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FREDERIC CHASLIN: 200. AUFTRITT AN DER WIENER STAATSOPER am 23. Mai 2023

23.05.2023 | Dirigenten

FREDERIC CHASLIN: 200. AUFTRITT AN DER WIENER STAATSOPER am 23. Mai 2023

Sie debütierten 1997 mit I puritani an der Wiener Staatsoper und waren dort zuletzt im März 2020 mit Massenets Manon zu Gast, kurz vor dem ersten Lockdown. Insgesamt haben Sie 24 verschiedene Titel dirigiert, dazu kamen mehrere Konzerte. Gibt es bestimmte Produktionen oder Aufführungen an der Staatsoper, die Ihnen besonders in Erinnerung sind und an die Sie besonders gerne zurückdenken?

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Frederic Chaslin. Foto: Lou Sarda

Unter den Opernabenden, die ich an der Wiener Staatsoper dirigiert habe, gab es derart viele wunderbare Vorstellungen, dass es schwierig ist, einzelne Aufführungen zu benennen. Etwas ganz besonderes waren für mich sicher die drei Abende, an denen ich als Pianist mit den Wiener Philharmonikern an der Staatsoper Beethovens 5. Klavierkonzert gespielt habe! Wenn ich die letzten Jahrzehnte Revue passieren lasse, ist es interessant, dass mich die Herren Intendanten Holender und Meyer in völlig unterschiedlichem Repertoire eingesetzt haben. Unter Holender habe ich viel italienisches Repertoire dirigiert, unter Meyer besonders viel französisches Repertoire. Ich habe mit Pierre Boulez debütiert und damals nur zeitgenössische Musik dirigiert. Mein Wien-Debüt gab ich eigentlich im Jahr 1991 beim Wien Modern  Festival, als ich für meinen Lehrer Pierre Boulez eingespringen bin, der plötzlich krank geworden ist und absagen musste. Schönberg und zeitgenössische Komponisten dirigierte ich bei diesem Konzert. Danach kam Mannheim für meine Stelle als GMD und so viel Wagner und Strauss. Ich bin grundsätzlich ein Komponist und spüre keine Grenzen, was mein Repertoire angeht.

2. Am 23. Mai feiern Sie Ihren 200. Auftritt an der Wiener Staatsoper. Was macht das Haus am Ring Ihrer Meinung nach so besonders?

Zuerst natürlich das fantastische Orchester, in dem ich so viele Freunde habe. Ein Orchester, das so flexibel, so musikalisch und so inspirierend ist. Wie gesagt bin ich vor allem Komponist und hatte die Freude in diesen COVID Jahren Stücke für meine Freunde bei den Philharmonikern zu schreiben. Eine Aufnahme wird in den nächsten Tagen erscheinen, und zwar mit dem Soloflötisten der Wiener Philharmoniker, Karl-Heinz Schütz, für den ich eine Flötensonate geschrieben habe, die ich bei der Aufnahme am Klavier begleite. Eine Aufnahme meines Posaunenkonzerts für Enzo Turriziani,  Soloposaune bei den Philharmonikern und weitere Aufnahmen werden bald erscheinen. Die Wiener Philharmoniker inspirieren mich wahnsinnig. Und dieses Haus hat seit so vielen Jahren eine Art Mechanismus, der das Wunder produziert, dass jeden Abend gespielt wird. Vorstellungen, die solange ich mich erinnern kann, niemals banal waren. Wien ist eben die Hauptstadt der Musik und das ist das Opernhaus dieser Hauptstadt.

3. Was waren Ihre künstlerischen Tätigkeiten seit Ihren letzten Vorstellungen in Wien und wie haben Sie die Coronazeit verbracht?

Wie gesagt habe ich viel Musik geschrieben in diesen leeren Monaten. Aber es waren eigentlich nicht allzu viele Monate, denn ich hatte schon im Juni 2020 eine Aufnahme in Wien und kurz danach meine erste „Bohème“ mit Angela Gheorghiu in Liège. Ich habe natürlich auch diese Streaming Periode erlebt, in der man kein Publikum hatte, aber im Austausch mit sehr viel mehr Leuten war, die über das Internet zusehen konnten. Aber nichts ist so gut wie echtes Publikum im Saal!

4. Nun kehren Sie mit Don Pasquale an die Wiener Staatsoper zurück, ein Stück, das Sie hier bereits 2016 und 2018 dirigiert haben. Was ist Ihre Meinung zu dieser Oper und zu ihren besonderen Herausforderungen, sowohl für den Dirigenten als auch für die Sänger?

