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FREIBURG: EIN SOMMERNACHTSTRAUM von William Shakespeare in einer Bearbeitung von Magda Kupryjanowicz, Ewelina Marciniak & Michael Billenkamp – Premiere

07.01.2018 | Theater

Theater Freiburg: William Shakespeare: Ein Sommernachtstraum. In einer Bearbeitung von Magda Kupryjanowicz, Ewelina Marciniak & Michael Billenkamp – Pr. 6.1.2018

Bildergebnis für freiburg ein sommernachtstraum
Henry Meyer, Anja Schweitzer, Janna Horstmann, Laura Angelina Palacios © Birgit Hupfeld

Ein Schauspieler drängelt – sich lautstark entschuldigend – noch vor Stückbeginn durchs Publikum. Er muss dringend auf die Bühne, schliesslich beginnt bald das Vorsprechen. Dort spricht sich bereits ein anderer mit dem Erlkönig warm. Die Regisseurin meint noch patzig ins Publikum, dass heute ja niemand mehr proben wolle, alle wollen nur noch fertigen Shakespeare sehen.

Genau deshalb war man eigentlich gekommen.

Der polnischen Regisseurin Ewelina Marciniak ist das aber gleichgültig. Für sie ist das Shakespeare’sche Stück eine leere Leinwand, auf der sie das Thema vorgibt, und nicht der Autor. Und ihre Hauptthemata (denn derer gibt es viele) sind offenbar die Funktion der Kunst und die Beziehung zwischen Kunst und Politik. Dafür wildert sie ungeniert in Shakespeares Meisterwerk, zerpflückt es in kleine Fetzen und pickt sich heraus, was ihr in ihre Interpretation passt. Der Rest wird gnadenlos entsorgt – die Lücken aufgefüllt mit Platituden aus eher sinnfreien Kunstmanifesten vom Beginn des letzten Jahrhunderts oder – noch schlimmer – eigenen Texten (Lysander zu Helena: „Kaffee?“ Helena: „Ja, Kaffee!“)

Da Kunst schon mal das Thema ist, entbehrt das Bühnenbild – eine Version der „Geburt der Venus“ von Botticelli – nicht einer gewissen Logik und ist hübsch anzuschauen (Bühne, Kostüme und Light-Design: Katarzyna Borkowska). Titania (Janna Horstmann) muss also als Venus in der Muschel reichlich nackt sitzen, während Oberon (Henry Meyer) als Zephyr das Gemälde vervollständigt. Gemäss der Regisseurin (sehr erleuchtendes Interview im Programmheft) soll dieses das Gemälde das patriarchale System und damit die gesellschaftlichen Hierarchien unterstützen. Die Kunst würde also von der Aristokratie instrumentalisiert, um deren Macht zu unterstreichen. Gleichzeitig ist der Regisseurin das „Renaissancethema Kind“ wichtig, so werden Hermias Schamhaare untersucht, um festzustellen, ob sie noch in diese Kategorie passt.  Als Puck (und irgendwie auch als Regisseurin) verkörpert Anja Schweitzer eine Art Desirée Nick-Verschnitt mit rauchiger, schnoddriger Stimme und desillusionierter Haltung, die so gar nichts mit dem Schabernack treibenden Kobold zu tun hat. Folgerichtig ist dieser Rolle auch jeglicher Humor abhandengekommen. Ein weiteres Problem dieser Inszenierung ist das Anschneiden viel zu vieler Themen. Geht es nun um die Kindheit und den kindlich-naiven Zugang zum Leben als Ideal der Kunst („Welche Farbe hat der Wald für ein Kind, das noch kein grün kennt?“), geht es um das Patriarchat und die Unterdrückung und sexuelle Zurschaustellung der Frau? Geht es um Kunst als Mittel der Machterhaltung der Oberschicht? Oder soll Kunst eben nicht gefallen, schockieren oder gar etwas schaffen, sondern einzig das Erlebnis des künstlerischen Prozesses sein? Die Regisseurin kann und will sich nicht entscheiden. Mal ganz abgesehen davon, dass es bei Shakespeare um nichts davon geht. Dass dabei sowohl die Shakespeare’sche Pärchenkomik (dabei war das so eine brillante Ausgangslage: Helena (Laura Angelina Palacios) liebt Demetrius (Thieβ Brammer), Demetrius liebt Hermia (Rosa Thormeyer), Hermia liebt Lysander (Dominik Paul Weber), Lysander liebt Helena) als auch die messerscharfen Dialoge auf der Strecke bleiben, versteht sich von selbst.

Meistens fragt sich der Zuschauer, was diese oder jene Figur auf der Bühne nun wieder soll. Dass nun Titania und Helena das Bild Botticellis zerstören wollen, um gemäss dem Manifest der Futuristen, die für die Zerstörung der Museen warben, die alte Kunst zu entlarven, ist auch für den gebildeten Zuschauer so wenig klar wie warum es denn jetzt statt einem Esel ein Yeti sein muss. Es findet sich hier ein Hauptproblem meist junger Regisseure: Es wird so lange an einem Text herumgebastelt, improvisiert, geändert, dass zum Schluss etwas völlig anderes entstanden ist, nur hat der arme Zuschauer diesem Prozess ja nicht beigewohnt, und steht dem Neukonstrukt (das dann in sich meistens eben doch nicht logisch ist) völlig hilflos gegenüber. Da helfen dann auch die nervigen Songs („Li la lu“ oder Schlimmeres, Musik: Janek Duszynski) nicht mehr.

Dass sich in der Spuknacht irgendwann alle Schauspieler völlig nackt im Sexreigen tummeln, war ja zu erwarten. Nun aber anschliessend die Regisseurin die immer noch nackten Schauspieler dem Publikum vorstellen zu lassen, während diese durch die Sitzreihen laufen (im Sinne von „Lysander: Hajo, Hajo: Lysander“) ist denn nun doch Theater, wie es in den 90ern in war. Polen, aus der das ganze Kreativ-Team kommt, scheint da theatertechnisch doch noch etwas rückständig zu sein. In Freiburg – und in der restlichen westlichen Welt – schockiert das nicht nur niemanden mehr, es langweilt direkt. Lediglich das vor Theseus (Henry Meyer) und Hippolyta (Janna Horstmann) durch Zettel (Lukas Hupfeld),  Flaut (Moritz Peschke), Schnock (Angela Falkenhan) und Schlucker (Michael Schmitter) vorgetragene Trauerspiel „Pyramus und Thisbe“ rehabiliert zumindest die Leistung der Schauspieler (ohne Mikrophon wäre diese allerdings noch grösser). Um Shakespeare zu rehabilitieren, müsste man aber noch ein grosses „frei nach“ vor dessen Namen setzen.

Getreu dem Motto, dass Kunst, die gefällt, schlecht sein muss, hat die Regisseurin in ihrer eigenen kleinen Manifestewelt wenigstens reüssiert.

Alice Matheson

 

 

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