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GARMISCH-PARTENKIRCHEN/ Richard Strauss-Festival: ELEKTRA als Eröffnung konzertant. Bei Richard Strauss darf nicht gespart werden

12.06.2016 | Oper

Eröffnung des Richard-Strauss-Festivals in Garmisch-Partenkirchen

BEI RICHARD STRAUSS DARF NICHT GESPART WERDEN

Eröffnung des Richard-Strauss-Festivals mit „Elektra“am 11. Juni/GARMISCH-PARTENKIRCHEN

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Copyright: Festival Garmisch-Partenkirchen

Die Verleihung der Ehrenplakette an Edita Gruberova stand im Mittelpunkt der glanzvollen Eröffnungsfeierlichkeiten im Festsaal Werdenfels. Festivalleiterin Brigitte Fassbaender hielt eine mitreissende Laudatio für „Editissima“ als der Koloratur- und Belcanto-Sängerin unserer Zeit. Gleichzeitig kritisierte sie aber auch die finanzielle Beschränkung des Festivals: „Strauss hat in Garmisch nicht nur Kaffee getrunken!“ Ein Zeitungsartikel über angebliche „Konzeptionslosigkeit“ sorgte für Unmut. Wenn man 1 Million Euro für die Herrenchiemsee-Festspiele und 2 Millionen Euro für das Mozart-Fest in Würzburg ausgeben könne, solle man auch in Garmisch das Budget entsprechend erhöhen. In diesem Zusammenhang äusserste auch Sigrid Meierhofer als erste Bürgermeisterin des Marktes Garmisch-Partenkirchen „eine leise Enttäuschung“ über die ihrer Ansicht nach tatsächlich zu geringe finanzielle Unterstützung. Dass man nunmehr bei 530.000 Euro gelandet sei, wäre für ein Festival dieser Qualität an Zuspruch und finanziellem Engagement nicht genug. Kultusminister Ludwig Spaenle beruhigte dann in seiner Ansprache die Gemüter und versprach Besserung. Allerdings will Brigitte Fassbaender über das Jahr 2017 hinaus nicht als Festivalleiterin weitermachen, was für die Stadt ein herber Verlust ist. Das sehr gut disponierte Bläserensemble der Hochschule für Musik und Theater München musizierte unter der Leitung von Ulrich Nicolai als Rahmenprogramm die Bläserserenaden in Es-Dur und B-Dur op. 7 und op. 4 von Richard Strauss mit kontrapunktischem Feinschliff.

In der Alpspitzhalle im Olympia-Eissport-Zentrum erlebte dann Richard Strauss‘ berühmte Oper „Elektra“ op. 58 eine überaus packende konzertante Aufführung. Unter der bewegenden Leitung von Tomas Netopil musizierten die Essener Philharmoniker wie aus einem Guss. Hier wurden wirklich die tiefsten Abgründe dieser Partitur in elektrisierender Weise ausgeleuchtet. Die sich überschneidende, ungeheuer komplexe motivische Arbeit wurde von den über 100 Musikern bis ins kleinste Detail in hervorragender Weise offengelegt. Und auch die differenzierten rhythmischen Momente kamen nie zu kurz. Rebecca Teem gestaltete die Titelpartie der Elektra mit rauem Timbre, aber stählerner Leuchtkraft und raketensicherer Höhe. Das war so mitreissend gesungen, dass der feurige Funke sofort auf das Riesenorchester übersprang und zu gewaltigen akustischen Höhepunkten führte. Die vom Verwesungsgeruch zerfressene Klytämnestra wurde von Renee Morloc ebenfalls ganz ausgezeichnet interpretiert, es gelang ihr ebenso wie Rebecca Teem, die Figur in viele Nuancen und Facetten geheimnisvoll aufzuspalten. Und die äussersten Grenzen der tonal fassbaren Harmonik traten auch bei der von Katrin Kapplusch souverän verkörperten Chrysothemis in ergreifender Weise hervor. Vor allem die psychische Polyphonie feierte bei dieser glanzvollen Aufführung wahre Triumphe. Die urtümliche Gewalt dieser Musik trat so grell hervor. Rebecca Teem lotete die unendlichen Steigerungen der Elektra-Partie in wirklich grandioser Weise aus. So geriet der schroffe Gegensatz zwischen der Rachegöttin und ihrer weichen Schwester umso dramatischer und unheimlicher.

