Friedrich Weissensteiner:
„ICH SEHNE MICH SEHR NACH DIR“
FRAUEN IM LEBEN KAISER FRANZ JOSEPHS
256 Seiten, Amalthea Verlag, 2012
Eigentlich ist ja – 175. Geburtstag – ein Sisi-Jahr, aber keine Angst, sie spielt auch in einem Buch über Kaiser Franz Joseph die entsprechend große Rolle. Der Historiker Friedrich Weissensteiner, der aus österreichischer Geschichte im allgemeinen und aus den Habsburgern im besonderen immer wieder attraktiv-populäre Sachbuchthemen gewinnt, hat sich die „Frauen im Leben Kaiser Franz Josephs“ vorgenommen. Das sich die Frage „Warum schon wieder ein Buch über Franz Joseph?“ aufdrängt, weiß der Autor, der die Literatur kennt, am besten, aber er hat auch eine Antwort: Tatsache ist, dass dieser Kaiser einfach einen besonders schlechten Ruf genießt – verknöcherter Bürokrat, uncharismatische Persönlichkeit, seelenloser Autokrat. (Dagegen konnte auch Karlheinz Böhm in den „Sissi“-Filmen nichts ausrichten.)
Weissensteiner meint nun nicht zu Unrecht, dass die persönliche Seite des Kaisers in den zahlreichen „politischen“ Darstellungen zu kurz kommt. Am besten packt man einen Menschen in seinem Wesen, wenn man ihn in sein privates Umfeld stellt. Im Falle von Franz Joseph sind es die Frauen, die sein Leben weitgehend geprägt haben – natürlich Mutter Sophie, seine Gattin Elisabeth, die Töchter Gisela und Maria Valerie, die Enkelin Elisabeth (die Tochter von Kronprinz Rudolf), schließlich die beiden wichtigsten seiner Liebschaften: die hübsche Anna Nahowski und die so gewandte, geschickte Katharina Schratt. Nichts davon ist neu, aber es dient in dieser Zusammenstellung dazu, tatsächlich hinter dem Bild der „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“-Kaiser-Marionette den Mann Franz Joseph zu entdecken.
Mutter Sophie, die Bayernprinzessin, war wahrlich eine starke Persönlichkeit. An sich am Wiener Hof in die zweite Reihe verbannt (ihr Mann war der zweite Sohn von Kaiser Franz, der erste Sohn, Ferdinand, wurde trotz seiner Behinderung Kaiser), hat sie sich damit nicht abgefunden. Die Frau, die vier Söhne gebar (noch eine Tochter, die starb, dazu einige Fehlgeburten), hat ihren Erstgeborenen Franz Joseph von dem Augenblick an für den Thron vorgesehen, als der doch eher ungeeignete Ferdinand 1835 die Kaiserwürde erbte. Da war der kleine Franz Joseph gerade fünf, und die Mama musste gar nicht so lange warten – nach den Revolutionswirren von 1848 ergab sich (mit ein wenig Druck ihrerseits auf Schwager und Gatten, der ja auch verzichten musste) die Gelegenheit, den 18jährigen Franz Joseph als „Hoffnungsträger“ auf den Habsburger-Thron zu setzen. Erzogen hat sie ihn dazu mit liebender, aber fester Hand, und er ist wirklich ein gelungener junger Mann geworden – und der Mutter sehr ergeben und gehorsam.
Es ist eine Tatsache, dass dieser Franz Joseph zum ersten Mal in einer entscheidenden Frage aufbegehrte, als ihm die Mutter seine Cousine Helene aus Bayern als Braut präsentiert. Franz Joseph sieht deren Schwester Elisabeth, verliebt sich, wie man in diesem Fall wahrlich sagen kann, „unsterblich“, leistet Widerstand und setzt durch, die Frau seines Herzens zu heiraten. Dass sie in so gut wie jeder Hinsicht die falsche ist – die Nachwelt weiß es, er kann es nicht ahnen. Und er hat mit einer Treue an ihr festgehalten, die bemerkenswert ist (auch wenn es nicht unbedingt die sexuelle Treue war).
