, der nun auf diese Weise seine Abschiedsvorstellung von der Staatsoper geben musste! Schon allein deshalb ist die Verschiebung des Streams wohl verständlich, es war vielleicht eine Art Sicherheitsnetz, das die Nervosität etwas in Grenzen halten würde, das man dann aber ohnehin nicht benötigte.

Vor diesem Hintergrund sollte man auch die Leistung Plácido Domingos sehen:
Er ist kein Jüngling mehr, auch wenn er 4×20 Jahre der Zahl 80 vorzieht und scherzend immer schon meinte, dass er eigentlich Jugend kumuliert und nicht älter werde. Und wenn man sieht, wie er x-Mal niederkniet und wieder aufsteht, während des Singens, so würde ich gerne die ätzenden Kritikaster, die wahrscheinlich einige Jahrzehnte jünger sind, in derselben Situation sehen wollen! Allein die körperliche Leistung ist beeindruckend. Wobei ich jetzt nicht einmal seine Corona-Erkrankung bemühen muss. Denn dass DAS nicht spurlos vorüber gehen konnte, wird jeder Arzt bestätigen und nur durch eiserne Disziplin ist er überhaupt wieder in der Lage, singen zu können.

Der Beginn war offensichtlich von großer Nervosität geprägt, die Stimme noch von stärkerem Vibrato belastet, das Bemühen um Autorität des Herrschers wurde vom Druck auf die Stimme begleitet. Im Verlauf des Abends sah man jedoch alle Qualitäten, die Domingo schon immer ausgezeichnet haben, wie in einem Brennglas: Durchdringung des Charakters, absolute Identifikation mit der Figur bis zum Kriechen auf allen Vieren, den Mut, die geistige Verwirrung auch in der Stimme zu zeigen. Dass die stimmlichen Möglichkeiten nicht mehr die von vor 6 Jahren sind, ist wohl logisch. Doch er nützt alles, was ihm seine Stimme noch bietet, auf meisterliche Weise. Und wird dadurch nur noch berührender. Wie man behaupten kann, das „Dio di giuda“ hätte nicht berührt, ist mir ein Rätsel. Es war ein Gänsehautmoment!
Domingo zeigte alle seine immer schon im Übermaß vorhandenen Qualitäten auch an diesem Abend: Perfektes Timing, hohe Musikalität, jede Note macht Sinn und über all dem die absolute Hingabe ohne Wenn und Aber. Ist es dann so wichtig, dass vielleicht einige Töne verschluckt wurden? Oder dass er die Cabaletta im letzten Akt nicht vollständig durchzog? Das ist nicht wichtig in Momenten wie diesen, die eigentlich Geschichte geschrieben haben. Hier stand ein Sänger unter schwierigsten Bedingungen – ohne den Rückhalt und das Feedback des Publikums – auf der Bühne, sang in „tote“ Kameras und versuchte, mit dem Ensemble das Beste aus dieser Situation zu machen und eine möglichst lebendige Vorstellung zu bieten. Ich zumindest war tief berührt von dieser Darstellung und froh, sie wenigstens so miterleben zu können.

Umgeben war Plácido Domingo von einem soliden Ensemble, das von Anna Pirozzi als stimmgewaltiger, auch schauspielerisch durchaus differenzierter Abigaille angeführt wurde. Renato Zanellatos Zaccaria strahlte die nötige Würde aus, hätte aber eine etwas profundere Tiefe vertragen können. Freddie de Tommaso (wieso musste er eine Brille tragen, ist er Brillenträger? Oder nur ein „toller“ Regieeinfall?) war ein robuster Ismaele, was in dieser Rolle kein Fehler ist, denn sie tritt ohnehin gerne in den Hintergrund. Er versuchte, ihr Profil zu geben, was ihm meiner Meinung nach gut gelang. Szilvia Vörös als Fenena hatte ausgiebig Gelegenheit, die absolut hässlichsten Kostüme tragen zu dürfen, sie durfte sich im Unterschied zu Abigaille oder allen anderen Protagonisten immerhin drei Mal umziehen. Stimmlich war sie eine überzeugende Fenena, mit gut geführtem, warmem Mezzosopran. Der solide Bass Dan Paul Dumitrescu versuchte im Beamtenlook die Würde des Oberpriesters darzustellen. Allen Sängern wurde es in diesem absolut nichtssagenden Ambiente, mit hässlichen Kostümen, die wohl auf dem Flohmarkt zusammengesucht wurden (eventuell wird ein Teil auch in „La Traviata“ getragen, die Ähnlichkeit ist verblüffend!) wirklich nicht leicht gemacht, ihre Rollen den Charakteren entsprechend zu verkörpern.

Es war eine würdige Abschiedsvorstellung von und zu Ehren von Plácido Domingo. Dass man im Fernsehen leider das vom Ensemble für das „Geburtstagskind“ angestimmte „Happy Birthday“ nicht mehr hören durfte, war schade. Es hätte deutlich gemacht, dass es nicht irgendeine, sondern eine ganz besondere Aufführung war.

Margit Rihl

 

 

 

 

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