Da krachten elementare Geister zusammen und auch die weiteren Sänger Rainer Maria Röhr als Aegisth sowie der fulminante Tijl Faveyts als Orest wurden von dem gewaltigen orchestralen Sog wie von einem reissenden Strudel mitgerissen. Die unverwechselbare Grundfarbe der schillernden „Elektra“-Partitur traf der Dirigent Tomas Netopil immer wieder mit beeindruckender Intensität und Folgerichtigkeit. Insbesondere die Tritonusspannung wurde bis zur Schmerzgrenze ausgereizt – auch die Tonartensymbolik erreichte ungeahnte Größe und drastische Ausdruckskraft. In einer gewaltig gesteigerten Harmonik äusserste sich so das Unsagbare der trauernden Elektra („Allein! Weh, ganz allein!“), die den Tod ihres Vaters nicht verwinden kann und deswegen die Mutter und ihren Geliebten zusammen mit dem Bruder Orest ermordet. Dass sie daran zugrunde geht, versucht Rebecca Teem fast zu verschleiern – ihre Elektra hat die Grenze zum Wahnsinn schon überschritten. Deswegen machte diese Aufführung das Publikum auch unmittelbar betroffen. Realistisch und illustrativ zugleich steigerte sich die exzellente Essener Philharmonie immer weiter in das monströse Geschehen hinein, wobei sich das Drama im Orchester in monumentaler und heftigster Form entfaltete. Die tektonischen Kräfte durchströmten in fast dämonischer Lebendigkeit jeden Takt und jede Tonfigur. Und auch die elementaren Kontraste vernachlässigte Tomas Netopil mit den Essener Philharmonikern nicht. Die Erkennungsszene zwischen Elektra und Orest geriet zur Ausdrucksgewalt und ungeheuren Innerlichkeit. In erregend-feierlichem As-Dur beschwor man den „Fluch und „Blutbann“ dieses mörderischen Geschehens, das sich immer mehr zuspitzte. In weiteren Rollen begeisterten Bart Driessen (Pfleger des Orest), Michaela Sehrbrock (die Vertraute), An De Ridder (Schleppträgerin, vierte Magd), Albrecht Kludszuweit (junger Diener), Michael Haag (alter Diener), Maria Ferencik (Aufseherin), Marion Thienel (erste Magd), Marie-Helen Joel (zweite Magd), Leonie van Rheden (dritte Magd) und Kyung-Nan Kong (fünfte Magd). Die Choreinstudierung besorgte sehr sorgfältig Patrick Jaskolka (dramaturgische Betreuung: Markus Tatzig). Die Essener Philharmoniker unter Tomas Netopil akzentuierten den dissonanten „Hass“-Akkord zu Beginn und die überaus lyrische Kantilene der Kindesliebe sehr differenziert. Und die letzten Staccato-Attacken des mänadischen Tanzes besaßen antike Wucht.

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Schlussapplaus.Copyright: Festival Garmisch

Interessant war zudem das Künstlergespräch zwischen Edita Gruberova und Brigitte Fassbaender. Man sah Ausschnitte aus gelungenen Verfilmungen wie „Arabella“, „Ariadne auf Naxos“ und „Hänsel und Gretel“, wo Edita Gruberova zusammen mit Brigitte Fassbaender eine wahre Paraderolle hatte. „Strauss ist der Retter meines Lebens“, betonte Edita Gruberova im Zusammenhang mit der durch sie berühmt gewordenen „Zerbinetta“-Figur. Auch bei einem Dirigenten wie Carlos Kleiber habe die „Zerbinetta“ damals „eingeschlagen wie eine Bombe“. Und auch Karl Böhm äusserste sich lobend, was umso bemerkenswerter ist, weil Böhm bei Sängern alles andere als zimperlich war. Die Gruberova betonte, dass sie keine „Absagerin“ sei. Sie erzählte außerdem eine lustige Anekdote aus dem japanischen Kaiserhaus mit einer musizierfreudigen Kaiserin und einem äusserst bescheidenen Kaiser. Und Brigitte Fassbaender lobte die Mühelosigkeit ihrer Gestaltung verschiedenartigster Partien. Das Motto dieses Festivals „Von Narren und Weisen“ sollte auf jeden Fall finanziell in die Tat umgesetzt werden, sonst bleiben am Ende womöglich doch noch Narren übrig. Bei Richard Strauss darf nicht gespart werden, denn er ist der meistgespielte Komponist der Welt. 

Alexander Walther

 

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