Unter den Buffo-Opern ist „Don Pasquale“ meine liebste. Nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen des wunderbaren Librettos, eine Art Vorgänger von „Falstaff“, mit einem Hauch von „Barbiere“. Die besondere Herausforderung für die Sänger ist meiner Meinung nach, dass sie gleichzeitig das Publikum amüsieren und diese hoch virtuosen Arien dabei sicher in der Hand haben müssen. Ich habe während der COVID Periode einen schönen „Don Pasquale“ in einer neuen Produktion in Tours dirigiert. Da es ein neues Stück für Tours war, haben wir viel geprobt, was ich bei „Don Pasquale“ noch nicht kannte, denn es gehört hier zum Repertoire und ich habe es immer nur an der Wiener Staatsoper dirigiert. Und wie Sie wissen, hat der Dirigent fast nie eine Probe für Repertoirestücke.

6. Bevorzugen Sie persönlich Donizettis Opera seria oder Opera buffa?

Ich mag den leichten Donizetti am liebsten. Er ist ein richtiger Vorgänger von Offenbach. Lustige Momente zu schaffen und auch zu schreiben ist sehr schwierig. Man unterschätzt sehr oft die Leichtigkeit, obwohl, und ich sage das mit meiner Erfahrung als Komponist, ist das wirklich das schwierigste überhaupt zu schreiben. Und es ist auch sehr schwer darzustellen. Aber die Regie hier ist einfach fantastisch. Ich genieße diese Produktion hier in Wien wirklich sehr. Donizettis Opera buffa und Opera seria sind wirklich zwei verschiedene Welten. Jede Welt hat seine großen Vorteile. Ich habe hier in Wien Lucia und Roberto Devereux dirigiert, beide mit Edita Gruberová und diese Vorstellungen zählen zu den Höhepunkten meiner Karriere als Operndirigent. Mit Gruberová habe ich die sehr seltenen Momente erlebt, dass mir beim Dirigieren ein paar Tränen die Wangen heruntergelaufen sind. Weinen und Dirigieren gehört überhaupt nicht zusammen, aber mit Edita ging es einfach nicht anders.

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Frederic Chaslin. Foto: Lou Sarda

7. Welches Stück würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?

Leere Seiten, um dort meine nächste Oper zu komponieren…

8. Ihre Stücke werden von Universal Edition verlegt. Was haben Sie in den letzten Jahren geschrieben?

Abgesehen von der Flöten Sonate für Karl-Heinz Schütz und dem Posaunen-Konzert für Enzo Turriziani habe ich drei Lieder Zyklen geschrieben, eine große Fantasie für Bratsche und Klavier, zwei Opern, und jetzt arbeite ich an zwei musikalischen Komödien, und an einer Bearbeitung für eine baldige Aufnahme, und zwar meiner Oper Montecristo, die 2018 Plácido Domingo in Auftrag gegeben hatte.

9. Auch als Pianist und Autor haben Sie sich einen Namen gemacht. Wie vereinbaren Sie all diese Aktivitäten?

Einfach nur, weil es sich immer um nur eine Sache handelt, und zwar Musik! Es wird natürlich nicht demütig klingen, wenn ich sage, dass mein Modell immer Leonard Bernstein war, aber bei dem war es auch so: komponieren, spielen, schreiben, dirigieren… Und zwar ohne Grenzen. Auch beim Stil und Genre. Eine meiner schönsten Erinnerungen als Komponist ist die Zeit, als ich den Gründer von Pink Floyd, Roger Waters, getroffen habe, um seine Oper zu bearbeiten, und danach intensiv den Stil der Popmusik studiert habe, um es in meine eigene Musik zu integrieren.

10. Was sind Ihre Projekte nach dieser Produktion in Wien?

Gleich nach Wien findet in Bologna ein Konzert mit dem Teatro Comunale statt, und zwar mit der vierten Sinfonie von Mahler und meinen Posaunen-Variationen, die nach dem Thema von Mahlers dritter Sinfonie geschrieben wurden. Dann ein Konzert mit Plácido Domingo in Genf. Im Juli und August versuche schon immer, frei zu bleiben, damit ich schreiben kann. Meine Frau, die Sopranistin Julie Cherrier-Hoffmann, hat vor zehn Jahren ein Festival in der Lorraine gegründet, wo wir wohnen. Diese Festspiele werden im Sommer für zwei Monate meine einzige Tätigkeit neben dem Komponieren sein.

Danke für das Gespräch!

Das Gespräch mit Frederic Chaslin führte Isolde Cupak im Mai 2023

 

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