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FÜRTH: DER HELD DER WESTLICHEN WELT von John Millington Synge

12.06.2016 | Theater

FÜRTH: DER HELD DER WESTLICHEN WELT von John Millington Synge
am 10.6. 2016 (Werner Häußner)

Vorsicht! Der „Playboy“ ist nicht, was der Begriff suggeriert: Er hat nichts mit dem Titel des verbreiteten Magazins gemein; er ist auch kein Dandy, kein „Womanizer“. Sondern ein verschüchterter, unbedeutender Landpächtersohn, der einmal seinen Mund zu voll genommen hat. Und sich in einer Rolle wiedergefunden hat, die ihm von einem Schlag auf den anderen zu groß wird.

Was passiert in John Millington Synges ur-irischem Schauspiel „Der Held der westlichen Welt“ – oder, auf Englisch, „The Playboy of the Western World“? Christy Mahon, in Tobias Schormanns Erscheinung am Theater Fürth ein schmächtiges Handtuch, der zunächst auftritt, als sei er gar nicht da, erzählt fast beiläufig, er habe seinen Vater mit einem Spaten den Schädel gespalten. Für die Bewohner der einsamen Küste Mayos im Nordwesten Irlands ist die Geschichte eine ersehnte Abwechslung und das ideale Futter ihrer Lust am Fabulieren.

Der Erzähler findet sich rasch verklärt zum Helden, kreischend und kichernd umschwärmt von einer überdrehten Teenager-Trias. Aber auch erhoben zum attraktiven Ziel der Zuneigung der frustrierten Wirtstochter Pegeen Mike, die ihren Verlobten Shawn Keogh (Julius Bornmann) nur zu gerne der selbstgewissen Korrektheit seiner religiös verbrämten und moralisch überhöhten Pragmatik überlässt. Christy Mahon, der aus der Lust an fiktiven Welten geborene Held, wächst mit der Rolle. Er kann es zunächst kaum fassen, wie er in den Mittelpunkt rückt – bis er seine neue Funktion so verinnerlicht hat, dass er zum Helden der dörflichen Wettspiele wird. Das geht gut, bis unvermittelt der angeblich erschlagene Vater auftaucht …

Die Inszenierung von Tobias Sosinka am Stadttheater Fürth kreist bis dahin eher unbeschwert in den Sphären einer schrägen Komödie. Da bleibt Petra Hartung als Witwe Quin – auch ihr wird ein Mord nachgesagt – eine Spur zu hartnäckig ihrem gekonnt gezeichneten Klischee als zu früh verwelkter Muhme treu. Da zeigt auch Markus Rührer als alkoholfixierter Wirt ein Stück zu nahe am Boulevard den lauten Frohsinn des „Paddy“ aus dem Schwank. Und da verkörpern Frank Watzke (Philly Cullen) und Damjan Batistić (Jimmy Fawell) zwei dörfliche Philosophen, die sich in wunderlichen Sätzen erklären, was die Welt zusammenhält.

Zu wenig scheint durch die Figuren hindurch die Tristesse, die Verena Hemmerlein in ihrem atmosphärisch treffenden Bühnenbild einfängt: Die herbe, karge, graugrüne Landschaft Mayos, die man lieber bereist als bewohnt, umschließt eine Hütte mit halbtransparenten Wänden. Sie ist eines der entlegenen alten Pubs, die den Touristen so malerisch vorkommen, die aber bei genauem Hinsehen Zeugen der Depression und nicht selten der Verwahrlosung sind: verlebtes Interieur, Bierfässer, ein Kasten mit einer LED-Laufschrift als skurril zeitgenössisches Objekt mitten zwischen Hinterlassenschaften, die vermutlich schon den 1916er Osteraufstand gesehen haben.

Privat oder intim bleibt in diesem Ambiente nichts. Und so wird schnell offenbar, dass der „Held“ ein Maulheld ist. Das Tragische ist, und das zeichnet Sosinska genau nach, dass seine ehrliche Liebe mit seiner geradezu mythischen Rolle verbunden ist – untrennbar. Als er seinen Ruhm rechtfertigen will und tatsächlich den Vater mit dem Spaten fällt, begeht er jedoch nur einen kleinen, miesen Mord vor der Haustür, keine ferne, überhöhte Heldentat. Sibille Helfenberger hat bestürzende zehn Minuten, als sich die verliebte Pegeen Mike in eine aus Enttäuschung rasend schreiende Furie wandelt. Mit der Illusion ist die Liebe verloren – und in dieser Erkenntnis gibt Helfenberger am Ende dem Mädchen einen Moment schicksalhafter Größe.

„The Playboy of the Western World“ ist ein Stück über Menschen, die sich aus ihrem ereignislosen, dumpfen Alltag hinaus spintisieren, die sich in Fantasie und Fiktion erst als Menschen wiederfinden. Dass dieser Ausgriff auf eine nur in der Fabel selbstbestimmte Lebenssphäre von der Welt der Tatsachen so gnadenlos entzaubert wird, ist der bittere Anteil der Tragödie. Der Katalysator ist der alte Mahon, Christies doppelt untoter Vater, Opfer seiner Gewalt, aber zugleich der Täter, der mit seiner insistierend realen Existenz die Parallelwelt der Imagination zerstört. Oliver Jaksch spielt diesen Agenten gegen die befreiende Fiktionalisierung als unbeirrbaren Patriarchen, der die Ursache seines Unheils nicht erfasst.

Synges Stück wird im Programm als „Komödie“ bezeichnet, ist aber, wenn überhaupt, eine mit viel traurigem Beigeschmack. Die Sprache hebt die Menschen immer wieder über sich selbst hinaus: Wenn Christy und Pegeen Mike Sätze und Bilder kreieren, die aus der poetischen Sphäre Shakespeares genommen sein könnten, wenn sie in den blumigen Reichtum des Gälischen verfallen, das Synge den Bauern und Fischern der Aran-Inseln und den ambitionslosen Gesprächen einfacher Menschen abgelauscht hat, behauptet das Stück für die Gefühle und Gedanken seiner Menschen eine erhabene Größe und Exemplarität. Tobias Sosinkas Inszenierung in Fürth hat diesen Aspekt nicht vernachlässigt und Synges „Playboy“ damit über die Komödie und den irischen Hintergrund hinausgehoben.

Werner Häußner

 

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