Frankfurt: „STIFFELIO“. Besuchte Vorstellung am 19.11.2015
Cooper Nolan, Jessica Strong. Copyright: Barbara Aumüller
Wenige Monate nach der Premiere „Stiffelio“ (Giuseppe Verdi) präsentierte die Oper Frankfurt zur WA-Serie eine achtbare Neubesetzung. Es war keineswegs verwunderlich, dass Verdi mit seinem Stiffelio um 1850 einer Ménage á trois und treulosen Predigerfrau auf völliges Unverständnis der Zensur stieß. In klarer Diktion legt Benedict Andrews die menschlichen Konflikte um Untreue, Verzweiflung, Rache und schließlich der Vergebung des verzeihenden Ehemanns dar. Visuell spielt die Handlung in einer Sektengemeinde Lateinamerikas, dazu steuerte Johannes Schütz auf schier leerer Bühne die Konstruktionen bei: sinngemäß der transparente Kirchenraum (wer selbst im Glashaus sitzt…), variabel geschwenkt als mahnendes durchsichtiges Kreuz. Reibungslose Chor- und Solistenauftritte gestattet eine schräge weiße Trennwand mit Türen als drehbarer Raumteiler. Positiv-optische Effekte steuerte die illustre Lichtregie (Joachim Klein) bei. In der nüchternen Atmosphäre lenkte Andrews seine konzentrierte psychologische Personenführung und animierte die Charaktere zu spannenden Konstellationen, zuweilen dramaturgische Leerläufe übernahm das sich fortwährend drehende Bühnen-Karussell. Passend in keiner Weise störend wirkten die bunten farbenfrohen Kostüme (Victoria Behr) der Damen sowie die neutralen Herrenausstattungen.
Beim Anhören des Stiffelio kann man sich kaum vorstellen, dass Verdi bereits vor diesem Werk u.a. Luisa Miller, Ernani, Macbeth komponierte. Die einleitende Ouvertüre lässt eher auf eine Komödie schließen, als ein konfliktreiches Drama dessen Melodien zum ersten Eindruck fremdeln und dennoch im musikalischen Gedächtnis Erinnerungen wecken – sind doch bereits Parallelen zu Rigoletto deutlich erkennbar.
Am Pult des Frankfuter Opern- und Museumsorchesters waltete der Gastdirigent Giuliano Carella und brachte bereits beim Vorspiel den prächtig disponierten Klangkörper zum Sieden. Der temperamentvolle Maestro entfesselte das Wilde in Verdis Partitur, setzte die noch etwas musikalische weniger bekannte Musik in gewaltigen Tempi in furiose Klanggewitter um. Hinreißend musiziert auf breitem Atem das lupenreine Trompeten-Solo. Bravos des begeisterten Publikums bereits nach der Ouvertüre. Carella befeuerte die Arien und Cabaletten, kontaktierte stets wachsam die Bühne, strukturierte die intensiv-farbenreich gefächerte Partitur zu höchst präsentem Klangerlebnis und beflügelte das Orchester zum Instrumental-Feuerwerk.
Mit seinem Rollendebüt des Titelhelden stellte sich der Amerikaner Cooper Nolan erstmals in Frankfurt vor und verkörperte die Rolle äußerst glaubhaft. Nun sind Priester der Opernbühne meist dunklen Stimmgattungen vorbehalten, doch Verdi wählte dafür einen Tenor und der Debütant charakterisierte den Prediger und betrogenen Ehemann vortrefflich. Leicht führt der Sänger sein schön timbriertes Material ins Feld, wirkte zu Beginn noch etwas unstet in der Tongebung der Höhen, überwand schnell die Unsicherheiten und steigerte sich zunehmend positiv in die leidenschaftlichen Attacken der Partie.
Doch zweifellos mutierte der griechische Bariton Dimitri Platanias in der Rolle Stankar, dem Schwiegervater Stiffelios zum absoluten Star des Abends. Exemplarisch kamen die imposanten Tugenden des exzellenten Sängers zum Tragen: die bombensichere Gesangstechnik, das herrlich-weiche Timbre in allen Lagen, das strömende Legato, die bemerkenswerte Phrasierungskunst dieses volltönenden Baritons bot mit seinen beiden Arien Belcanto pur. Dazu gesellten sich die unbändig intensive Textausdeutung sowie eine wirklich nuancierte darstellerische Identifikation mit der Rolle und entfachte somit zu Recht den Begeisterungsjubel des Publikums.
Die gesanglich relativ hoch disponierte weibliche Hauptrolle Lina hatte demnach bei so viel Herren-Power einen schweren Stand. Mit wenig ansprechendem Timbre konnte ich mich für die Stimme von Jessica Strong wenig erwärmen. Zwar konnte sich die Sängerin im Laufe des Abends während der temperamentvollen Auseinandersetzungen mit dem Vater und Gatten profilieren, doch fehlte ihrem Sopran der vokale Glanz sowie die blitzsauberen Spitzentöne. Meinen Einwänden zum Trotz wurde die Sängerin gefeiert, doch bleiben Stimmen nach wie vor eine Geschmacksfrage.
Ihren Liebhaber Raffaele gestaltete mit höhensicheren lyrischen Tenor-Qualitäten AJ Glueckert. Dem Geistlichen Jorg verlieh Alfred Reiter den sonoren Bass. Die kleinen Rollen der Dorotea (Julia Dawson) sowie des Federico (Ingyu Hwang) fügten sich nahtlos ins Geschehen. In feiner Differenzierung, schwerelos beschwingter Rhythmik, raffinierten vokalen Kontrasten präsentierte sich der von Tilman Michael bestens einstudierte Chor der Oper Frankfurt.
Bravos, kurze und heftige Beifallsstürme für alle Mitwirkenden.
Gerhard Hoffmann