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FÜSSEN/ Allgäu: DAS RHEINGOLD / DIE WALKÜRE – Gastspiel der Nationaloper Sofia

15.09.2015 | Oper

FÜSSEN/Allgäu: „Das Reingold“ und „Die Walküre“ – Gastspiel der Nationaloper Sofia – 12.-13. September 2015

Der Hort ging auf…!

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Schlussapplaus: Dirigent Erich Wächter mit den Protagonisten. Foto: Dr. Klaus Billand

Das könnte man bereits nach der Mitte des Gastspiels der Nationaloper Sofia mit ihrer Produktion der Wagnerschen Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“, dem viertägigen opus magnum des Bayreuther Meisters, im Festspielhaus Füssen am schönen Forggensee sagen. Denn die ersten beiden Abende, „Das Rheingold“ und „Die Walküre“, zeugten auch im Allgäu wie schon in Sofia seit ihrer Entstehung von 2010/11 von einer fantasievollen und dramaturgischen Qualität, die der Regisseur und Generaldirektor der Sofioter Oper, Prof. Plamen Kartaloff, Mitglied der bulgarischen Akademie der Wissenschaften, mit einem sog. Story Board direkt aus der Partitur heraus entwickelte.

Kartaloff ist als Visionär dieses großen Projekts, dem ersten „Ring“ auf dem Balkan überhaupt, aber nicht nur für die Inszenierung verantwortlich. In einer schier unglaublichen Zeit von nur einem Jahr Vorbereitung stellte er mit seinem kompetenten Team diese Produktion auf die Bühne des Füssener Festspielhauses, welches ursprünglich für das König Ludwig Festival gebaut wurde, nach dem Vorbild des Bayreuther Festspielhauses und den Entwürfen von Gottfried Semper für das einmal geplante Wagner-Festspielhaus am Münchner Isarufer. Neben dem Finden von über 30 Sponsoren in Bulgarien und Deutschland stellte das Projekt enorme logistische Anforderungen, auch für die Sofioter Oper, die auf viele Tourneen gegangen ist und allein schon sechs Mal in Japan war. Sechs große Container-LKWs für die Bühnenbilder, Kostüme und technisches Gerät, sieben Busse für etwa 220 Personen, bestehend auf 75 Musikern, 34 Sängern, 37 Choristen, 17 Tänzern, 50 Technikern und dem Management mit 7 Personen mussten über fast 2.000 km nach Füssen transportiert werden. Und auf dem Weg zeigte man beim Slowenischen Opernfestival in Ljubljana gewissermaßen en route auch noch die neueste Wagner-Produktion aus dem vergangenen Februar „Tristan uns Isolde“, übrigens mit großem Erfolg. In Füssen angekommen, musste jedes Team in einem anderen Hotel untergebracht werden, sieben an der Zahl. Mit 15.000 Einwohnern verfügt Füssen klarerweise über keine großen Hotels. Dafür ist es die deutsche Wiege des Lautenbaues und auch seit langem eine bedeutende Stadt im Geigenbau. Dann waren aufgrund des knappen Zeitfensters im Festspielhaus von nur zwei Wochen ab dem 6. September – am 5. September lief dort noch die alljährliche König Ludwig Gala zum Geburtstag des Märchenkönigs – nur sechs Tage zu Proben und Gewöhnung des Teams an die ihm unbekannte Bühne zur Verfügung – es reichte im Prinzip gerade einmal für die vier Generalproben und einen freien Tag! Hinzu kommt, dass man für die Nibelungen und für die Rheintöchter-Doubles Kinder und drei junge Damen aus Füssen engagierte, die auch noch eingewiesen werden mussten.

