FRANZ-JOSEF SELIG – EIN LYRISCHER BASSO PROFONDO
Franz Josef Selig beim Interview im Sitzungsraum der Wiener Staatsoper. Foto: Karl Masek
Franz-Josef SELIG singt in der Premiere „Pelléas et Mélisande“ in der Wiener Staatsoper den König Arkel – Ein Gespräch nach der Hauptprobe (Karl Masek, 14.6. 2017)
Sie kommen direkt von der Hauptprobe. Man hört, die Akteure bewegen sich viel im Wasser. Es ist ihre erste Premiere im Haus am Ring. Im Theater an der Wien gab es – als die Staatsoper noch gelegentlich die dortigen Musical-Zeiten unterbrach – 1999 eine „Don Giovanni“- Premiere mit Riccardo Muti, bei der Sie als Komtur mitwirkten. Wie geht es einem Sänger knapp vor der Premiere – und wie war die Probenarbeit?
In der Tat, viel spielt sich im Wasser ab. Es bietet sich das Medium „Wasser“ aber auch geradezu zwingend an. Golaud findet Mélisande ja tief im Wald an einem Teich; ihr sei die Krone ins Wasser gefallen. Pelléas und Mélisande haben eine Brunnen-Szene. Lange Zeit als Wunderbrunnen bezeichnet, dessen Wasser sogar Blinde heilen könne. Auch der Ehering gleitet Mélisande ins Wasser. Und es passt wunderbar zur Musik, diesen Triolen-Girlanden, die schon das erste Vorspiel dominieren, und diesen geschichteten Quart-Akkorden. Ich selbst und Geneviéve müssen nicht ins Wasser, wir bleiben trockenen Fußes.
Es geht uns wunderbar, die Arbeit hat sich in den Probenwochen sehr gut entwickelt. Nach vier Orchester-Bühnenproben und der heutigen Hauptprobe kann ich sagen: Über dem Wasser ist Land!
Fürs Haus ist die Wasser-dominierte Inszenierung aber sicher eine Herausforderung!
Sie haben den König Arkel schon in etlichen Produktionen gesungen (unter anderem in Aix-en-Provence). Haben Sie eine besondere Vorliebe für diese Figur? Für die Musik Debussys? Die französische Sprache? Sonst sind Sie ja in Wien und in der Opernwelt ein besonders geschätzter Sarastro, Gurnemanz und König Marke! Oder ist es einfach besonders spannend, bei verschiedenen Zugängen durch Regisseure und Dirigenten dabei zu sein?
Ich singe diese Rolle tatsächlich schon seit 20 Jahren! 1996 war ich in einer Herbert-Wernicke-Inszenierung unter Antonio Pappano in Brüssel mit dabei. In der Pariser Bastille-Opera war der Regisseur Robert Wilson, und es dirigierte Philippe Jordan, mit dessen Vater, Armin Jordan, habe ich die Oper auch schon in Madrid musiziert. Im letzten Sommer war ich dann in Aix-en Provénce mit Esa Pekka Salonen in der Inszenierung von Katie Mitchell der König von Allemonde …
… da wirkten Sie, wie man in youtube feststellen kann, aber im Business-Anzug eher wie der Chef eines Industriekonzerns und wie ein Mann, noch in den besten Jahren, und nicht wie der greise Großvater der Halbbrüder Pelléas und (des Witwers) Golaud …
…, ja, aber das Grundkonzept von Mitchell sah vor, Lebensalter sei in diesem Stück kein Thema.
Jedenfalls ist der Arkel eine meiner Lieblingsrollen, sie ist nämlich eine lyrische, seriöse Bass-Partie, wie geschaffen für meine Stimme! Ich sehe mich als lyrischer „basso profondo“. Und welcher lyrische Bass hat schon das letzte Wort in einer Oper? Und was gibt es Schöneres für einen Sänger, als eine besonders geliebte Rolle besonders oft singen zu dürfen – noch dazu mit den unterschiedlichen Zugangs- und Sichtweisen von so vielen wunderbaren Regisseuren und Dirigenten? Und es geht auch nach Wien weiter. Schließlich nähern wir uns dem 100. Todestag von Debussy am 25.3. 2018. Und da gibt es einen regelrechten „Pelléas-Boom!“
Franz-Josef Selig als „König Arkel“ in der Marelli-Produktion. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Marco Arturo Marelli ist für die neue Inszenierung verantwortlich. Er ist Regisseur und Bühnenbildner in einer Person. Arbeitet er anders als ein „Nur-Regisseur“?
