FRIEDEMANN VOGEL – Verkörperung des Tanzes (Film-Dokumentation des SWR von Katja Trautwein)
Friedemann Vogel. Copyright: Youn Sik Kim
Der Titel dieser dokumentarischen Würdigung beschreibt perfekt die herausragende Kunst des Tänzers Friedemann Vogel, allein die diversen Sprung-Sequenzen vor den wesentlichen Auftritts-Stationen und durch Straßen und Parks der betreffenden Städte zeigen mit welcher Selbstverständlichkeit, federleichten Gewandtheit und Gelöstheit er sich dieser Bewegungsform bedient. „Geboren für den Tanz und für die Bühne“ fasst es der langjährige Intendant des Stuttgarter Balletts Reid Anderson als einer der zu Wort kommenden Wegbegleiter in dieser einstündigen Dokumentation von Katja Trautwein knapp und trefflich zusammen. Die brasilianische Ballett-Legende Marcia Haydée führt in Bezug auf den ihm als einem der wenigen Tänzer überhaupt überlassenen und kurz in der letzten Ekstase gezeigten „Bolero“ von Maurice Béjart ein weiteres Stichwort an: „ein Körper wie eine Maschine“, dem man „aber doch in jeder Faser voller Magie, Emotionalität und Spontaneität“ hinzufügen muss.
In diesem nicht streng biographisch aufgebauten Film-Beitrag werden auch kurz die Anfänge des 1979 in Stuttgart als jüngster von fünf Brüdern geborenen Tänzers beleuchtet: wie er durch seinen älteren Bruder Roland (der dann auch zum Ersten Solisten des Stuttgarter Balletts wurde) in der John Cranko-Schule mit seinem späteren Beruf erstmals in Berührung kam, bei ersten eigenen Schritten als Schul-Absolvent, sein von Anfang an ausgeprägter Durst von Lehrern und fortgeschritteneren Tänzern alles an praktischem Wissen in sich aufzusaugen. Zur entscheidenden Grundlage seiner Ballett-Karriere wurde 1994 die Begegnung mit Marika Besobrasova anlässlich eines Sommer-Workshops und seines daran anschließenden Ausbildungs-Abschlusses an der Academie de Danse Princess Grace in Monte-Carlo. Die berühmte Pädagogin hat ihn mit ihrer gesamtheitlichen Lehrmethode nicht nur als Tänzer, sondern in dieser Funktion vor allem auch als Mensch geprägt.
Als es ihn danach wieder in seine Heimatstadt zurück zog und er beim Stuttgarter Ballett vortanzte, erkannte Reid Anderson sofort die besonderen Anlagen Friedemanns, wie er in der ganzen Ballettwelt ohne Familienname genannt wird und auch sein Autogramm lautet. Der schnelle Aufstieg in die höchste Position war bald vorgezeichnet, Einladungen zu renommierten Compagnien in aller Welt folgten nach und nach – stets im Einklang mit seinem heimatlichen Engagement, das bei allem internationalen Ruhm bis heute seine Basis, sein Ruhepol und sein Rückzugsort geblieben ist und auch weiterhin sein wird. Eine solche Kontinuität ist ebenso einmalig wie die spezielle (Bewegungs)-Qualität, die seinen Körper ausmacht und neben dem erwähnten „Bolero“ vor allem bei moderneren Choreographien mit freiem Oberkörper sichtbar wird. „Jeder Muskel, jede Sehne wurde da erarbeitet wie bei der Statue eines Bildhauers“ beschreibt es der Filmemacher Volker Schlöndorff, der ihm schon öfter auch bei Proben zuschauen konnte. Kein Wunder, dass viele Choreographen speziell für ihn kreiert haben, darunter auch Guillaume Coté vom National Ballet of Canada das Solo „Cadavre exquis“, das extra für diese Doku zur Filmchoreographie erweitert wurde. Coté erinnert sich an die erste Begegnung mit Friedemann mit den Worten „als dieser große deutsche Tänzer den Raum betrat und anfing zu tanzen, dachte ich, wir sind verloren…“
Friedemann Vogel. Copyright: Youn Sik Kim
Als eine der wenigen Tänzer-Persönlichkeiten unserer Zeit benennt ihn der ehemalige Pariser Etoile Nicolas Le Riche, der ihn anlässlich seines Starts als Ballettdirektor in Stockholm für die dortige Premiere von Marcia Haydées „Dornröschen“ als Prinz Desirée eingeladen hatte.