So ist es ein kleines Wunder, vielleicht auch ein großes, dass dieser Sofioter „Ring“ pünktlich und mit beeindruckenden Leistungen am Forggensee beginnen konnte, Gott sei dank bei „Kaiserwetter“. Die Spannung war natürlich groß. Alle Wagnerverbände waren angeschrieben worden, und eine Reihe von Delegationen fand sich zum „Ring“ ein, auch aus Übersee. Zur Premiere des „Rheingold“ erschien auch einige Politpominenz aus Bulgarien und Bayern. Wieder können der große und im wesentlichen aus zwei bühnenbreiten Hälften bestehende und damit beliebig variationsfähige und begehbare Ring, sieben kegelförmige Konusse in verschiedenen Größen, und eine Art Mandorla bei der Dramaturgie Kartaloffs überzeugen. Es sind minimalistische Elemente, geschaffen vom Bühnenbildner Nikolay Payanotov, der auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, reduziert auf wesentliche symbolische Bedeutungen, die aber eine Vielzahl von Inhalten, Visionen und Assoziationen ermöglichen. Kartaloff setzt sie in ständiger Variation dramaturgisch ein, wobei das Multimedia Design von Vera Petrova und Georgi Hristov sowie die exzellente Lichtregie von Andrej Hajdinjak und Emil Dinkov eine ganz entscheidende Rolle spielen. So symbolisieren die sieben Konusse immer wieder die Zinnen von Walhall, sie erhellen das Rheingold oder symbolisieren in der Walküre die Köpfe der Luftrosse, auf denen die Walküren in einem umwerfend lebendigen und stimmungsintensiv gestalteten Walkürenritt reiten, der sogar Szenenapplaus provozierte – bei Wagner eher eine Seltenheit. Dabei hilft eine beachtliche Bühnenhydraulik, die Bild- und Szenenwechsel – leider nicht immer ganz geräuschfrei – in wenigen Augenblicken ermöglicht, ohne dass sich der Vorhang schließen muss. Auch so werden ständig Spannung und Dynamik aufrecht erhalten, ebenso wie durch eine ausgefeilte Personenregie. Mit den fantasievollen, bisweilen an fantastischen Realismus bis Pop-Art erinnernden Figurinen Payanotovs und dem facettenreichen Multimedia-Design gelingen ein „Rheingold“ und eine „Walküre“ mit großem Unterhaltungswert, der dennoch sowohl Anfängern wie Kennern der Tetralogie die von Wagner beabsichtigte Aussage bzw. Kapitalismuskritik nahebringt.

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Jordanka Derilova beim Schlussapplaus. Foto: Dr. Klaus Billand

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Das Rheingold“ – Einzug der Götter nach Walhall. Foto: Oper Sofia

Auch die Sängerriege, von Richard Trimborn seit Jahren auf gutes Deutsch trainiert, konnte weitgehend überzeugen, und einige von den Protagonisten brachten international bemerkenswerte Leistungen. Es beginnt schon mit den drei festspielreif singenden, Trampolin springenden und damit waghalsig agierenden Rheintöchtern Milena Gyurova (Woglinde), Silvia Teneva (Wellgunde) und Elena Marinova (Flosshilde). Ihr Verführungsspiel mit Alberich gelingt zu einem bewegten und fantasievollen Höhepunkt des „Rheingold“. Martin Tsonev singt und spielt nun einen noch engagierteren und stimmlich beeindruckenderen Wotan als 2013 in Sofia. Er verfügt über einen gut geführten Bassbariton mit exzellenter Höhe und ausreichender Tiefe sowie einem sehr guten Deutsch, welches er mit großer Wortdeutlichkeit zu vermitteln weiß. Das Finale der „Walküre“ mit der in Dessau engagierten Jordanka Derilova gestaltet er auch emotional mit großer Intensität in Mimik und Ausdruck, sodass der dritte Aufzug der „Walküre“ der Höhepunkt der bisherigen Abende wurde. Jordanka Derilova, die erst im Juni alle drei Brünnhilden in Dessau gesungen hatte, ist weiterhin unter die ersten ihres Fachs einzureihen. Mit welcher stimmlichen Intensität sie die Höhen und langen Bögen der Partie meistert und dabei auch darstellerisch gestaltet, ist äußerst beeindruckend. Hinzu kommt ein gutes und jugendliches Aussehen, sodass man ihr die „reisige Maid“ auch optisch sofort abnimmt. Sowohl Tsonev als auch Derilova könnten diese Rollen auf größeren bis großen Bühnen in Europa ohne Bedenken singen. Eigentlich muss man sich fragen, warum das nicht längst geschieht…

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„Die Walküre“: Das Wälsungenpaar. Foto: Oper Sofia