Ein Ausstatter arbeitet auf jeden Fall „visueller“. Er setzt andere Gewichtungen, hat einen anderen Zugang zu „objektiver Ästhetik“. Das Gewicht liegt sehr auf der Erzählung der Handlung. MARELLI ERZÄHLT DIE FAMILIENGESCHICHTE!
Zurück zu den Anfängen: Sie wurden 1962 in Mayen geboren. Wo genau in Deutschland liegt dieser Ort?
Mayen liegt in der Nähe von Koblenz, dort, wo die Mosel in den Rhein mündet. Aufgewachsen bin ich in Neuried, ganz in der Nähe.
Musikalisches Elternhaus? Mit welcher Musik sind sie als Junge aufgewachsen? Gab es frühe „Inititialzündungen? Wie kam es zum „Studium der Kirchenmusik“? Wie kam es zum Lieblingsinstrument Orgel?
Also, es war kein „Musikalisches Elternhaus“! Aber sehr früh hatte ich den unbedingten Wunsch, Klavier zu lernen. Mein Klavierlehrer war ein Kirchenmusiker, Gesang mit eingeschlossen. Seine „Initialzündung“ war, mich für die Königin der Instrumente zu begeistern. Mein unbedingter Berufswunsch schon sehr früh: ORGANIST zu werden! Keinesfalls Sänger! Obwohl man ja in der katholischen geistlichen Musik ständig mit dem Gesang konfrontiert ist. Also sang ich mit 13 Jahren im Kirchenchor …
… welche Stimmlage …
… Bass …
???
… der Stimmbruch war bereits erfolgt, und ich hatte tatsächlich damals schon einen auffallend tiefen Bass. Nach dem Abitur, Bundeswehr und so, begann ich mit 21 Jahren Kirchenmusik an der Musikhochschule Köln zu studieren – weiterhin mit dem Ziel, eine gute Organistenstelle zu bekommen. Kirchenchorleitung und alles Drum und Dran. Man wurde auf meinen tiefen Bass aufmerksam und drängte mich drei Jahre vergebens, doch Gesang zu studieren. Mit 24 Jahren hatte ich durch ein Stipendium die Gelegenheit, meine ersten Opern zu sehen. Und das war 1986 im Sommer gleich: Bayreuth! Tannhäuser, Meistersinger, Tristan! Die zweite Initialzündung: Die Opern Wagners – aber immer noch nicht mit dem Ziel: Opernsänger.
1986 begann ich das Gesangsstudium in Köln bei Claudio Nicolai, aber auch das nicht im Hinblick auf die Oper, sondern um als Kirchenmusiker parallel auch ins Oratorienfach einsteigen zu können. Bald kamen konzertante „Zauberflöte“-Aufführungen (ich als Sarastro, die Rolle, mit der ich später in fast allen Opernhäusern, in die ich engagiert wurde, debütiert habe). In einer Vorstellung saß der Operndirektor des Aalto-Theaters Essen, Prof. Schnabel, der mich 1989 sofort engagieren wollte. Ich wehrte mich anfangs mit allen Mitteln – ich war damals schon Jungvater, konnte mir nicht vorstellen, meinen Beruf zu wechseln und wollte immer noch ORGANIST sein, hatte damals auch schon eine Stelle. Doch die Achse Claudio Nicolai/Köln – Prof. Schnabel/Opernchef in Essen funktionierte. Man bot mir einen Mehrjahresvertrag mit der Option, nach einem Jahr aussteigen zu können …
Also, ich unterschrieb – und blieb bis 1995 fest im Ensemble. Die dritte Initialzündung!
