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Franz Theodor Csokors Theaterstück „3. November 1918“. Eine Vermisstenanzeige

05.09.2018 | Themen Kultur

Franz Theodor Csokors Theaterstück „3. November 1918“

Eine Vermisstenanzeige

Von Manfred A. Schmid

Bildergebnis für franz theodor csokor 3, november 1918

Gesucht wird das Stück „3. November 1918“ von Franz Theodor Csokor, zuletzt gesehen vor vielen, vielen Jahren irgendwo auf einer Bühne im seligen Österreich. Dabei war das Drama des großen – heute leider ziemlich vergessenen – österreichischen Autors, Demokraten und kosmopolitischen Patrioten Csokor einst dem Theaterpublikum hierzulande bestens vertraut. Anlässlich des Todes des PEN-Präsidenten 1969 würdigte ihn das Nachrichtenmagazin Der Spiegel folgendermaßen: „1938 emigrierte der entschiedene Nazi-Gegner nach Polen, später nach Rumänien und Jugoslawien. Das neue Österreich ehrte ihn mit vielen Preisen; dauerhaften Erfolg hatte er mit dem Schauspiel vom Ende der Donaumonarchie, „3. November 1918“ — es wird an jedem 26. Oktober, dem österreichischen Nationalfeiertag, im Burgtheater aufgeführt.

Ob das 1937 am Burgtheater uraufgeführte Stück, wie es im Spiegel-Nachruf heißt, dort in grauer Vorzeit tatsächlich jedes Jahr von neuem angesetzt worden war, und bis wann derlei an der Burg Tradition gewesen sein soll, lässt sich auf Anhieb nicht so leicht eruieren. Ich erinnere mich aber lebhaft daran, es dort tatsächlich einmal gesehen zu haben und schwer beeindruckt gewesen zu sein. Warum ist es dann urplötzlich von der Bühne verschwunden? Etwa weil es zum „Pflichtstück“ am Nationalfeiertag herabgekommen war und man es dann einfach satt hatte?Das wäre eine mögliche Erklärung, begründet aber nicht, warum man es jetzt, nach jahrzehntelanger Abstinenz, nicht doch wieder hervorholen sollte.

Das Jahr 2018 wäre jedenfalls der geeignete Zeitpunkt gewesen, sich dieses Stücks wieder anzunehmen und zu prüfen, was es uns heute über das Ende der Donaumonarchie und den Beginn des neuen Österreich zu sagen hat. Jedoch: Auf keinem der Spielpläne der großen Bühnen ist es zu finden, nicht einmal kleine Häuser haben eine szenische Aufführung angesetzt. Nur das Theater Spielraum in Wien hat für 2. und 3. November immerhin Leseaufführungen angekündigt. Diese tapfere Bühne verdient, vor den Vorhang gerufen werden. Und Hingehen ist angeraten: Anhören ist besser als nichts.

Und der ORF? Er hat zwar 2014 – aus Anlass des Gedenkens des Kriegsausbruchs 1914 – die erstklassige Verfilmung des Theaterstücks durch Edwin Zbonek ausgestrahlt, heuer aber darauf verzichtet. Nach vier Jahren hätte der bekannte Wiederholungstäter ORF diesen Film gewiss erst recht wieder aus dem Archiv holen und abstauben können. Eine Chance, den Film – besetzt u.a. mit Erik Frey, Erich Auer, Hanns Obonya, Fritz Muliar, Kurt Sowinetz und Peter Matic – zu sehen, gibt es erfreulicher Weise doch: Im November im Rahmen der Viennale. Die großen Bühnen des Landes aber haben durch die Bank diese Möglichkeit heuer offenbar verpasst oder bewusst ignoriert. Aus welchen Gründen auch immer: Es ist und bleibt eine Schande.

Schade um eine ungenützte Gelegenheit. Denn das Stück von Franz Theodor Csoskor ist kein ideologisch verdächtiger, wehmütiger Abgesang auf die Donaumonarchie, der einer vergangenen Welt nachtrauert. Csokor erzählt, in komprimierter Form anhand weniger Personen–eine Handvoll Soldaten der altösterreichischen Armee in einem zum Behelfslazarett umfunktionierten Schutzhaus in den kärntnerischen Karawanken -wie sich am Ende des verlorenen Krieges ein jeder neu orientiert und forsch unbekanntes Neuland betritt. Nur der Artillerieoberst von Radosin kämpft bis zum Schluss für die Idee der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und begeht, als er das Scheitern zur Kenntnis nehmen muss, Selbstmord. Der Zerfall des Vielvölkerstaates ist nach der Kapitulation nicht mehr aufzuhalten. Neue selbständige Nationalstaaten – Ungarn Tschechoslowakei, Jugoslawien – kündigen sich an, und neue Konflikte in Kärnten (Stichwort „Abwehrkampf“) bereiten sich vor.

Als überzeugter Humanist trat Csokor in seinen Dramen entschieden für Frieden, Freiheit und Menschenrechte ein. Werte, die inzwischen so überholt scheinen, dass die österreichischen Dramaturgen und Theatermacher sein wohl bestes Stück, „3. November 1918“, gänzlich aus ihren Augen verloren haben?

Es offenbar nicht damit getan, eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Man müsste einen Finderlohn ausloben: Einen (aller Voraussicht nach) tollen und nachdenklich machenden Theaterabend! Genügt das nicht?

 

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