Weissensteiner nennt das zweite Kapitel, jenes über Elisabeth, „Der großherzige Ehemann“, und das war Franz Joseph wahrlich. Dass er als Kaiser ein Schwerarbeiter war und wenig Zeit für seine Frau hatte, ist klar. Dass ein junges Mädchen dafür wenig Verständnis hat, auch. Dazu kommen für Franz Joseph die Reibereien zwischen seiner Mutter, die den Sohn so mühelos geformt hat und die Nichte so widerspenstig findet, und seiner Gattin. Weissensteiner erzählt die Geschichte, ohne sie überzudramatisieren (wie es heute üblich geworden ist). Das logische Ergebnis jedenfalls: Ein Paar driftet auseinander, so sehr der Gatte die Frau auch liebt (über das vice versa kann man eigentlich keine Aussage tätigen – was hat Sisi nach anfänglicher Schwärmerei letztlich für ihren Mann empfunden?).
Elisabeth entzieht sich immer mehr dem Hofleben, Franz Joseph sendet ihr rührende, sehnsuchtsvolle Briefe nach. Aber Tatsache ist, dass sie ihr Leben führt, ohne Rücksicht auf den Ehemann, der von ihr oft auch dann, wenn sie zusammen waren, geradezu rüde abgewiesen wird. Der Alleingelassene muss sich die „tender loving care“ von Frauen anderswo suchen. Aber als er von Elisabeths gewaltsamem Tod erfährt, sagt er zu seinem Generaladjutanten: „Sie wissen nicht, wie sehr ich diese Frau geliebt habe.“ Man glaubt es ihm, er hat es bewiesen angesichts eines Lebens unerfüllter Sehnsucht, das sie ihm auferlegt hat.
Mit seinen Töchtern war Franz Joseph glücklicher, denn weder Gisela noch Marie Valerie glichen der Mutter, sondern weit eher ihm. Während er sich mit seinem Sohn gar nicht verstand (was die Tragödie von Kronprinz Rudolf letztlich ebenso bestimmte wie die Vernachlässigung durch seine Mutter Elisabeth), war er den Töchtern ein liebevoller Vater und erlaubte seiner Jüngeren auch eine Liebesheirat.
Eine Tragödie der besonderen Art war dann das Schicksal von Rudolfs Tochter aus der liebelosen Ehe mit der belgischen Prinzessin Stephanie. Elisabeth war fünf, als der Vater Selbstmord beging, und Franz Joseph, der immerhin schon ein alter Mann war, bemühte sich rührend, dieser seiner Lieblingsenkelin den Vater zu ersetzen. Deren Ehe mit Prinz Otto Windisch-Graetz erlebt der Kaiser noch, deren Scheitern kann zu seinen Lebzeiten gerade noch abgewendet werden, aber das weitere Schicksal der „roten Erzherzogin“, wie man sie später nennt, bleibt ihm – wenn schon sonst nichts – glücklicherweise erspart.
Die beiden letzten Kapitel widmet der Autor den prominentesten Gefährtinnen des Kaisers: Anna Nahowski gegenüber, mit der er fast 14 Jahre ein Verhältnisse hatte, erwies er sich als „spendabler Ehebrecher“. Die Beziehung mit der Schauspielerin Katharina Schratt überlappte sich mit Nahowski und dauerte dann bis zu seinem Lebensende: Die Dame war ihm zwar nicht treu, aber sie war loyal (nie hat sie sich ihre „Memoiren“ abkaufen lassen), und sie dürfte mit Liebe, Gugelhupf und Geplauder einen so gar nicht verwöhnten Mann wie Franz Joseph ziemlich glücklich gemacht haben (von seiner Eifersucht auf die Rivalen einmal abgesehen). Die Schratt war eine starke Persönlichkeit, die dem Kaiser auch manchen Krach lieferte, sogar Trennungen, aber sie kommen wieder zusammen. Von der „Gewissens-Ehe“, um welche herum manche Autoren spekulieren, hält Autor Weissensteiner nichts. Dass Kaiser Karl die Schratt an das Totenbett des eben verstorbenen Franz Joseph geführt hat, gilt allerdings als gesichert – eine noble, menschliche Geste des jungen Mannes.
Die Schratt, die Töchter, die Enkelin haben den Kaiser überlebt. In dem Buch, das diesen tatsächlich sehr menschlich und durchaus sympathisch zeigt (ein anständiger Mensch eben), führt der Autor dann die begonnenen Frauen-Schicksale noch zu Ende.
Renate Wagner