Seither bin ich aber nur mehr freischaffend tätig!
Das Debüt an der Wiener Staatsoper war dann am 3.9. 1997 als Sarastro. In zwanzig Jahren 46 Vorstellungen in 6 Rollen (neben den oben genannten 13x Sarastro und 11x Komtur: 2x Daland, 4x Rocco, 12x Gurnemanz, 4x König Marke. Sie kamen mit Unterbrechungen zwar immer wieder, waren aber in Wien nicht wirklich verwurzelt. Hat die Staatsoper zu spät nachgefragt? Oder ist dieser Umstand einer bewussten Balance zwischen Oper, Konzert, geistlicher Musik und Liederabenden, geschuldet?
Es ist wohl von allem etwas. Ich wäre gern häufiger gekommen. Manchmal war es auch ein Zeitproblem. Joan Holender hat einmal zu mir gesagt: „Ich hole dich nur für WICHTIGE Sachen (er meinte z.B. Parsifal mit Thielemann und Tristan mit Rattle)!“ … Aber „Zauberflöte“ habe ich in Wien in drei Inszenierungen am Ring und eine an der Wien gesungen, den Gurnemanz auch in zwei Inszenierungen. Und auch für Monteverdi (Poppea – als Seneca -) war ich am Theater an der Wien.
Zu ihrem Rollenspektrum: Große Bandbreite von Monteverdi, Bach – Passionen und Händel – Opern und Oratorien – über Mozart bis zu Wagner und Richard Strauss. Neue und neueste Werke kommen aber kaum vor. Ein Gubaidulina-Oratorium („Hass und Liebe“ in Dresden). Täuscht dieser Eindruck?
Nein, der ist schon richtig! Ich bin da sehr zurückhaltend. Es ist auch so: Es gibt ein Schubladendenken. Wer viel Moderne singt, bekommt dann immer wieder solche Angebote. Und dann ist häufig die Umsetzung so, dass man sich gut überlegt, ob …. (zögert) ….
… man es sich antun soll?
Ja. Ich stelle dann oft fest, es wird nicht „für die Stimme“ geschrieben, nicht kantabel, sondern vor allem Grenzbereiche oben wie unten zum Äußersten ausgereizt. Allerdings: Bei einer Uraufführung war ich mit Freude dabei: 2002 in Brüssel: „Ein Wintermärchen“ von Boesman (Dirigent auch hier: Pappano). Der schrieb für die Stimmen, wie auch Sofia Gubaidulina sehr kantabel schreibt!
Viele Bässe haben im Laufe ihrer Karriere auch ins dramatische Bass-Bariton-Fach gewechselt. Hatten Sie da auch eine Ambition?
Nein, nie: Nochmals – mein Bereich ist der lyrische basso profondo. Damit bin ich sehr glücklich.
Der „private“ Franz-Josef Selig?
Ich bin verheiratet, lebe mit meiner Frau in Köln, habe drei mittlerweile erwachsene Kinder, die alle keine musikalischen Berufe haben. Ich lese viel und besuche mit Vorliebe in allen Städten in denen ich gastiere, Museen. Eben habe ich im Museum Leopold die Ausstellung mit der Gegenüberstellung Spitzweg – Erwin Wurm besucht.
Gibt es „unerfüllte“ (Rollen)Wünsche? Nächste Pläne?
Zu Ostern 2018 kommt in Baden-Baden mit den Berliner Philharmonikern und Sir Simon Rattle ein Parsifal – und auf ein Rollendebüt im nächsten Jahr freue ich ganz besonders: Auf den Pater Guardian in „Forza del Destino“ in Frankfurt! Und sonst: Viel Gastieren (von Paris bis New York,…)
Wien ist in der Saison 17/18 nicht dabei – wir hoffen trotzdem auf baldige Rückkehr!
Vielen Dank für das Interview! Toi, toi, toi für die Premiere!
Ich danke ihnen!
Das Gespräch mit Franz-Josef Selig führte Karl Masek am 14.6.2017