„Leicht, schnell, emotional und stets mit genauem, ein Gemeinschaftsgefühl entstehenden lassenden Augenkontakt“ schwärmt eine seiner beständigen Partnerinnen Polina Semionova, die ihn immer wieder zu ihren Galas nach Berlin einlädt und hier mit ihm bei der Probe eines Pas de deux aus MacMillans „Manon“ zu sehen ist.
Zu den Höhepunkten außerhalb von Stuttgart zählen seine seit 2003! regelmäßigen Auftritte beim World Ballet Festival in Japan als einziger deutscher Tänzer! Als Beispiel sind Proben und kurze Aufführungs-Phasen des zweiten „Kameliendame“-Pas de deux und aus dem von einer tackernden Schreibmaschine gesteuerten „Mono Lisa“ von Itzik Galili mit seiner häufigsten und ihm fast geschwisterlich verbundenen Partnerin und Stuttgarter Kollegin Alicia Amatriain zu sehen. Der führende Kritiker des Dance Magazine von Japan Masashi Miura beschreibt ihn als ideale Besetzung des Armand in John Neumeiers Choreographie, als trefflichen Charakter mit der ganz seltenen Kombination von Niedlichkeit und einer dahinter sichtbar werdenden Form von Melancholie.
Der letzte Gastspiel-Höhepunkt war sein Auftritt am Bolshoi-Theater in Moskau, wo er an der Seite der dortigen Primaballerina Olga Smirnova mit nur kurzer Probezeit als Onegin eingeladen war – eine Partie, ein Werk, das für ihn seit der ersten Begegnung als Ballettschüler als heilig gilt, und mit dessen Debut vor wenigen Jahren ein ganz großer Traum für ihn in Erfüllung gegangen ist.
Von den vielen erhaltenen Auszeichnungen und Preisen (darunter der Erik Bruhn-Preis und der Prix de Lausanne) bedeutet ihm die 2015 erfolgte Ernennung zum Kammertänzer des Stuttgarter Balletts am meisten, sie ist quasi so etwas wie ein Ritterschlag. Unter den ehrenvollsten Auszeichnungen steht lediglich noch der Prix Benois aus.
Zeitbedingt hat die Krönung seiner Laufbahn mit dem Debut als Kronprinz Rudolf in MacMillans „Mayerling“ in diese Dokumentation keinen Eingang mehr gefunden, die Gestaltung dieses komplexen historischen Charakters in Form der umfangreichsten und technisch wie konditionell forderndsten Partie des Ballett-Repertoires darf jedoch als Ergänzung zu dieser Dokumentation nicht unerwähnt bleiben, beschreibt sie doch den Gipfel allerhöchster Ballettkunst und die im Filmbeitrag wörtlich genannte Übermenschlichkeit seines Körpers, für die der Name Friedemann (Vogel) steht. Speziell daran ist auch zu sehen, in welcher exzellenten Verfassung er mit 40 Jahren ist (wo die allermeisten Tänzer bereits abgetreten oder ins körperlich anspruchslosere Charakterfach gewechselt sind), ja sogar noch besser als je zuvor tanzt. Kein Wunder, dass er da noch nicht ans Aufhören und eine Planung danach denkt. Lediglich bei der Materie Ballett und Tanz zu bleiben, dessen ist er sich sicher.
Dazwischen posiert Friedemann zur Abwechslung und zum Spaß auch gerne für die Modebranche in Verbindung mit einem Interview und hat dadurch auch Kontakte zum Film geknüpft.
In den Bereich Tanzfotografie gehört das Projekt seines Stuttgarter Kollegen Roman Novitzky, der ihn im See vor der Stuttgarter Oper flankiert von zwei Schwänen mit choreographischen Anleihen aus „Schwanensee“ posieren lässt. Ein in der Tat außergewöhnlicher künstlerischer Ausflug.
Katja Trautwein beleuchtet in ihrer Film-Doku auch die Kehrseiten des Ruhms: hinter dem Jubel und all den Blumen, die ihm in besonderem Ausmaß das ihn beinahe vergötternde japanische Publikum entgegenbringt, folgt die Einsamkeit im Hotel, bei längeren Tourneen und Gastspielen geht ihm der Kontakt zu Familie und Freunden schon sehr ab.
Rund 40 bedeutende Bühnen in 24 Ländern – so lässt sich die Kapazität des einzigen deutschen Weltstars des Tanzes kurz zusammen gefasst umreißen. Ein Star allerdings, der wie in allen Gesprächen zu bemerken ist, trotz aller Höhenflüge geerdet und bodenständig, ohne Allüren, immer noch lernbereit, neugierig, offen und kollegial geblieben ist.
Für Marcia Haydée ist er die Nr. 1 in der Welt (so das Schlusswort), und für viele Ballettfans in aller Welt ganz bestimmt auch!
Udo Klebes