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FREIBERG/ Mittelsächsisches Theater. CENDRILLON von Jules Massenet

08.01.2020 | Oper

Freiberg / Mittelsächsisches Theater/Theater Freiberg: “CENDRILLON“ VON JULES MASSENET – 7.1.2020

Jules Massenet hat über 20 Opern, Komödien und andere Bühnenwerke geschrieben, aber die meisten Musikfreunde kennen nur seine „Manon“, die oft auf den Spielplänen der Opernhäuser steht. Der sehr erfolgreichen Uraufführung seines Märchenpoems „Cendrillon“ in vier Akten (1899) an der Pariser Opera-Comique folgten Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem in Frankreich weitere Aufführungen, und in der 2. Hälfte u. a. auch in Brüssel, Genf, New York, am ROH London, an der Komischen Oper Berlin, in Bern und an der MET. Im Herbst hatte es nun am Mittelsächsischen Theater Premiere: am 19.10.2019 in Döbeln und 2.11. in Freiberg (Sachsen), da beide sächsischen Theater 1993 in einer Fusion zusammengeschlossen wurden. Das Theater Freiberg ist ein Drei-Sparten-Theater (Schauspiel, Musiktheater, Philharmonie) und das älteste Stadttheater der Welt , das seit 1789 noch in seinem angestammten historischen Gebäude spielt, aber – gut restauriert – ganz und gar keinen verstaubten Eindruck macht und oft zu kaum bekannten oder selten gespielten Opern einlädt.

Sehr populär ist Jules Massenets Oper „Cendrillon“ nicht und selbst unter Musikfreunden nicht unbedingt bekannt, obwohl darin der bekannte Stoff vom Aschenputtel, Aschenbrödel usw., das seinen Ursprung in griechischen Quellen hat, von Charles Perrault (1628-1803) als Märchen für Erwachsene mit Doppelsinn und doppelbödiger Moral verwendet wurde, der 100 Jahre später von den Brüdern Grimm und Ludwig Bechstein als Märchen verarbeitet und von Rossini als Oper „La Cenerentola“ und von Serge Prokofjew als abendfüllendes Ballett „Cinderella“ („Aschenputtel“ – russisch: Soluschka) auf die Musikbühne gebracht wurde. Vielleicht liegt es an allzu viel romantischem „Feenweben“ und verträumter Geisterhaftigkeit, oder auch, weil es keinen ausgesprochenen „Ohrwurm“ darin gibt.

In ihrer Inszenierung verwendet Judica Semler die seit Jahren und Jahrzehnten üblichen Regie-Attribute und baut daraus – auch als Zugeständnis an das lokale Publikum – ein leichtes, auch amüsantes Stück mit Gegenwartsbezug, Schattenspielen und Traumvorstellungen, aber auch sehr irdischen Gestalten. Zu Beginn „zaubert“ Cendrillon, das unansehnlich kostümierte Aschenputtel in Handspielen mit einem grünen und einem gelben „Handschuh“ (oder Socke) – später auch andere Akteure – Märchenfiguren schemenhaft auf die verschiebbaren hellgrauen Wände mit Blau-, Grün- und Spiegeleffekten eines Mehrfunktionsraumes (Bühne: Ulv Jakobsen). Später wird weiterer Zauber per Video eingeblendet. Den üblichen Flitter-Regen von oben gibt es auch – hier passend, um das Happy End bereits im Feenwald „vorauszusagen“.

Außerdem gibt es einen Sessel und ein vielfunktionales Podest, das durch Drehung zum Laufsteg für die „Parade der Schönen“ oder zum „Sockel“ für die „Erhöhung“ der Fee oder des Königs (Elias Han) wird, letzterer als ostasiatischer Herrscher kostümiert. Durch einen mit Bäumen bemalten Vorhang wird die Bühne später geschickt in einen „Märchenwald“ verwandelt, der mit einfachen Mitteln wirkungsvoll zwischen der Realität des zum Aschenputtel verdammten Mädchens und seinen Träumen vermittelt. Zunächst fegt aber erst einmal viel tadellos gekleidetes Personal in schwarz, die weiblichen Bediensteten mit den üblichen weißen Schürzchen, den Fußboden, und die herrschsüchtige Madame de la Haltière (Katalin Kajan), die keinen Widerspruch duldet und später ihre lange Ahnenreihe besingt, erscheint in übertriebenem, später geschickt verwandelbarem, Outfit.

Die oft kurios übertriebenen Kostüme von Nina Reichmann sind mitunter sehr „gewöhnungsbedürftig“. Die mit leicht schrillem Sopran und zuweilen an der Grenze zum Rezitativischen singende Dimitra Kalaitzi-Tilikidou darf als Cendrillon ihre „ewige“ Brille nicht einmal beim großen Ball abnehmen und dürfte mit ihrem Ballkleid „vorn hui – hinten…“ (nur weißer „Baumwollschlüpfer“ sichtbar), das ihr die beiden passabel singenden Stiefschwestern Noemi (Rea Alaburic) und Dorothée (Alice Hoffmann) halbherzig übergestülpt haben und nicht einmal beim Ball hinten geschlossen wird, kaum Eindruck gemacht haben, oder hat sie dem ewig gelangweilten, desinteressierten, vollschlanken, legeren „Langweiler“-Prinzen (Johannes Pietzonka), der hier die eigentliche Mezzosopranpartie als Tenor singt (was zuweilen auch üblich ist) gerade deshalb gefallen, obwohl er doch „nur“ auf die ehrliche Liebe wartet? Haben sich da zwei gleich Desillusionierte gefunden?

Schon eher stimmig erscheint die Kostümierung des nur in Abwesenheit seiner Gattin mutigen Pandolfe (Sergio Raonic Lukovic), der das Schicksal seiner Aschenputtel-Tochter beklagt, zwischen Strickjacke und elegantem Frack. Die sich wie „Glamour-Girls“ dem Prinzen auf einer Art Laufsteg anbietenden und anbiedernden Prinzessinnen, die in andeutungsweise „leichtem Striptease“ überflüssige „Accessoires“ abwerfen, erscheinen in ausgeflippten „Kleidern“ und operettenhafter Farbigkeit wie auf einem Filmball. Die recht ansehnliche, weiß gekleidete Fee (Lisa Schnejdar), deren Gesang durch Sicherheit und gute Höhe auffällt und die auch darstellerisch ihre Rolle ansprechend gestaltet, wird noch von zwei Doubles in vorgerückten Altersstufen begleitet – warum eigentlich? Soll das bedeuten, dass der Glaube an die gute Fee langsam veraltet und verfällt?

Frieder Post engagierte sich als Zeremonienmeister für seine Rolle. San Tea Lee agierte als Dekan der Fakultät und Stefan Burmester als Premierminister. Die Mittelsächsische Philharmonie erfüllte unter der Leitung von José Gutiérrez ihre Aufgabe gut und auch der Chor des Mittelsächsischen Theaters (Einstudierung: Peter Kubisch), der mit dem, durch Frauenstimmen des A-capella-Kammerchors Freiberg verstärkten, „Geisterchor“ beeindruckte.

Ingrid Gerk

 

 

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