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FREIBURG: DREI WINTER von Tena Štivičić. Premiere

18.02.2018 | Theater

Theater Freiburg: „Drei Winter“, Stück von Tena Štivičić –  Pr. 17.2.2018

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Holger Kunkel, Victor Calero, Margot Gödrös, Henry Meyer, Anja Schweitzer, Angela Falkenhan, Anna Stieblich, Hartmut Stanke       © Rainer Muranyi

Die drei Erzählebenen – die Winter 1945, 1990 und 2011 – folgen dem Schicksal von drei Generationen einer Familie in ein und demselben Haus in Zagreb. Die Jahreszahlen sind nicht zufällig gewählt, handelt es sich doch um wichtige Daten der jugoslawischen Geschichte. Die Gründung von Titos Jugoslawien, dessen Zerfall resp. Beginn der Jugoslawienkriege 1990 und Kroatiens Beitritt zur EU 2011.

Die resolute Rose (Janna Horstmann) sucht sich bei der Nachkriegswohnungsvergabe – und durch Protektion eines gewissen Generals – ausgerechnet den Schlüssel des Hauses heraus, aus dem ihre Mutter Monika (Stefanie Mrachacz) als Dienstmädchen von der adeligen Karolina (Margot Gödrös) mit Rose als Baby hinausgeworfen worden war. In diese heruntergekommene ehemalige Adelsvilla an bester Lage (stimmiges Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer, ansprechende Kostüme von Gabriele Rupprecht) zieht sie mit ihrem zögerlichen Mann Alexander König (der Name war damals Programm) (Thieß Brammer, im Alter Hartmut Stanke) und ihrem Baby ein. Zwar muss sie das Haus mit anderen Familien teilen, aber die Genugtuung, wieder in das Haus zurückzukehren ist gross, nur getrübt durch die Entdeckung, dass die völlig verarmte Karolina dort immer noch gleich einem Gespenst haust.

Sprung nach 1990 kurz vor Kriegsausbruch: Mascha (Anna Stieblich) und Dunja (sehr kurzfristig für Anja Schweitzer eingesprungen: Laura Angelina Palacios), Rosas Töchter, haben Männer geheiratet, die in ihren politischen Ansichten aneinandergeraten. Maschas Mann Vlado (Henry Meyer) tritt für ein vereinigtes Jugoslawien ein, Dunjas Mann Karl (Holger Kunkel) sagt den Kriegsbeginn richtig voraus und wird später ein führender EU-Politiker Kroatiens (wenn er nicht gerade über einen Freund des Hauses (Victor Calero) herzieht oder seine Frau prügelt).

Im Jahre 2011 heiratet Maschas Tochter Lucija (Angela Falkenhan) einen dubiosen kroatischen Geschäftsmann, ihre aus London angereiste Schwester Alisa (Marieke Kregel) – ganz der Papa – ist strikt dagegen. Immerhin kauft der mafiöse Schwiegersohn seiner pragmatischen Braut das Haus, in dem die Familie schon seit Generationen lebt, die anderen Mieter „überzeugt“ er auszuziehen, auch Marko (Tim Al-Windawe), den Jugendflirt von Alisa, der ein schweres Kriegstrauma erlitten hat. Als man aber schliesslich erfährt, dass der Vater von Rose wohl Sebastian, Karolinas Bruder war, macht das Ganze wieder Sinn.

Die Erzählabschnitte werden wie bei einem Episodenfilm wild durcheinandergeworfen, erst nach und nach erschliesst sich dem Zuschauer das Gesamtbild. Das ist zwar kein neuer Kunstgriff (und bei Kinofilmen bereits eine eigene Kategorie), aber durchaus ein effektiver.  Und ja, ergreifende Momente gibt es auch, als zum Beispiel Monika sofort wieder beginnt, Karolina zu bedienen, von Rose aber sofort zurechtgewiesen wird. Oder die Bettgespräche des desillusionierten Paares Mascha und Vlado. Der neue Generalintendant des Freiburger Stadttheaters, Peter Carp, inszeniert seine erste Regiearbeit am Theater Freiburg konsequent und logisch und trotzdem hat man über weite Strecken das Gefühl, in einer besonders langweiligen Unterrichtsstunde in Geschichte zu sitzen. Dies mag am Text von Tena Štivičić liegen, der nicht besonders aufregend geschrieben ist. Interessant ist lediglich die wohl auf eigenen Erfahrungen basierende Erkenntnis der in London lebenden kroatischen Autorin, dass die Frauen der Familie von Generation zu Generation stärker und unabhängiger werden, während die Männer entweder schwach bleiben, schwach werden oder zur Brutalität greifen.

Alice Matheson

 

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