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FREIBURG: DIE MÖWE. Premiere

26.09.2015 | Theater

Freiburg: Tschechow: Die Möwe – Premiere  25.9.2015

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Foto: M. Korbel

Gut, dass Tschechow dieses Stück als „Komödie“ kategorisierte, von alleine wäre man darauf nämlich nicht gekommen. Dem Haufen verkrachter Existenzen, namentlich Schauspieler (und solche, die es werden wollen), Schriftsteller (und solche, die es sein wollen), Verliebte (ohne Gegenliebe) und sonstig Gelangweilte, die sich an einem See einen russischen Sommer lang gegenseitig demoralisieren, kann man nur schwerlich etwas Komisches abgewinnen.

Viel aktualisieren muss Daniela Löffner in ihrer Inszenierung nicht, das Stück ist zeitlos und ortsungebunden, die Konflikte (erfolgreiche Mutter vs. erfolglosen Sohn, ausbrechungswillige Ehefrau vs. uninteressierten potentiellen Liebhaber, etc.) sind seit Menschengedenken die Gleichen. Folgerichtig reicht die Andeutung eines Holzstegs mitsamt Umlaufgang, in den die Mitstreiter gelegentlich stolpern, umfasst von einem bambusartigen Vorhang und Alltagskleider völlig aus (Ausstattung: Claudia Kalinski).

Schauspielerisch sind viele naturgemäss unterfordert, denn die lakonisch-gelangweilten Trübsinn blasenden Einzelgänger sind bei Tschechow in der Überzahl. Dennoch machen vor allem Victor Calero als Arzt und Christiane Rossbach als Frau des Gutsverwalters ihre Sache gerade durch Weglassen ausgezeichnet. Lisa Marie Stoiber erzielt als „Möwe“ Nina einen Achtungserfolg. Mit vollem Körpereinsatz sorgt André Benndorff als Pjotr für die Lacher des Abends (wie er sich die Kleider vom Leib reisst oder in den Rollstuhl hieven lässt ist zum Schreien komisch). Unumstrittener Star des Abends ist aber Iris Melamed als egomanische aber zerbrechliche Schauspielerin Irina, ihre Selbstdemütigung vor ihrem Liebhaber Trigorin, als der sie verlassen will, ist überwältigend. Den erfolgsverwöhnten Schriftsteller Trigorin spricht Thomas Mehlhorn mit vielen Wortpausen, aber durchaus überzeugend.

Die deutlich fehlende Personenführung ist aber bei Daniel Wahl als Gutsverwalter und Hendrik Heutmann als Lehrer, mehr noch bei Jürgen Herold als Kostja und Stefanie Mrachacz als Mascha zu bemängeln. Dadurch wirkt das dreistündige Stück gelegentlich etwas langatmig. Ausserdem meinte Tschechow mit „Komödie“ nicht Klamauk, sondern wollte verhindern, dass die Interpretation ins Rührselige abrutschte.

Tschechow ist viel Wollen-aber-nicht-können, Lieben-aber-nicht-geliebt-werden, aber vor allem die langsame grausame Ernüchterung bei der Realisierung des eigenen Scheiterns. Wer fühlte sich hier nicht angesprochen? So sehr traf die Erzählung die russische Seele, dass noch heute das Logo des Moskauer Künstlertheaters eine Möwe ziert. Die Reihe vor mir ist mit Russinnen besetzt. Tschechow ist Pflicht. Auch in dieser Inszenierung

Alice Matheson

 

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