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FRANKFURT/ Alte Oper: Meisterwerke mit Seele: Das Budapest Festival Orchestra. Renaud Capuçon, Violine Iván Fischer, musikalische Leitung

27.01.2025 | Konzert/Liederabende

Meisterwerke mit Seele: Das Budapest Festival Orchestra in der Alten Oper Frankfurt

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Fotos:  © Alte Oper Frankfurt/Tibor-Florestan Pluto

Routine? Ein Wort, das Iván Fischer vermeidet. Seit der Gründung des Budapest Festival Orchestra im Jahr 1983 hat der Dirigent einen Klangkörper geformt, der für seine kammermusikalische Feinheit und passionierte Emotionalität weltweit bekannt ist. Bei ihrem diesjährigen Gastspiel in der Alten Oper Frankfurt begeisterte das Orchester erneut mit einem Programm, das von der Intimität Fanny Hensels Chören über Mendelssohns geistreiche Virtuosität bis hin zu Mahlers epischer fünfter Sinfonie reichte.

Eröffnet wurde der Abend mit dem „Morgengruß“ aus Fanny Hensels Zyklus „Gartenlieder“ Op. 3. Die Komponistin, deren Schaffen lange im Schatten ihres Bruders Felix stand, zeigte hier eine eindrucksvolle Meisterschaft in der Gestaltung farbenreicher Harmonien und feiner Kontrapunktik. Die Vertonung, in der Licht und Natur poetisch miteinander verschmelzen, wurde vom Orchester als singender Chor (!) voller Lebendigkeit und Eleganz dargeboten. Dass das Budapest Festival Orchestra immer wieder in Konzerten auch selbst singt, gehört zu den charmanten Besonderheiten dieses Ensembles. Hensels Musik wurde mit federnder Leichtigkeit und Klarheit präsentiert, wodurch der Zauber der Komposition voll zur Geltung kam. Ein überraschend unkonventioneller und bezaubernder Beginn.

Mendelssohns Violinkonzert e-Moll, 1845 fertiggestellt, markiert einen Meilenstein der Romantik. Die nahtlose Verbindung der drei Sätze und die innovative Platzierung der Kadenz verdeutlichen die visionäre Kraft des Komponisten. Die musikalische Sprache, die zwischen leidenschaftlicher Intensität und lyrischer Intimität oszilliert, macht das Werk zu einem Dauerbrenner des Repertoires.

Mit Renaud Capuçon betrat ein Solist die Bühne, der mit seinem Guarneri-Geigenklang und technischer Perfektion zu den herausragenden Violinisten unserer Zeit gehört. Seine Interpretation von Mendelssohns Violinkonzert e-moll Op. 64 versprach einen Höhepunkt des Abends. Capuçon führte durch die drei Sätze mit einer ausgewogenen Mischung aus technischer Brillanz und Sensibilität. Besonders hervorzuheben ist seine makellose Artikulation, die ein breites dynamisches Spektrum eröffnete. Seine Kantabilität im Mittelsatz berührte zutiefst, während er im Finale mit glanzvoller Virtuosität brillierte. Der erste Satz lebte von spannungsreicher Gestaltung und dramatischen Wechseln zwischen Solovioline und Orchester. Mit besonders intensivem, sonoren Ton verlieh Capuçon dem Satz eine Dramatik, die sich nahtlos mit dem offensiv aufspielenden Budapest Festival Orchestra verband. Der zweite Satz präsentierte sich als inniges, beinahe gesungenes Legato, das den poetischen Charakter Mendelssohns einfühlsam unterstrich. Capuçon nahm sich Zeit, um einen intensiven Dialog mit seinem kostbaren Instrument und den herrlichen Farben der Holzbläser zu führen. Der dritte Satz sprühte vor Energie und Esprit und rief mit seinen tänzerischen Motiven Assoziationen an „Ein Sommernachtstraum“ hervor. Das Budapest Festival Orchestra unterstützte Capuçon mit einer höchst differenzierten Begleitung, die stets auf den Solisten abgestimmt war. Fischers Dirigat war präzise und einfallsreich, wobei er den Orchesterklang nuanciert modellierte, jedoch auch gezielt kraftvoll auftrumpfen ließ. Die Begeisterung im Saal war groß, und Renaud Capuçon bedankte sich kunstvoll mit der Étude aus Motiven der Oper „Daphne“ von Richard Strauss.

Nach der Pause erklang Mahlers monumentale fünfte Sinfonie. Das Werk, komponiert zwischen 1901 und 1902, markiert den Beginn von Mahlers mittlerer Schaffensperiode und ist ein emotionales Panorama, das von der Düsternis eines Trauermarsches bis zur triumphalen Apotheose reicht.

Das Orchester führte durch die fünf Sätze mit beeindruckender Hingabe und bestechender Exzellenz. Der erste Satz, ein Trauermarsch, eröffnete mit einer düsteren Atmosphäre, die durch die tiefen Streicher und die schwermütigen Posaunenklänge eindrucksvoll getragen wurde. Die Trompeten, hevorragend die Solo-Trompete, setzten prägnante Akzente, die den feierlichen Charakter unterstrichen, während die Holzbläser mit ihrer fragilen Tongebung den melancholischen Grundton verstärkten. Das Zusammenspiel von strengen Rhythmen und einem tiefen Klangteppich vermittelte eine beklemmende Gravität, die den Hörer unmittelbar in den Bann zog.

