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FREIBERG: DIE VERKAUFTE BRAUT

10.05.2018 | Oper

Freiberg: „DIE VERKAUFTE BRAUT“ – 8. 5. 2018

Wer sich von dieser Aufführung einen mit böhmischer Folklore garnierten Kirchweihschwank erhoffte, sollte enttäuscht werden. Schon der die Ouvertüre illustrierende Vorspann, den stiefmütterlicher Drangsal ausgesetzten Buben Hans ins Bild rückend, lässt ahnen, wie ernst es die Regisseurin Judica Semler bei der Auseinandersetzung mit diesem Solitär tschechischer Opernkunst nimmt. Ein unverbindlicher Opernspaß durfte hier kaum zu erwarten sein. Mithin bleibt die Regie Gegenwärtigem verbunden, besucht mit uns ein Dorf im Nirgendwo, das als ein Irgendwo zu verstehen ist, in dem die sozialen Gegensätze dominieren. Vom Kalbeckschen „Glanz und Jubel weit und breit“ kann da keine Rede sein. Folgerichtig vertraut man am Mittelsächsischen Theater

der genaueren deutschen Übertragung von Winfried Höntsch und Carl Riha aus dem Jahre 1969.

Der Lobpreis der Eingangsszene muss einem sich eher zwiespältig ausnehmenden gestellten Dankgesang weichen, der, in die Form einer Chorprobe zum bevorstehenden Fest gegossen, andeutet, wie wenig die Dorfbewohner, von dem, was ihnen da abverlangt wird, überzeugt sind. Da

das Ensemble seit Jahren über keine eigene Ballettsparte verfügt, werden die Komödianten von Anbeginn in das Geschehen einbezogen. Ein sinnvoller Schachzug Judica Semlers, mit dessen Hilfe die dem Werk immanenten Tänze nicht als aufgesetzte Einlagen funktionieren, sondern sich organisch in den Verlauf der Handlung einfügen bzw. aus diesem resultieren. Den von Peter Kubisch und Alexander Livenson einstudierten Damen und Herren des Chores kommen dabei zusätzliche, hervorragend gemeisterte Aufgaben zu. Annabel von Berlichingens Bühne und Kostüme stellten sich ohne Wenn und  Aber vollauf in den Dienst dieser Konzeption. Dabei glückte der Szenographin das Kunststück, mit wenigen verschiebbaren Stellwänden die Atmosphäre der jeweiligen Handlungsorte gültig zu vermitteln. Die Kostüme sparen Folkloristisches bewusst aus, verschärfen dafür den Blick auf soziale Unterschiede.

Doch was frommt die einleuchtendste Konzeption, sind die Mitwirkenden außerstande, dieselbe mit prallem Leben zu erfüllen? Aber auch in dieser Beziehung war in Freiberg Vorzügliches zu konstatieren. Die bis ins Detail ausgefeilten Partnerbeziehungen ließen gewiss nicht nur das Herz des Rezensenten höher schlagen. Da unterschied sich Bauer Kruschina (Guido Kunze) in Habitus und Gestus nachvollziehbar vom Grundbesitzer Micha (Elias Han), vertraten die beiden Mütter (Bettina Denner, Anna Werle) völlig konträre Haltungen. Den bedauernswerten Wenzel führt der über einen ansprechenden lyrischen Tenor gebietende Derek Rue eben nicht als Dorftrottel vom Dienst vor, sondern als einen jungen Mann, dem es angesichts einer derart dominanten Mutter einfach die Sprache verschlagen hat. Dem Kezal gesteht Annabel von Berlichingen, darin Micha gleichend, besonders feinen Zwirn zu. Hier hat sich einer in ein Tal der Ahnungslosen (Internetzugang  und „Parship“ haben dort keinen Zugang) begeben, um aus Unwissen Gewinn zu schlagen. Nur dort vermag er u. U. seinen Weizen noch zum Blühen zu bringen – auch er also im Grunde nur ein armes Würstchen. Sergio Raonic Lukovic reichert diese Sicht mit einer Vielzahl delikater darstellerischer Facetten an und macht damit einen eher gleichförmigen vokalen Eindruck wett. Die emotionalen Hochs und Tiefs der Marie verinnerlichte Leonora del Rio äußerst glaubwürdig, beeindruckte wiederum mit ihrem klangschönen, ausgewogenen Sopran, sollte sich jedoch, wie schon letztlich konstatiert, davor hüten, in der Höhe über die Gebühr zu forcieren. Als Typ von echtem Schrot und Korn  empfahl sich der Hans des Tenors Michael Heim, dem rustikale Charaktere ohne Zweifel eher entgegenkommen als Aufgaben im Bereich des „Frackliebhabers“. Seine spielfreudige und höhensichere Interpretation könnte bei einer noch nuancierteren Auffassung an Reiz gewinnen. Die Esmeralda Lindsay Funchals, die dem dafür vorgesehenen Stimmfach bereits deutlich entwachsen ist, darf man getrost als Luxusbesetzung bezeichnen. Bei den Elternpaaren ersang sich Anna Werles (Ludmila) aparter Mezzo ungeteilte Aufmerksamkeit. Am Pult der Mittelsächsischen Philharmonie sorgte Alexander Livenson dafür, dass die Streichertumulte der Ouvertüre nicht außer Rand und Band gerieten, gestaltete Polka, Furiant und Komödiantentanz zu echten Höhepunkten und lief nur an wenigen Stellen Gefahr, die Mitwirkenden zu überdecken.

Am Ende siegt die Liebe – Judica Semler lässt keinen Zweifel daran, dass dieser Sieg nur einem Zufall, der Erstgeburt des Hans, zu verdanken ist. Ansonsten bleibt in diesem „Nirgendwo“ wohl eher alles beim Alten.

Joachim Weise

 

 

 

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