Große Emotionalität kann das Wälsungenpaar vermitteln. Martin Iliev singt einen stimmlich sicheren und in der Höhe ebenfalls voll überzeugenden Siegmund, mit einem baritonal gefärbten, stets ein wenig melancholisch klingenden und damit zur Rolle passenden Tenor. Erst im Februar hatte er einen guten Tristan in Sofia gesungen und wird in Füssen auch der Siegfried der „Götterdämmerung“ sein. Seine Partnerin Tsvetana Bandalovska ist mit einem für die Rolle vielleicht etwas leichten aber dennoch stimmlich und noch mehr durch ihre emphatische Gestaltung gute Sieglinde. Eine ganz ausgezeichnete stimmliche und darstellerische Listung bietet Daniel Ostretsov als Loge, der auf einem Surfbrett hereinschwebt und schon damit seine de facto Nichtzugehörigkeit zu dem „übel trauenden Tross“ bekundet. Er zieht die Strippen im „Rheingold“ effektvoll und stets souverän. Alexander Nosikov singt den Fasolt mit einem klangvollen tiefensicheren Bass, ebenso wie Angel Hristov einen starken Hunding mit beängstigendem Zombi-Outfit. Giorgi Kirof fällt als Fafner gegenüber Nosikov stimmlich etwas ab, vermittelt aber den düsteren Charakter der Rolle sehr gut. Plamen Papazikov ist einen starker, gequälter Mime und Silvana Pravcheva eine stimmlich sichere, exaltierte Freia. Hrisimir Damyanov singt den Froh mit einem hellen lyrischen Tenor etwas unscheinbar. Svetozar Rangelov führt als Donner die Reinigung der Lüfte mit guter Stimme herbei.

Biser Georgiev spielt einen unglaublich intensiv agierenden und präsenten Alberich, dessen Stimmer aber nicht immer stabil ist und der zu oft zum Outrieren neigt. Hier wäre etwas weniger und eine besseres Singen auf Linie mehr. Dennoch kann er bei einigen Szenen, wie dem Fluch, überzeugen. Wenn Rumyana Petrova im „Rheingold“ als Fricka noch relativ gut bei Stimme war, so ist ihr etwas verquollener Mezzo in der „Walküre“ doch einer überzeugenden Rollengestaltung im Wege. Hier fehlt es auch an Stimmkultur. Ebenso klingt der Mezzo von Blagovesta Mekki-Tsvetkova verquollen und allzu guttural, um als Erda einen wirklichen – und den notwendigen – Eindruck zu machen. Das Walküren-Oktett singt bis auf zwei Ausnahmen mit kräftigen Stimmen und ist im Chor sehr durchschlagskräftig. Dafür gab es eben auch Szenenapplaus.

Das Festspielhaus in Füssen ist für das König Ludwig Festival konzipiert worden. Daher wurde hier kein großer Orchstergraben eingebaut, und die Öffnung des ohnehin recht begrenzten Grabens ist auch unverhältnismässig schmal. Umso mehr ist es dem u.a. auch in Sachen Wagner sehr erfahrenden Dirigenten Erich Wächter hoch anzurechnen, was er aus den immerhin etwa 75 in diesem Graben engst beieinander sitzenden Musikern an Klangfülle und Präzision heraus holt. Das wurde insbesondere in der „Walküre“ evident. Durch die wie in Bayreuth muschelartige Abdeckung des Orchestergrabens, durch die konsequenterweise der Klang erst auf die Bühne geht und dann in guter Balance mit den Stimmen in den Saal kommt, entsteht ähnlich wie in Bayreuth eine pastoser Mischklang, der niemals zu laut ist und damit auch nie die Sänger zudeckt. In den Pianostellen kann es dafür auch einmal etwas zu leise werden, was aber die Ausnahme bleibt, ebenso wie einige Wackler in den Hörnern oder ein paar Übergänge. Man hatte den Eindruck, dass Wächter und das Orchester der Nationaloper Sofia in der „Walküre“ genau die richtige Dosierung gefunden hatten. Es wurde offenbar, dass das Verständnis zwischen Dirigent und Orchester sehr gut ist und damit die Klippen der physischen Gegebenheiten sicher umschifft wurden.

Es gab nach dem „Rheingold“ immerhin zehn Minuten starken Applaus, besonders für Tsonev und Ostretsov. Nach der „Walküre“ war das Publikum schier begeistert, denn es trampelte sogar auf den Boden bei Tsonev, Derilova, Iliev und Bandalovska – dezidiert kenntnisreicher als das Bayreuther Publikum, welches praktisch bei jedem Sänger auf den Holzboden trampelt – der pawlowsche Bayreuther Applaus… Heute geht es mit „Siegfried“ weiter.

Klaus Billand aus Füssen

 

 

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