Der zweite Satz, ein stürmisches Scherzo, lebte von seiner mitreißenden rhythmischen Vitalität und der kunstvollen kontrapunktischen Verflechtung, die immer wieder überraschende harmonische Wendungen bot. Die Streicher sorgten mit energischen Figuren und markanten Akzenten für eine lebendige Grundstruktur, während die Holzbläser mit ihrem melodischen Spiel die kontrapunktischen Linien bereicherten. Besonders die Hörner und Posaunen trugen mit ihren kraftvollen Einsätzen zur dynamischen Spannweite bei und ließen die leidenschaftliche Emotionalität des Satzes intensiv erlebbar werden. Die Kulminationen wurden ohne jegliche Zurückhaltung vorgetragen, sodass die von Mahler geforderte „höchste Vehemenz“ zu erleben war.

Das Hornsolo im dritten Satz ragte durch seine meisterhafte Melodieführung hervor. Iván Fischer hatte hier die unkonventionelle Idee, den Horn-Solisten direkt neben sich an der Rampe zu verorten. Und was dieser meisterliche Hornist bot, kann nur mit Superlativen gewürdigt werden! Mit faszinierender Atemführung kamen seine Einsätze treffsicher aus dem Nichts. Die dynamische Dosierung gelang stets perfekt, was umso bemerkenswerter war, da Solist und Tutti-Horngruppe so homogen klangen, als säße der Solist nicht an der Rampe. Mit einem Wechsel aus weit geschwungenen Phrasen und intimen, kontemplativen Momenten schuf der Hornist eine faszinierende Klangwelt. Die warme, leicht golden schimmernde Tongebung verlieh dem Solo einen heroischen Charakter, während die präzise Artikulation und feine Dynamikgestaltung eine nuancierte Ausdruckskraft offenbarten. Atemberaubend sicher in der Intonation, gelangen vor allem die leisen Töne makellos. In die Gesamtstruktur eingebettet, diente das Solo als emotionaler Angelpunkt des Satzes, indem es die dramatische Entwicklung unterstrich und den anschließenden orchestralen Dialog auf einzigartige Weise vorbereitete.

Im berühmten Adagietto entfalteten die Streicher einen glühenden Klang, geprägt von fein abgestufter Dynamik und einem intensiven Einsatz von Vibrato, der die emotionale Wirkung des Satzes eindrucksvoll verstärkte. Die Phrasierungen, von großer Sorgfalt geprägt, ließen die Melodielinien mit greifbarer Sehnsucht erstrahlen, während die sanften, fließenden Übergänge zwischen den Stimmen eine berührende Geschlossenheit schufen.

Schließlich mündete das Werk in das jubelnde Finale, das die triumphale Energie durch prägnante Bläserfanfaren, dynamische Paukenrhythmen und brillante Holzbläserläufe eindrucksvoll umsetzte. Die Blechbläser setzten kraftvolle Akzente, die den heroischen Charakter des Finales unterstrichen, während das Schlagzeug mit markanten Einsätzen die rhythmische Spannung steigerte. Die Streicher unterstützten mit pulsierenden Figuren, dichten Harmonien und faszinierender Artikulation, die das orchestrale Gefüge zu einem strahlenden Höhepunkt führten. Fischer ließ die einzelnen Instrumentengruppen in einen mitreißenden Dialog treten, indem er mit subtilen Tempoänderungen und akzentuierter Phrasierung den Spannungsbogen des Satzes geschickt steigerte.

Fischers Interpretation zeichnete sich durch eine optimale Balance zwischen struktureller Klarheit und emotionaler Intensität aus. Jederzeit ließ er die Musik bei gemessenen Tempi ohne Hast atmen und leuchten. Iván Fischer gelang eine sehr persönliche Interpretation, die tatsächlich Mahlers Wunsch realisierte, nämlich die „Musik hinter den Noten zu spielen“. Eine einzigartige, bewegende Darbietung, die das Publikum zu anhaltendem Applaus und Bravorufen hinriss.

Iván Fischer und das Budapest Festival Orchestra haben erneut bewiesen, warum sie zur internationalen Spitze gehören. Ihr Zusammenspiel aus technischer Meisterschaft, außergewöhnlicher Musikalität und innovativen Details hebt jedes Werk in eine besondere Sphäre. Der Abend war ein eindrucksvolles Zeugnis ihrer künstlerischen Vision und ihrer Fähigkeit, Musik auf höchstem Niveau nicht nur zu interpretieren, sondern zu gestalten. Ein Konzert, das im Gedächtnis bleiben wird.

Dirk Schauß, 27. Januar 2025

 

Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 26. Januar 2025

Budapest Festival Orchestra

Renaud Capuçon, Violine

Iván Fischer, musikalische Leitung

 

 

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