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FREIBURG: KATJA KABANOWA von Leoš Janáček. Premiere

29.01.2018 | Oper

Freiburg: Leoš Janáček: „Katja Kabanowa“, Premiere am  27.1.2018

 

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Anna-Maria Kalesidis als Katja Kanabowa              ©Rainer Muranyi

Verheiratete Frauen, die für ihre Liebe für einen anderen Mann einen hohen Preis zahlen (natürlich zahlen den nie die Männer), gibt es in Literatur und Oper ja zuhauf. Selten wird die Misere aber so trostlos dargestellt wie in Katja Kabanowa des tschechischen Komponisten Leoš Janáček. Während Anna Karenina zumindest einen Venedigtrip rausschlagen kann und Madame Bovary sich neu einkleidet, kommt Katja nicht aus ihrem russischen Provinznest und entsprechender Kleidung heraus. Und was immer an Klischees über die russische Provinz in unseren Köpfen herumirrt, wird da auf der Bühne aufgefahren: Die Frauen der biederen Art laufen in fleischfarbenen Strümpfen, Wollröcken und Kopftüchern herum, die anderen wie Billignutten (Kostüme: Kathi Maurer), die Innenräume der Wohnungen sind ärmlich, dreckig und mit Ikonen, Kachelöfen und hässlichen Wandteppichen überfrachtet, und Obdachlose suchen im Müll nach Verwertbarem. Nichtsdestotrotz oder besser genau deswegen ist das Bühnenbild (Alfred Peter) wirkungsvoll, grossartig die sich ständig verengenden oder erweiternden rechteckigen Guckfenster, wunderschön die Wogen der Wolga.

Wie so manche Ehefrau träumt Katja von einem anderen, besseren Leben. Vor allem die gemeine Schwiegermutter, die Kabanicha, macht ihr zu schaffen. Katjas Ehemann Tichon ist zu schwach, um sich gegen seine Mutter zu stellen. Fast zwangsläufig verliebt sich Katja in den gutaussehenden Boris, der wegen eines unglücklichen Testaments allerdings finanziell von seinem gemeinen Onkel Dikoj abhängig ist. Die beiden älteren Nebenrollen werden von Anja Jung und Juan Orozco grandios zurückhaltend und realistisch verkörpert, wobei Letzterer seine schöne Stimme nur gelegentlich entfalten darf, und die Partitur der Kabanicha per definitionem aufs Keifen reduziert ist: Die beiden machen das Beste daraus. Roberto Gionfriddo als Tichon fällt da eher ab, dies mag aber auch der als schwächlich angelegten Rolle geschuldet sein.

Ein Erlebnis an diesem Abend ist die Mezzo-Stimme von Inga Schäfer als Warwara, der jungen Pflegetochter der Kabanicha, die als aufgebrezelter lebenslustiger Teenager nicht nur selbst mit Boris‘ Freund Kudrjasch (Joshua Kohl: auch er kann sich nicht gegen das Orchester behaupten) herumflirtet, sondern auch Katja den verhängnisvollen Schlüssel für deren Stelldichein mit Boris gibt. Harold Meers als Boris fühlt sich offensichtlich noch nicht ganz wohl in seiner Rolle, sein gutes Aussehen und seine sehr schöne Tenorstimme, der er an dem Abend irgendwie nie wirklich Raum gibt, lassen aber vermuten, dass da noch mehr drin liegt. Unumstrittener Star des Abends ist jedenfalls die russische Sopranistin Anna-Maria Kalesidis als Katja, einerseits schon wegen der Leistung, praktisch den ganzen Abend durchzusingen, anderseits wegen ihres dramatischen Soprans und nicht zuletzt wegen ihres mitreissenden Spiels: Ihr sich steigender Wahnsinn, ihre Verzweiflung über Boris Versetzung und vor allem ihr Ausbruch während des Gewitters, wo sie ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter ihre Affäre gesteht, ja wo das Gewitter eigentlich aus ihr herausbricht, werden noch lange im Gedächtnis bleiben.

Fabrice Bollon hat das Philharmonische Orchester Freiburg gut im Griff. Die Einstudierung des bei Janáček sehr eigenwilligen Rhythmus des sowieso schon für die Sänger nicht einfachen tschechischen Textes hat die Sänger sicherlich Energie gekostet. Bollon unterstützt, wo er kann, trägt zumindest die weiblichen Stimmen (die männlichen werden gelegentlich übertönt), lässt aber vor allem im Gewitter der Stimme der Katja genug Raum: Eine grosse Leistung bei dieser komplexen Musik.

Tilman Knabe inszeniert das Drama behutsam, realitätsnah und packend. Vielleicht hätte man Katjas epileptische Anfälle streichen und sie etwas dramatischer sich in die Fluten der Wolga stürzen lassen können. Katjas zentraler „Gewitterausbruch“ (das zugrundeliegende Schauspiel von Alexander Ostrowskis  heisst ja auch „Gewitter“) ist grandios dargestellt. Brillant herausgearbeitet werden auch die unterschiedlichen Liebesniveaus der Protagonisten: Während sich Katja mit Selbstvorwürfen zerfleischt, flirtet Boris mit anderen Damen und ist bezeichnenderweise beim letzten Treffen an der Wolga gar nicht mehr da: Katja singt zu einem Bild von ihm, seine Stimme kommt aus dem Off. Wer schon mal der leidend-liebende Teil einer Beziehung war, kann hier genüsslich mitleiden.

 Fazit: Diese schmerzlich realistische Interpretation einer so selten gespielten Oper sollte man sich wirklich nicht entgehen lassen.

 

Alice Matheson

 

 

 

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