GARS AM KAMP / Burgruine: AIDA
15. Juli 2023 – Premiere
Von Manfred A. Schmid
Mit einer ungemein fesselnden Aida geht die zehnjährige Intendanz von Johannes Wildner an der Spitze der Oper Burg Gars zu Ende. Im Mittelpunkt steht auch heuer wieder die für die Ära Wildner ausschlaggebende hohe künstlerische Qualität der musikalischen und darstellerischen Darbietungen. Die beeindruckenden Ruinen der Babenberger Höhenburg genügen als einzigartige Kulisse, diesmal als ägyptischer Tempel. Ein hölzerner Thron für den ersten Auftritt des Königs, ein Sessel, auf den Radames beim Verhör durch die Priester Platz nehmen kann, zwei Paravents: Mehr braucht es nicht, was angesichts der knappen budgetären Mittel des Waldviertler Opernhauses auch unerlässlich ist. In der ausstattungsmäßig ebenfalls minimalistischen Inszenierung (und Bühne) von Philipp Harnoncourt ist das Hauptaugenmerk nicht auf Äußerlichkeiten gerichtet, sondern es wird gezeigt, wie ein Krieg vier Einzelschicksale prägt und Liebe unmöglich macht. Im Mittelpunkt stehen Menschen aus Fleisch und Blut, mit ihren Träumen, Gefühlen, Handlungen und Fehlern.
Arte povera gehört in Gars schon längst zur Tradition und führt stets zu höchst kreativen Lösungen. Elisabeth Ahsef etwa setzt auch diesmal nicht auf aufwändige Kostüme, sondern Chor und Statisten sind in weiße Stoffe gehüllt, die mit Airbrush-Techniken (Kostüme) eingefärbt wurden. Die Fahnen, mit denen in den Krieg gezogen wird, sind nichts als bunte Fetzen, an frisch geschnittenen, krumm gewachsenen Stangen angebracht. Harnoncourts Bühne ist eine dick mit Sand bedeckte Fläche. Der an der Oper Gars schon mehrmals eingesetzte Regisseur geht davon aus, dass Aida, Amneris und Radamès in der Kindheit miteinander in einer Sandkiste gespielt haben und dann durch die Macht der Realität und der Politik, ein Keil zwischen sie getrieben wurde. Tatsächlich sind anfangs drei Kindee beim Spielen im Sand zu beobachten. Später ist es der schon etwas senil daherkommende König, der mit seiner Tochter Amneris in einem Sandkastenspiel wohl strategische Schlachtkonstellationen ausprobiert, vielleicht um sich als Gröfaz zu bestätigen. Nicht unerwähnt bleiben sollte auch Harnoncourts subtiler Humor, der – gerade in einer politischen und menschlichen Tragödie wie Aida – auch seinen Platz finden sollte: Wenn der Auftritt des ägyptischen Königs simultan auf einem gespannten Leintuch auch als Live-Video eingespielt wird, dann ist das – in seiner technischen Dürftigkeit – wohl als augenzwinkernder, parodistischer Seitenhieb auf das Regietheater von Castorf & Co. zu verstehen. Für Lacher sorgen auch die tollpatschig vollzogene Überreichung der Auszeichungen durch Amneris an den Kriegshelden, bei der die Orden sich nicht an dessen Brust anheften lassen wollen, sowie die Einführung eines Touristenpaares, das, wie zufällig vorbeigekommen, am Rand der Bühne steht, die Vorstellung mitverfolgt und zuweilen bei Handlangerdiensten aber gerne auch gerne mithilft. Etwas Komik wird einer sommerlichen Operaufführung gewiss nicht schaden.
Harnoncourt legt, wie er im Programmheft schreibt, Wert darauf, dass in der Kunst nicht alles enträtselt werden muss, sondern dass es ruhig einen Rest von ungelösten Geheimnissen geben kann. In der vorliegenden Inszenierung sind es die zugemüllten Fensteröffnungen und die Stangen, die aus ihnen herausgestreckt werden. Wer weiß, was das soll? Sessel und Tischchen als Barrikaden vor dem heranrückenden Feind? – Wenn’s weiter nichts ist, kann man damit recht gut leben. Besonders dann, wenn so berührend intensiv gesungen und gespielt wird, wie bei dieser Premiere. Dann konzentriert sich alles ohnehin auf das zwischenmenschliche Geschehen und die geniale Musik Giuseppe Verdis, die von Johannes Wildner am Pult des Orchesters, unterstützt vom Chor und im Burgareal verteilten, auch vom Turm herab tönenden „Aida-Trompeten“, Fanfarenbläsern und Bühnenmusikern, mit viel Können und Herzblut zum Klingen gebracht wird. Dieses Stereo- und Quadrophonische Raum-Klang-Erlebnis geht unter die Haut. Wo sonst kann man sich so etwas leisten? Wo sonst gibt es die dafür vorhandenen räumlichen Gegebenheiten und so exzellente akustische Voraussetzungen, die es erlauben würden, dass die Amneris im Freien (!) singend durch die Zuschauerreihen schreiten und ganz oben hinter dem Publikum agieren kann, und dabei dennoch weiterhin klar zu hören ist! Das sind die wahren Wunder der Oper Gars!
