Piotr Iljitsch Tschaikowski: Eugen Onegin, Theater Freiburg, Wiederaufnahme: 30.11.2019
Eugen in der Party-Scheune
Intendant und Regisseur Peter Carp ist mit seiner Inszenierung von Tschaikowskis Lyrischen Szenen gelungen, dem Publikum sowohl einen kulinarischen wie intellektuellen Zugang zum Stück zu bieten. Kaspar Zwimpfer hat ihm dafür einen scheunenartigen Bau als Einheitsbühnenbild geschaffen. Der Bau erinnert an die Holzkonstruktionen der Amish People. Auf jeden Fall hat er seine besten Tage hinter sich und bietet reichlich Ausblick auf den weiten Himmel Russlands (immerhin schneit es nicht andauernd). Die hochästhetischen Kostüme von Gabriele Rupprecht sind fast zeitlos und decken die Spanne von den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts bis in die Gegenwart ab. Graham Smith hat die Kollektive choreographiert, Stefan Meik das Licht besorgt. Weshalb Benedikt Kohlmann als für den Ton zuständig aufgeführt wird, erschliesst sich nicht.
Bereits im ersten Akt lässt sich Carps genaue Figurenzeichnung feststellen. Blicken die beiden Schwestern Olga und Tatjana in die Zukunft, leuchtet der Himmel utopisch blau. Antworten die beiden alten Frauen, die Flinten putzen, mit «Auch ich hab so gesungen», stehen die Figuren plötzlich im Dunkel und das Blau lässt nach. Während die Gutsbesitzerin Larina und ihre Tochter Schuhe tragen, treten die beiden Aussenseiterinnen, in ständischer Hinsicht die Amme Filipjewna und in gesellschaftlicher Hinsicht die Tochter Tatjana, barfuss auf. Tatjana, ihr Name galt zu Puschkins Zeiten als antiquiert, ist liebevoll als Bücherwurm gezeichnet: dazu trägt sie eine Brille, die später verschwindet, steht stets mit Buch immer etwas abseits und erschrickt und stolpert, wenn sie beim Auftritt der Besucher von Onegin angesprochen wird (während Olga und Lenski ihre Liebe gleich Leben). Wird das Erscheinen von Lenski und Onegin angekündigt, beginnt Olga sich sofort zurecht zu machen. Tatjana steht weiter unbeteiligt und im Unterrock abseits.
Copyright: Tanja Dorendorf/ T+T Fotografie
Im zweiten Akt wird die Bühne zur Partyscheune. Ausgelassen wird Tatjanas Namenstag gefeiert. Zu Triquets Ständchen auf der Schaukel, muss die Geehrte dann mühsam herbeigezerrt werden. Kaum ist das Lied vorbei, setzt sich Tatjana hin und pflegt demonstrativ ihre wunden Füsse. Unterdessen nimmt das Geschehen seinen Lauf und entsprechend findet das Duell gleich vor Ort statt. Lenski, von Onegin mit einem Kopfschuss getroffen, knallt auf den mit den Resten der Party übersäten Tisch. Sechzehn Jahre später, im dritten Akt, hat sich so einiges geändert. Die Scheune wurde zur schicken Galerie Gremins, in der Asiaten trendige schwarz-weiss Fotos der Partyscheune bestaunen. Hier wird Carp nun aktuell, die neue Elite, zu der auch Gremin gehört, ist asiatisch. Die in den ersten beiden Akten gezeigte, dekadente europäische Gesellschaft ist untergegangen. Strahlende Überlebende des Zeitenwandels ist die Leseratte Tatjana: sie, die jetzt das kleine Violette trägt, liebt Onegin immer noch, aber hält zu Gremin. Statt des Glücks (Onegin), hat Gott ihr die Gewöhnung (Gremin) gegeben. Und Onegin hat sich auch nach sechzehn Jahren nicht geändert: er hat die Ruhe noch immer nicht gefunden und, immer auf dem Sprung, behält er während des Rendezvous seinen Regenmantel an.
Carp zeigt hier grossartiges Handwerk: der Zuschauer kann die Lyrik des Stücks geniessen oder aber sich in den Figuren erkennen und die «Was wäre wenn?»-Frage weiterdenken.
Copyright: Tanja Dorendorf/ T+T Fotografie
Als Larina und Filipjewna überzeugen Satik Tumyan und Anja Jung. Beide verkörpern mit wunderbar warmen Stimmen die Lebenserfahrung und Mütterlichkeit ihrer Rollen. Die Krone des Abends gebührt Solen Mainguené: ihr gelingt eine mustergültige Interpretation der Tatjana. Mit den Farben ihr Stimme und stupender Technik gelingt ihr der schüchterne Bücherwurm gleichermassen wie die verheiratete Frau. Absolut überzeugend ist die Briefszene, in der aus dem Bücherwurm die Rebellin wird und sie sich frei singt. Ilseyar Khayrollova singt ihre Schwester Olga: mit wunderbar dunklem Boden steht sie mit beiden Beinen auf dem Tanzboden. Michael Borth gibt einen jugendlich kräftigen Onegin und verkörpert den unnützen Mensch, den Mensch, der Niemanden braucht, und der von Niemandem gebraucht wird, ganz hervorragend. Joshua Kohl hat als Lenski einen schwarzen Abend erwischt: mit Beginn des zweiten Akts wird die Stimme immer brüchiger und die Höhen kommen nicht mehr. Jin Seok Lee gibt den Gremin etwas grobschlächtig mit wunderbar dunklem, kräftigen Bass. Roberto Gionfriddo gelingt der Triquet ganz ordentlich. Seonghwan Koo, Alexander Kiechle und Jörg Golombek ergänzen das Ensemble als Saretzky, Hauptmann und Vorsänger.
Tadellos die Leistung des von Norbert Kleinschmidt vorbereiteten Opern- und Extrachores des Theater Freiburg.
Ektoras Tartanis gelang die Koordination von Graben und Bühne noch nicht ganz zufriedenstellend. Das Philharmonische Orchester Freiburg überzeugte mit sattem, gut abgestuftem Klang. Die Wackler (im Blech) werden sich geben.
Ein trotz allem überzeugender Abend.
Weitere Aufführungen:
Mittwoch, 11.12.2019, 19:00 – 22:00, Freitag, 13.12.2019, 19:00 – 22:00, Sonntag, 15.12.2019, 14:30 – 17:30, Montag, 23.12.2019, 19:30 – 22:30, Sonntag, 29.12.2019, 18:00 – 21:00.
01.12.2019, Jan Krobot/Zürich