Theater Freiburg: Purcell: „Dido und Aeneas“ (Livestream, Pr. vom 28.4.2021)
Roberto Gionfriddo als Aeneas, Foto: Laura Nickel
Die schöne Dido in Jeans lamentiert schon vor dem ersten Vorhang, dass sie sich dem Lügner Aeneas hingegeben hat. Damit ist sie nicht allein: Die Prinzessin als Mittel zum Zweck der patriarchalen Landeroberung von Pocahontas über Medea bis zu Kleopatra wurde von Klaus Theweleit in seinem „Buch der Königstöchter“ fleissig zusammengetragen, an das sich diese Inszenierung anlehnt. Nur: Ist die Frau als ausgenutztes Objekt der patriarchalischen Gesellschaft als Thema nicht zu gross, zu allgegenwärtig, um eine einstündige Barockoper damit zu belasten?
Ein Liebesakt in einer romantischen Grotte lässt Dido auf eine gemeinsame Zukunft hoffen. Dass es hier eine Duschkabine tun muss, passt zu den zeit- und freudlosen grauen Businessoutfits (Kostüme: Gisa Kuhn) der Palastbewohner, wobei sich Didos weisser Seidenmorgenmantel nicht wirklich positiv davon abhebt, sondern eher an ein Ende à la Lucia mahnt.
Die schlampig dunkelrot gestrichenen Wände mit schwarzer Täferung (Bühne: Wilfried Buchholz) und das Bild einer sich ins Schwert stürzenden Frau tun das Übrige zur gedrückten Stimmung.
Das Problem von Tilman Knabes Inszenierung ist, dass Aeneas, soll er der vorsätzlichen Königinnenverführung aus politischem Kalkül glaubhaft schuldig wirken, äusserst widerlich rüberkommen muss. Immerhin, das schafft er auf Anhieb: Aeneas stürmt betrunken im schmuddeligen T-Shirt die Bühne, während seine Truppen laut schreiend mit Clownsnasen bekleidet mit ihren Gewehren herumfuchteln.
Roberto Gionfriddo als Aeneas liefert musikalisch und schauspielerisch eine solide Leistung ab, den Regieeinfällen fällt jedoch auch er zum Opfer. Seine Interpretation von „The show must go on“ von Queens kann Dido jedenfalls nicht wirklich zur Heirat bewogen haben. Vermutlich eher die emotionale Erpressung: Troja zum zweiten Male untergehen zu lassen, das will sich doch keine Frau nachsagen lassen…
Abgesehen von diesen Pop-Einschlägen ist die Oper wenigstens musikalisch ein Genuss: Der junge griechische Dirigent Ektoras Tartanis leitet das philharmonische Orchester Freiburg leidenschaftlich und akkurat, manchmal mit etwas zu dramatischen Gesten, aber das Resultat ist hörenswert und zu keiner Zeit langweilig. Der Opernchor des Theater Freiburg unter der Leitung von Norbert Kleinschmidt überzeugt ebenfalls.
Der triumphing dance als Pressekonferenz zweier einen Vertrag unterzeichnenden Staatsoberhäupter, Dido im Thatcherblauen Hosenanzug, Aeneas mit Orden behängt, wird in den breaking news und mit Feuerwerk gefeiert: „Contract signed between Dido, Queen of Carthague and the Aeneas Corporation“ – der letzte nachvollziehbare Regieeinfall.
Der warme Bariton des hier (sehr) männlichen Zauberers von Juan Orozco ist nach Gionfriddos Freddie Mercury-Verschnitt angenehm viril. Der Wald gleicht aber eher einer grün beleuchteten Müllhalde mit Hexen im Holzfäller-Look.
In endlos scheinender Absurdität zieht der vom Zauberer beauftragte Geist im Business-Look der zweiten Frau (beide ausgezeichnet gespielt und gesungen von Janina Staub) einen Koffer mit Kostümen über die Bühne, wobei sie auch noch minutenlang eine Kontaktlinse verliert. Sie wird später Aeneas in diesen Kostümen als Merkur zu erscheinen, trotzdem dürfte hier bei den meisten Zuschauern der Gang zur Toilette angesetzt worden sein.
Auch Belindas (Katharina Ruckgaber) wunderschöne Arie „Thanks to these lovesome vales“ wird durch den völlig unnötigen Hintergrundsex und -mord eines Pärchens in der bekannten Duschkabine(?) merklich getrübt. Dennoch: Die drei grossartigen Frauenstimmen sind der Höhepunkt der Inszenierung.
Der blutüberströmte Aeneas braust im Auto mit seiner laut jolenden Schlägertruppe von der erfolgreichen Jagd heran und wirft den erlegten Leoparden Dido zu Füssen. Er scheint nicht besonders erschüttert über Merkurs Anweisung, Dido zu verlassen: „The show must go on“.
Der Zauberer organisiert nun eine Party in „Nuttenkostümen“ für die (bald scheidenden) Matrosen in einer Art Club mit portugiesischen Wandgraffiti. Passend dazu hält eine indigene Umweltschutzaktivistin in einem Video eine flammende Rede auf brasilianisch zur Rettung des Amazonasökosystems. So wichtig dieses Thema ist, die Verbindung ist doch zu weit hergeholt.
Knabe ist nun in der Zwickmühle: Gemäss Libretto muss er Aeneas in letzter Sekunde noch Gewissensbisse und ein liebendes Herz einhauchen, scheitert aber kläglich: Dass Dido jetzt auch nicht mehr will, ist zumindest jeder Frau klar. Inga Schäfer führt in ihrer Abschiedsarie ihren wunderschönen klaren Sopran eindrücklich vor.
Und mit einem letzten Regieschlag lässt Knabe noch die obligaten Gummiboote und Schwimmwesten als dezenten Hinweis auf Flüchtlinge aufblasen. Was wäre eine Opernproduktion ohne?
Fazit: Bei Online-Meetings schalte ich meist die Videofunktion ab. Das hätte ich hier auch tun sollen.
Alice Matheson