Das Ensemble ist hervorragend ausgesucht, präsentiert sich gut vorbereitet und bestens aufeinander eingespielt. Geradezu ereignishaft sind die Auftritte der beiden weiblichen Rivalinnen um die Liebe des siegreichen Feldherrn Radamès. Die in Italien lebende, aus Taiwan stammende Sopranistin LI Keng ist eine ausdrucksstarke, ihren Part fein singende Aida. Packend und berührend ihre Verzweiflung, sich als äthiopische Sklavin am Hof des ägyptischen Königs ausgerechnet in jenen Mann verliebt zu haben, der die Armee ihrer Heimat besiegt und ihren Vater Amonasro als Kriegsgefangenen mitgebracht hat. In ihrer melancholischen Arie „O Patria mia“, mit der düsteren Stimmung einer Vollmondnacht, erinnert sie sich, begleitet von der Oboe, wehmütig und in höchster Stimmlage an ihre Heimat, die sie vielleicht nie mehr wiedersehen wird – „non ti vedro“. Bezaubernd, wie sie die Arie mit einem himmlisch-schönen, hohen Pianissmo-C beendet.
Über eine imponierend farbenreiche Stimme verfügt die georgische Mezzosopranistin Nana Dzidziguri. Als Amneris hat sie eigentlich keine Arien zu singen, ist aber in mehreren Duetten und Terzetten mit Aida und Radames unentbehrlich. Zunächst aus Eifersucht auf das Liebespaar nur auf Rache sinnend, bereut sie dann aber zutiefst, die beiden der Todesstrafe ausgeliefert zu haben, Wie Dzudziguri bei der Verhandlung sich von der Bühne entfernt und von außen, klar vernehmbar und entschieden interveniert und vergeblich versucht, die Priester umzustimmen, wirkt ebenso ehrlich und authentisch wie ihre im Finale im Hintergrund erklingende Einsicht und Entschuldigung, die darin mündet, dass sie den zum Tode verurteilten Liebespaar aufrichtig Frieden wünscht. Eine großartige Sängerin/Darstellerin mit tiefem Einfühlungsvermögen und enormer Ausstrahlung.
Oscar Marín, im Vorjahr Son José in der Carmen, legt in der fordernden, gleich zu Beginn einem Sänger alles abverlangenden Arie „Celeste Aida“, für viele die schwierigste aller Verdi-Tenorarien“, zunächst einen veritablen Fehlstart hin und kann die hohen Töne nur über eine Zwischenstufe annähernd erreichen. Den scharfen Trompetenklängen und den warmen Holzbläsern ist noch nicht ganz gewachsen, auch für die Passagen, in denen er seine Liebe bekundet, bringt er das dafür nötige Legato und schöne Pianissimo nicht auf. Alsbald aber kommt er auf die richtige Betriebstemperatur und ist das, was für die Bewältigung dieser Rolle erforderlich ist: Ein lirico spinto“, ein jugendlicher Heldentenor, heroisch und lyrisch, je nach Bedarf. Er bewährt sich bestens in den Begegnungen mit den beiden Frauen, die ihn umwerben und lieben, aber ebenso in der großen Massenszene, wo er als Sieger verherrlicht wird. In „O terra Addio“ im großen Finale ist er, an der Seite seiner großen Liebe Aida, in Höchstform. Beide nehmen Abschied von der Welt und sehen sich, begleitet von gedämpften Streichern und der Harfe, letztere von Wildner etwas überhöht in einem Auslass links der Orchesters positioniert, auf ewig in Liebe vereint.
Neven Crnic, Bariton an der Oper Graz und Escamillo in der Garser Carmen 2022, ist ein kräftig tönender, energischer Amonasro, der, um seine Tochter für seine politischen Ziele umzustimmen und einzuspannen, nicht davor scheut, sie zu verstoßen und so zu manipulieren.
Als ägyptischer Hohepriester brilliert der südkoreanische Bass Stephano Park in der Rolle des unnachsichtigen, Autorität ausstrahlender Ramfis. Dem Mitglied des Opernstudios der Wiener Staatsoper ist eine glänzende Zukunft zuzutrauen. Seine markerschütternden „Rrrradamès“-Ruf sind schon jetzt eine Art Markenzeichen für eine unverwechselbare, facettenreiche Stimme.
Der Bass des Polen Krzysztof Borysiewicz dürfte seine beste Zeit schon hinter sich haben, für einen karikierend angelegten König reicht es aber allemal, was auch für Benedikt Kobels Messaggiero (Bote) gelten könnte. Bianca von Oppell ist eine rollendeckende Sacerdotessa (Priesterin). Von den drei Letztgenannte heißt es in der Presseaussendung der Oper Burg Gars, dass sie „mit vollem Körpereinsatz“ agierten. Das kann man voll unterschreiben, da von einem „vollen Stimmeneinsatz“ wohlweislich nicht die Rede ist.
Johannes Wildner und seinem Team ist eine denkwürdige, vom Publikum begeistert gefeierte Premiere zum Finale seiner Intendanz gelungen. Vorstellungen gibt es noch bis zum 5. August. Besuch wärmstens bis – den derzeitigen Temperaturen entsprechend – heißest empfohlen. Auch wenn danach der Abschied von diesem Ausnahme-Musiker und Dirigenten vermutlich noch etwas schwerer empfunden werden wird.