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Gaetano Donizetti: ROBERTO DEVEREUX (Genua 2016)

08.01.2017 | CD/DVD/BUCH/Apps, dvd

8007144577551

Gaetano Donizetti: ROBERTO DEVEREUX
Live aus dem Teatro Carlo Felice, Genua, 2016

DYNAMIC Blu-ray

Lektion in Belcanto der beinahe 70-jährigen Opernlegende Mariella Devia

Mariella Devia war zeitlebens ein geschätzter lyrischer Sopran, hat lange an der MET gesungen, bei vielen Festivals geglänzt und in den letzten 10 Jahren den Sprung ins dramatische Belcanto-Fach gewagt. Und das mit umwerfendem Erfolg. Norma (Rollendebut 2013) und die Donizetti „Tudor Opern“ Maria Stuarda, Anna Bolena und Elisabetta in Roberto Devereux sind nicht nur zum Markenzeichen von Mariella Devia geworden, sondern haben diese außerordentliche Sängerin jetzt im Spätsommer ihrer Karriere endgültig zur umjubelten Primadonna werden lassen.

Elisabetta in Roberto Devereux: Carnegie Hall 2014 (Rollendebüt), Madrid Teatro Real 2015 (DVD BelAir), Teatro Felice in Genua 2016 (Blu-ray Dynamik), Stationen des Belcanto-Wunders Devia, das dank medialer Aufmerksamkeit nun auch schon in zwei Versionen als Filmmitschnitt erhältlich ist.

In Genua hat Regisseur Alfonso Antoniozzi rund um die Diva des Abends einen simplen, aber wirkungsvollen Rahmen gebaut: Eine fünfstufige Bretterpawlatschen in der Mitte der Bühne mit wenigen Requisiten (Thron, Kandelaber, Vogelkäfig als Gefängnis), sechs Mimen und üppigen historischen Kostümen (Gianluca Falaschi) genügen, um das Liebesdrama zweier Frauen (Elisabeth und Sara) um Roberto Devereux plastisch erstehen zu lassen. Nach der Hinrichtung Robertos wegen Hochverrats verkündet Elisabetta den Thronverzicht, übergibt die Insignien ihrer Macht an ihren Neffen James, König von Schottland.

Mariella Devia kann in dieser genuesischen Produktion all ihre Trümpfe beeindruckend ausspielen. Ihre Stimme, die keinerlei Ermüdungserscheinung zeigt, aber auch nicht warm ist wie diejenige der wohl besten Elisabetta auf Tonträgern, nämlich Leyla Gencer (Neapel 1964), wartet dennoch mit einem Füllhorn an kräftigen Primärfarben, berauschend schönen Kuppeltönen und exakt und prägnant gesungenen Verzierungen auf. Herb und herrisch wie eine Infantin auf einem Gemälde von Velazquez, kann der Zuseher nicht nur staunen, wie Belcanto stilistisch einwandfrei zu singen ist, und zwar ohne Wenn und Aber (es gibt keinen einzigen Schleifer, nicht eine einzige Intonationstrübung), sondern auch an den Zügen der alternden Königin den aussichtslosen Kampf um die Liebe eines jüngeren Mannes ablesen. Das berühmte Finale der Oper „Alma rea! Spietato core!“ und die Cavatine Vivi, ingrato“ geraten zur vokalen Apotheose, ein Trumpf der Gattung Oper allein dank des stimmlichen Raffinements der ligurischen Sängerin.

Von Beverly Sills wurde die Rolle der Elisabetta als mörderisch bezeichnet und das ist sie wohl auch. Sie verlangt nicht nur alle Attribute eines leicht-verzierten Belcanto Gesangs, sondern auch dramatische Sprünge sondergleichen, also leichtgehende Höhen und eine massiv ausladende untere Lage. Devia wartet aber auch mit einer klugen Darstellung auf, die ohne zu outrieren oder der Stimme Groteskes abzutrotzen, einen modernen und humanen Charakter sowie eine greifbare Persönlichkeit wachsen lassen, psychologisch klar umrissen, königlich und vokal beherrscht bis zuletzt. Ob Umgarnen, Wut oder verletzte Resignation, alles dient der Oper und der Rolle. Der umglaubliche Jubel am Ende der Aufführung bestätigt das seltene Niveau dieser historischen Rolleninterpretation.

Das Orchester und der Chor des Teatro Carlo Felice unter der Leitung von Francesco Lanzillotta haben nichts falsch gemacht, begeistern aber auch nicht sonderlich. Genauso verhält es sich für mich mit den Interpreten der anderen Partien. Die brave, etwas blasse Sara der Sonia Ganassi, der heldisch auftrumpfende, zu sehr brüllende Roberto Devereux des Stefan Pop, Allessandro Fantoni als Lord Cecil und Claudio Ottino als Sir Gualtiero Raleigh bleiben nicht nur wegen der teils zugegeben wenig dankbaren Rollen in der zweiten Reihe. Nur der Koreaner Mansoo Kim als gehörnter Nottingham erreicht mit edlem dunkel timbriertem Bariton und einer ausdruckssatten Interpretation die Klasse der Devia.

Die technische Qualität des Mitschnitts ist zufriedenstellend, keineswegs brillant, die Kameraführung beim Schlussvorhang ziemlich grotesk, weil nur noch die dunklen Hinterköpfe des standig ovations spendenden Publikums zu sehen sind.

Fazit: Ein wichtiges Dokument einer großen, einzigartigen Gesangsleistung, die sich alle Liebhaber des Belcanto auf keinen Fall entgehen lassen sollten. Alternativ sind auch die diversen Rolleninterpretationen der Elisabetta durch Beverly Sills, Leyla Gencer, Monserrat Caballé oder Edita Gruberova zu empfehlen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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